# taz.de -- Umgang mit Männlichkeitsbildern: Die Manosphere in der Schule
> In sozialen Netzwerken gewinnen frauenfeindliche Influencer immer mehr
> Reichweite bei Jugendlichen. Wie Lehrkräfte dagegen ohne Muskeln kämpfen
> können.
(IMG) Bild: Ein Männerbild, wie es der Manosphäre gefällt: Werbetafel auf der Messe FIBO 2024 in Köln
In seinem Video beginnt der muskelbepackte Fitness-Influencer seinen Tag um
4 Uhr morgens mit Liegestützen auf seinem Balkon. Draußen ist es noch
Nacht. Dann filmt er sich, wie er voller Inspiration schreibt, bevor er im
Fitnessstudio joggt und in einem 50-Meter-Außenbecken taucht.
Die Bilder seiner „[1][Morning Routine]“ in einer modernen Wohnung folgen
aufeinander. Darauf sind die Geräusche des Laufbandes, das fließende Wasser
der Dusche und die Küchenschränke zu hören, als er sich um 8.36 Uhr eine
Banane holt. Er isst das Obst und reibt sich die Schale über das Gesicht –
als dritte Hautpflege seines getakteten Rituals.
„Ist das ernst gemeint?“, fragt eine Lehrerin lachend. An diesem Tag
schauen sich etwa 15 Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen das Video
des Fitness-Influencers auf dem Bildschirm im Konferenzraum im Haus der
Kulturen der Welt an. Auf ihrem Schulungsprogramm steht eine Einführung in
der „Manosphere“.
Vor den Augen der Fortbildungsteilnehmer:innen erklären männliche
Influencer in knapp einminütigen Videos, wie man im Leben erfolgreich ist –
und damit auch ein richtiger Mann wird. In solchen Inhalten lässt sich
Männlichkeit in [2][verschiedene Rollen und Subkategorien] einteilen.
## Alpha, Beta, Sigma
Pick-up-Artists – auch Dating-Coach genannt – lehren Verführungskunst bei
Frauen und setzen auf einen besonders muskulösen Körper. Ähnlich wie
sogenannte Männlichkeitscoaches verkörpern sie eine Alpha-Form der
Männlichkeit, also eine starke und führende. Die Incels – unfreiwillige
Singles und deshalb frauenfeindliche Männer – vertreten eine eher nerdige,
„Beta“-Männlichkeit.
Als Neulinge in der Blase und durch [3][ein russisches Poplied] bekannt
gemacht, zeigen sich die „Sigma“-Männer ungestört von sozialen Erwartungen
und Führungsrollen – wobei sie dennoch jedes Mal gewinnen. In den sozialen
Netzwerken präsentieren sich diese stereotypen Influencer als Motivations-,
Fitness-, Finanz- oder Kryptowährungs-Coaches, Berater oder Unternehmer.
Und erreichen damit Millionen von Views und Followern.
Die Zielgruppe ist vielleicht das Einzige, was „Menfluencer“ mit den
Lehrkräften an diesem Nachmittag im Saal gemeinsam haben. Durch die
Fitnessinhalte, die ihm der Algorithmus vorschlägt, habe er geglaubt, einen
Teil der Manosphere schon zu kennen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in
diesem Ausmaß ist …“, sagt Alex*, ein Sozialpädagoge. Immer wieder
schüttelt er den Kopf über das streitsüchtige Verhalten und die homophoben
Äußerungen der Jugendlichen, mit denen er arbeitet. „Aber ich weiß genau,
woher sie das haben.“
Bei ihren Schülern falle auch Julia* oft sexistische Sprache und homophobe
Sprüche auf. „Ich glaube, es ist einfach viel Unwissenheit, warum sie diese
Sprache benutzen. Sie haben Fragen, die sie gar nicht stellen können“, so
die Kunstlehrerin. „Und ich habe den Eindruck, dass sie sich gar nicht
darüber austauschen, was sie in den sozialen Netzwerken sehen“, merkt die
Lehrerin an, die eine Tendenz zur geschlechtlichen Polarisierung
befürchtet. Bis zu 14 Stunden pro Tag würden ihre
Mittelstufenschüler:innen vor Bildschirmen verbringen.
Bundesweit liegt laut [4][einer Studie der OECD] die durchschnittliche
Bildschirmzeit bei 15-Jährigen im Jahr 2024 bei 7 Stunden pro Tag. Unter
den von 14- bis 19-Jährigen am häufigsten genutzten sozialen Netzwerken
stehen Instagram, Tiktok und Youtube [5][ganz oben auf der Liste]. Auf
diesen Plattformen erzielen „Gesundheits“- oder „Motivations“-Inhalte von
Fitness-Influencern Millionen Aufrufe.
Im Dezember 2024 wurde der Tiktok-Kanal der „Finanz-Influencer“ [6][Hoss
und Hopf] wegen der Verbreitung von Falschinformationen aus dem Netzwerk
verbannt. Ihr Podcast verzeichnet weiterhin jeden Monat 150.000 Aufrufe und
ihre jeweiligen Instagram-Konten haben fast 500.000 Follower.
## Identitätskrücke Männlichkeit
Papierkügelchen fliegen durch den Saal des HKW von einem Stuhl zum anderen.
Auf die Vorderseite der Blätter sollten die Lehrkräfte die Adjektive
schreiben, die ihnen als Erstes einfallen, um einen „echten Mann“ zu
beschreiben. Unter anderem also: cool, stark, brotverdienend, nicht an
Emotionen interessiert, muskulös. Auf der Rückseite der Blätter stehen die
Charakterzüge, die die Lehrkräfte an ihren männlichen Angehörigen schätzen.
Das heißt: selbstreflektiert, loyal, privilegienbewusst und fähig, über
Emotionen zu reden.
Wenn der Fortbildungsleiter und Sozialpädagoge Till Dahlmüller diese Übung
mit Schulklassen durchführt, tauchen auf den Blättern der Jugendlichen
meist Begriffe aus der „Manosphere“ auf. Oft würden sich die Kategorien
dessen, was einen „echten Mann“ ausmacht, und dessen, was an männlichen
Freunden geschätzt wird, überschneiden.
„Durch den Bilderstrom schleichen sich bestimmte Bilder und Gefühle bei
vielen Jugendlichen unbewusst ein“, erklärt Dahlmüller. Seit 2022 arbeitet
er beim Institut Dissens e. V. und leitet Workshops für Jugendliche sowie
Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema Männlichkeit. Die besonders große
Auffälligkeit junger Männer für solche antifeministischen und teilweise
auch queerfeindlichen Inhalte müsse in einen globalen antifeministischen
politischen und sozialen Wandel eingeordnet werden, so Dahlmüller. Die
junge Generation sei auch von Klima-, Wirtschafts- und Gesundheitskrisen
geprägt.
Hingegen versprechen maskulinistische Influencer ihnen eine
Handlungsfähigkeit, die allein von der eigenen Selbstbestimmung abhängt und
einfache Antworten auf komplexe Orientierungsfragen bietet. Zu Fragen der
queeren Identität bieten Menfluencer, Orientierung, indem sie behaupten, es
gebe nur zwei Geschlechter, fasst Dahlmüller zusammen. In einem Alter, in
dem es darum geht, sich in jeder Hinsicht zu beweisen, um dazuzugehören und
Anerkennung zu finden, sind diese Inhalte gefährlich.
Im Dialog mit den Schülern gehe es also darum, ihre Bedürfnisse zu
verstehen und ihnen Alternativen anzubieten. „Wenn das Selbstwertgefühl
auch aus Freundschaften, dem familiären Umfeld oder einem Hobby gezogen
wird, dann wird die ‚Identitätskrücke‘ Männlichkeit weniger gebraucht“, so
Dahlmüller.
Seit 2024 leitet er auch „[7][Peers-to-Peers“-Workshops an Schulen]. Dabei
haben Schüler:innen – sowohl in reinen Jungen- als auch in
gemischtgeschlechtlichen Gruppen – die Möglichkeit, sich mit 20-Jährigen
über ihre Gefühle, ihre Wahrnehmung von Geschlechterstereotypen und die von
ihnen konsumierten Inhalte auszutauschen.
Doch mit diesem Ansatz kommen geschulte Lehrkräfte und ihre Workshops an
der Schule schon zu spät. „Meistens kommen wir eher als Feuerwehr, wenn das
Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sagt Dahlmüller. „Räume und
pädagogische Konzepte, in denen diese Anforderungen entlastet werden und
über sie gesprochen werden kann, sollten bereits ab der Kita erarbeitet
werden.“
*alle Vornamen geändert
22 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.faz.net/aktuell/sport/sport-tipps/ashton-hall-und-seine-morning-routine-hauptsache-obst-im-gesicht-110545573.html
(DIR) [2] https://www.scripts-berlin.eu/publications/working-paper-series/Working-Paper-57-2025/index.html
(DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=ueNY30Cs8Lk
(DIR) [4] https://www.oecd.org/en/publications/how-s-life-for-children-in-the-digital-age_0854b900-en.html
(DIR) [5] https://mpfs.de/app/uploads/2025/11/JIM_2025_PDF_barrierearm.pdf
(DIR) [6] /Hoss-und-Hopf-auf-Tiktok-gesperrt/!5989148
(DIR) [7] https://www.dissens.de/projekte/aktuelle-projekte/maskulinistischen-influencern-mit-p2p-ansaetzen-begegnen
## AUTOREN
(DIR) Gabrielle Meton
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