# taz.de -- Racial Profiling vor Verwaltungsgericht: Einblick in die Blackbox Polizei
       
       > Ein Schwarzer Sozialarbeiter kommt in eine Polizeikontrolle, seine
       > Kolleg*innen nicht. Der Prozess in Bremen sät Zweifel an den Aussagen
       > der Polizei.
       
 (IMG) Bild: Verstärkung schnell bei der Hand: Polizist:innen auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz (Symbolbild)
       
       Elf Sozialarbeiter*innen machen am Bremer Hauptbahnhof ihre Arbeit.
       Einen von ihnen kontrolliert die Polizei. Wer ist es? Es fehlt ein bisschen
       was an Information, um diese Rätselfrage aus dem echten Leben zu klären,
       aber vielleicht hilft ja dieses Detail: Einer von ihnen ist Schwarz.
       
       Am Montag hat vor dem Verwaltungsgericht Bremen ein Prozess wegen Racial
       Profiling gegen die Polizei Bremen begonnen. Nach dem ersten Prozesstag
       ergibt sich folgendes Bild: Am 14. Mai macht die [1][Ambulante Suchthilfe
       Bremen] eine große Hepatitis-C-Aktion vor dem Tivoli-Hochhaus –
       Klient*innen aus der Drogenszene können sich gleich vor Ort testen
       lassen. Die Polizei soll informiert gewesen sein über die Aktion. Aber
       irgendwie kommt die Information nicht an: Zwei Streifenpolizisten
       interpretieren das Reichen von Tee und Snacks als Drogendeals und rufen
       Verstärkung.
       
       Fünf Beamt*innen sind kurz danach vor Ort. Sie versuchen, die
       verdächtige Gruppe einzukesseln und zu kontrollieren. Die Sozialarbeiter,
       für den Aktionstag zu elft vor Ort, lassen sie in Ruhe – bis auf S. Warum
       er die Kontrolle für einen Fall von [2][Racial Profiling] hält, fragt der
       Richter. „Alle anderen waren Weiß. Ich war der Einzige, der Schwarz war,
       und der Einzige, der kontrolliert wurde. Von daher gehe ich davon aus“, so
       S. in seiner Aussage.
       
       Und: Er habe seinen Dienstausweis vorzeigen wollen, doch die Polizistin
       habe das nicht akzeptiert. Selbst als er ihn am Ende doch noch herausholen
       durfte, habe die Beamtin zusätzlich auf den Personalausweis bestanden. „Ich
       stand da wie ein Krimineller“, sagt S. Mehrfach hat er an diesem Prozesstag
       Tränen in den Augen.
       
       ## Maßnahmen zum Schutz vor Kontrollen bringen nichts
       
       Für S. war es nicht die erste Kontrolle im Dienst. Das sei [3][schon oft
       passiert], erzählt er im Gericht. Aber sein Arbeitgeber, die ambulante
       Drogenhilfe, hatte in enger Absprache mit der Polizei längst Maßnahmen
       ergriffen, um Kontrollen für die Zukunft zu vermeiden: Erst wurden die
       Dienstausweise mit Fotos versehen, dann auch noch alle Streetworker mit
       orangefarbenen Bändchen versehen. „Ich habe mich schuldig gefühlt, dass
       alle Kollegen die tragen müssen“, sagt S. später draußen. „Jetzt hat es
       nicht einmal etwas gebracht.“
       
       Dieses Mal wollte S. die Kontrolle nicht mehr hinnehmen: Gegen die Polizei
       Bremen hat er Anzeige erstattet, wegen Racial Profiling. Der
       [4][Migrationsanwalt Jan Sürig] vertritt ihn vor Gericht.
       
       Die Wahrheitsfindung ist kompliziert. Insgesamt zehn Zeug*innen sind
       geladen, neben S. selbst. Das Bild, das sich ergibt, ist widersprüchlich:
       Die fünf geladenen Streetworker unterstützen mehr oder weniger die Sicht
       von S. – und ergänzen sie: Auch sie hätten der Polizei gleich gesagt, dass
       er Streetworker sei. Doch die Polizistin habe das mehrere Minuten lang
       einfach ignoriert. „Das ist jetzt gerade egal“ oder etwas sehr Ähnliches
       soll sie gesagt haben, erinnern sich zwei Zeug*innen.
       
       Die Polizistin D. erzählt eine andere Geschichte. S. sei ihr bei der
       Kontrolle schlicht am nächsten gewesen, das sei der einzige Grund gewesen,
       gerade ihn zu kontrollieren. Aufgebracht, ja aggressiv habe er reagiert.
       Dass er Streetworker sei, das habe er gar nicht gesagt, nur: „Ich gehöre
       nicht zu dieser Gruppe.“ D. sagt: „So etwas höre ich jeden Tag.“
       
       Als die anderen Streetworker dazugekommen seien und sie aufgeklärt hätten,
       habe sich die Lage sofort entspannt. Lediglich Daten aus dem Dienstausweis
       habe sie noch aufgeschrieben, einen Personalausweis habe sie nicht
       eingesehen.
       
       Am Ende des ersten Prozesstages steht so Aussage gegen Aussage. Ob das
       reicht für eine Verurteilung? Ob damit zweifelsfrei bewiesen werden kann,
       dass genau bei dieser Kontrolle Racial Profiling stattfand und kein anderes
       Motiv als die Hautfarbe von S. ausschlaggebend war?
       
       ## Wortgleiche Stellungnahmen der Polizist:innen
       
       Klägervertreter Jan Sürig versucht Zweifel an der Glaubwürdigkeit der
       polizeilichen Zeug*innen stark zu machen. Die Klage von S. richtet sich
       nicht gegen die kontrollierende Polizistin, sondern gegen die Polizei
       Bremen – und so ist Sürigs Strategie, zu zeigen, wie das [5][System Polizei
       gegen den Vorwurf vorgeht und zusammenhält.]
       
       Immer wieder konfrontiert der Anwalt die befragte Polizistin D.: Hat sie
       ihren Bericht wirklich selbst verfasst? „Ja.“ Gab es Absprachen? „Nein.“
       Lag ihr die Stellungnahme eines Kollegen für ihren eigenen
       Tätigkeitsbericht vor? „Nein.“
       
       Und dann holt Sürig aus und wird zu einer Art Plagiatsjäger. Der Anwalt
       liest zunächst aus der Stellungnahme eines Kollegen vom Tag nach der
       Kontrolle vor: „D. traf dabei auf eine Person, die sich augenscheinlich
       ebenfalls bei der Personengruppe befunden hatte und sich bei unserem
       Aussteigen selbständig wegbewegte“, heißt es dort. Dann nimmt er D.s
       Bericht, sechs Wochen später erschienen: „Ich traf dabei auf eine männliche
       Person, die sich augenscheinlich ebenfalls bei der Personengruppe befunden
       hatte und sich bei unserem Aussteigen aus dem Streifenwagen wegbewegte.“
       
       Es bleibt nicht die einzige Textstelle, die Sürig zitiert. Drei Mal meldet
       er sich und liest jeweils zwei fast wortgleiche Passagen aus den
       unterschiedlichen Berichten vor. „Wollen Sie mir wirklich sagen, dass das
       nur Zufall war?“, fragt er D. „Sie haben den Bericht Ihres Kollegen nicht
       gelesen?“ Es bleibt beim Nein.
       
       Auf eine mögliche Einflussnahme durch Diensthöhere zielt auch ein anderer
       Fragenkomplex: Warum, will Sürig wissen, hat D. sich entschieden, in
       Uniform und mit Schusswaffe vor Gericht zu erscheinen? „Es gab da eine
       Dienstanweisung“, sagt die 23-Jährige, „per Mail.“
       
       Auch der nächste Zeuge kommt in Uniform und mit Waffe; Sürigs Frage, warum
       alle fünf polizeilichen Stellungnahmen zur Kontrolle am 14. Mai genau
       zeitgleich am 23. Juni fertig wurden, die kann er nicht beantworten. Doch
       bei der Frage nach der Uniform kommt Sürig bei diesem jungen Polizisten
       nicht weiter. Er selbst habe das entschieden, dabei bleibt der junge
       Beamte. Von Dienstanweisungen ist nicht mehr die Rede.
       
       Dann wird es ein bisschen spektakulär: Während der Befragung meldet sich
       eine Zuschauerin im Publikum. Das Gericht will sie erst abwimmeln –
       Zuschauer haben zum Prozess nichts beizutragen –, aber sie sagt es dann
       doch: „Die Polizisten draußen tauschen sich über das Verfahren aus. Und sie
       lauschen an der Tür.“
       
       ## Der Betroffene hat seit der Kontrolle Panikattacken
       
       Hinten im Raum sitzt noch ein weiterer Polizist, hochgewachsen, in Zivil,
       offenbar ein Freund der anderen, die als Zeugen geladen sind. Sürig bringt
       D. dazu, ihn während der Verhandlung zu identifizieren. Zwischendrin, da
       tippt er auf seinem Handy.
       
       Das Gericht unterbricht die Verhandlung – aber, nun ja, viel Zeit bleibt
       ohnehin nicht mehr an diesem Prozesstag. Es ist fast 17 Uhr, gut sieben
       Stunden wurde verhandelt, mit nur 15 Minuten Pause. Ob nun wirklich
       gelauscht wurde, das lässt sich nicht mehr recht beweisen. Am kommenden
       Freitag werden die letzten drei Zeug*innen gehört, alle Polizist*innen.
       
       S. hätte sich gewünscht, erzählt er später draußen, dass durch einen Sieg
       vor Gericht die [6][Kontrollen aufhören mögen]. Mittlerweile ist das für
       ihn fast egal: Seit der Kontrolle im Mai leidet er unter Panikattacken. Er
       ist seit Monaten krankgeschrieben. „In manchen Wochen schaffe ich nichts,
       außer zweimal zur Therapie zu gehen“, erzählt er. Demnächst läuft sein
       aktueller Arbeitsvertrag aus. „Ich glaube, ich habe sehr vielen Menschen
       helfen können“, sagt S. „Ich war gerne Streetworker. Dass ich es nicht mehr
       sein kann, macht mich fertig.“
       
       17 Dec 2025
       
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