# taz.de -- Brückennotstand in Berlin: Zerbröselnde Flaschenhälse
> Schlechtes Material beim Bau und viel zu große Verkehrsbelastung: Kein
> Wunder, dass viele Berliner Brücken der Reihe nach den Geist aufgeben.
(IMG) Bild: Miese Noten und bald weg: die alte Mühlendammbrücke in Mitte. Das östliche Teilbauwerk ist längst gesperrt und wird nun abgetragen
Weit über 1.000 Brücken hat Berlin – von hölzernen Stegen in Parks bis hin
zur 930 Meter langen Rudolf-Wissell-Autobahnbrücke über die Spree.
Zuständig für ihre Instandhaltung sind je nach Nutzung das Land, die
Deutsche Bahn, die Autobahn GmbH des Bundes oder die BVG. Seit einigen
Jahren klingt das Wort „Brücke“ allerdings zunehmend nach „Problem“. Es
bröckelt an immer mehr Stellen, es folgen Reparatur oder Abriss und Neubau
– bisweilen verschwindet das Bauwerk auch dauerhaft aus dem Stadtbild.
Schuld an der Häufung kritischer Schäden ist unter anderem der Einsatz
bestimmter Baustoffe, vor allem zwischen den 60er und 80er Jahren.
Hauptverdächtiger ist der sogenannte Hennigsdorfer Spannstahl, der
mittlerweile zur sogenannten Spannungsrisskorrosion neigt. Er kam in
Ostberlin zum Einsatz, etwa in der 1968 eröffneten [1][Treptower
Elsenbrücke, die 2018 massive Schäden zeigte] und abgerissen werden musste.
Die Kosten für den Ersatzneubau, der 2028 fertig sein soll, werden bislang
mit knapp 100 Millionen Euro beziffert.
Aber auch der im Westen verbaute „Sigma-Spannstahl“ schwächelt: Die 1978 in
Betrieb genommenen [2][Autobahnbrücke über den Dahlemer Breitenbachplatz]
etwa stellte sich ebenfalls vor einigen Jahren als derart geschädigt
heraus, dass sie nun abgetragen wird – im kommenden Frühjahr soll das
ohnehin ungeliebte Betonmonster ersatzlos verschwinden.
Aus Sicht von Alex Hückler, Professor für Massivbau und Statik an der
Berliner Hochschule für Technik (BHT) sind das nicht unbedingt Sünden der
Vergangenheit, die hätten vermieden werden können: „Bei der Entwicklung
neuer Werkstoffe lässt sich deren Langzeitverhalten nur abschätzen“, sagt
er der taz. „Wir können Modelle aufstellen, aber empirische Erfahrungen
gibt es eben erst am Ende der Lebenszeit eines Materials.“
Verantwortlich ist der Stahl aus Hennigsdorf auch für den [3][miserablen
Zustand der Mühlendammbrücke in Mitte], der Spreeüberquerung zwischen
Alexanderplatz und Leipziger Straße. Von den 120 Brücken in
Landesverantwortung, die laut Senatsverkehrsverwaltung in den kommenden 10
Jahren ersetzt werden müssen – bei geschätzten Kosten von mehr als einer
Milliarde Euro –, geben ExpertInnen ihr die miesesten Noten.
## Bauen mit Bonus
Gerade hat das Haus von Ute Bonde (CDU) den Ersatzneubau ausgeschrieben und
macht gehörig Druck: Im Juni soll es losgehen, nach gut drei Jahren eine
neue Brücke stehen – dafür wird man mit Bonus-Malus-Regelungen arbeiten,
die die ausführenden Firmen für Pünktlichkeit belohnen und für
Verzögerungen bestrafen.
Der Abriss der östlichen Hälfte hat schon begonnen, der Verkehr soll aber
zu keinem Zeitpunkt komplett gesperrt werden: Aktuell führt man ihn über
die westliche Hälfte. Wenn die abgetragen wird, soll die östliche bereits
fertig sein. Massive Staus gibt es dadurch aber schon seit Langem.
Eine andere Materialproblematik hatte [4][die im Juni abgerissene Brücke an
der Wuhlheide], die eine viel befahrene Straßenkreuzung überspannte. Hier
war es der sogenannte Betonkrebs, wissenschaftlich
„Alkali-Kieselsäure-Reaktion“ genannt. Der Beton zersetzt sich dabei und
fängt an zu bröseln und reißen. Wie bei der Brücke über den
Breitenbachplatz spart man sich hier den Neubau.
## Immer mehr und schwerere Autos
Zwei gigantische Projekte der Autobahn GmbH, die sich aktuell in der
Planfeststellung befinden, sind der [5][Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke
und des Autobahndreiecks Funkturm], zu dem etliche kleinere Brückenbauwerke
gehören. Hier kommt ein weiteres grundsätzliches Problem zum Tragen: „Die
Bemessungsmodelle wurden seinerzeit für Belastungen berechnet, die längst
deutlich überschritten werden“, erklärt Alex Hückler von der BHT. „Nicht
nur ist die Zahl der Fahrzeuge, die pro Jahr über einen Straßenabschnitt
fahren, stark gestiegen, sondern auch die Belastung pro Quadratmeter.“ Denn
vor allem die Lkws seien immer schwerer geworden.
Das betrifft auch die [6][Westendbrücke der A100, deren Ersatzneubau gerade
begonnen hat]: Sie war im Gegensatz zu ihrer „Schwester“, der
Ringbahnbrücke, nicht einsturzgefährdet, aber definitiv nicht mehr in einem
akzeptablen Zustand. Ihr Abriss und Neubau war ohnehin geplant und wurde
jetzt einfach vorgezogen.
Sorgen, dass eine Brücke aus heiterem Himmel zusammenbricht, müssen sich
die BerlinerInnen laut Hückler übrigens nicht machen. Dafür sei die
Überwachung zu konsequent: „Wenn bei einer Inspektion in Berlin irreparable
Schäden festgestellt werden, wird sofort gesperrt und zeitnah abgerissen“,
so der Statikexperte. „Dass eine Brücke einstürzt, kann man natürlich
wissenschaftlich betrachtet nie zu 100 Prozent ausschließen. Aber das
Restrisiko ist verschwindend klein.“
7 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Wichtige-Verbindung-ueber-die-Spree/!5552113
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## AUTOREN
(DIR) Claudius Prößer
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