# taz.de -- Suizid in Untersuchungshaft: Wieder ein Einzelfall
> In Lübeck hat sich ein Mann in der Untersuchungshaft das Leben genommen.
> Es ist nicht der erste Fall dort. Suizide kommen in allen Gefängnissen
> vor.
(IMG) Bild: Das Risiko, dass sich Menschen hier das Leben nehmen, ist viel höher als draußen: Zellentrakt im Gefängnis Lübeck
In der Lübecker Untersuchungshaft ist vergangenen Samstagmorgen ein
Gefangener tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Der 65-Jährige hatte
Suizid begangen. Dies gab die Justizvollzugsanstalt (JVA) Lübeck bekannt,
zu der auch die Untersuchungshaft gehört.
Die Kriminalpolizei, die bei Todesfällen im Gefängnis regelmäßig ermittelt,
hat den Fall bestätigt: Demnach saß der Mann seit dem 26. August wegen des
Verdachts des versuchten Mordes in Untersuchungshaft. Er war in seiner
Zelle allein untergebracht.
Polizei und Staatsanwaltschaft erheben keine Zahlen darüber, wie viele
Menschen sich in der Untersuchungshaft der JVA Lübeck das Leben genommen
haben.
Auf Anfrage der taz listet deren Pressestelle elf Fälle von Suiziden in dem
Gefängnis seit 2015 auf. Davon ereigneten sich fünf in der
Untersuchungshaft: im März 2021, im Februar 2022, im Juni und im September
2023 sowie der aktuelle Fall.
Elf Suizide in zehn Jahren in einem Gefängnis – gibt es dort besonders
viele Selbsttötungen? Nein, meint das Justizministerium des Landes. Ein
Sprecher sagte bereits 2023 [1][auf Nachfrage der Lübecker Nachrichten], es
könne über Jahre kaum Vorfälle geben, während es in bestimmten Jahren zu
einer Häufung kommen könne.
Zum Vergleich: In allen sechs Hamburger Gefängnissen haben sich
[2][zwischen 2013 und 2022 insgesamt 20 Menschen das Leben genommen]. Das
hat eine Studie des Universitätsklinikums Eppendorf ergeben. Auch hier gab
es die meisten Fälle (13) in [3][Untersuchungshaft.]
## Die Last des Verdachts
In Untersuchungshaft (U-Haft) sitzen Menschen, die noch nicht von einem
Gericht zu einer Strafe verurteilt wurden. Dies setzt voraus, dass sie
dringend einer Straftat verdächtigt werden oder sogenannte Haftgründe wie
Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr vorliegen. U-Haft wird von
einer*m Richter*in angeordnet.
Suizide in Haft oder in Polizeigewahrsam kommen immer wieder vor. Sie sind
die häufigste Todesursache im Gefängnis. Zu den meisten Selbsttötungen
kommt es in der Untersuchungshaft.
Seit dem Jahr 2000 werden [4][alle Suizide in deutschen Gefängnissen
systematisch erfasst]. Von 2000 bis 2023 haben sich insgesamt 1.794
Inhaftierte das Leben genommen.
Das entspricht einem Durchschnitt von 74,8 Gefangenen pro Jahr. [5][In den
vergangenen Jahren ist die Zahl der Menschen in Haft, die sich das Leben
genommen haben, gestiegen].
## Haft ist ein Risiko
[6][Das Risiko, in Haft Selbstmord zu begehen], ist weltweit drei- bis
zwölfmal höher als außerhalb von Gefängnissen. Die unterschiedlichen
Suizidraten lassen sich jedoch nicht vergleichen.
Inhaftiert sind viel weniger Frauen als Männer, die auch in Freiheit ein
erhöhtes Suizidrisiko haben. Gefangene sind außerdem häufiger von anderen
Risikofaktoren wie Armut und psychischen Erkrankungen betroffen.
In der Diskussion um Suizide in Gefängnissen geht es immer wieder um
Transparenz. So sorgte etwa die Praxis der Hamburger Justizbehörde für
Kritik, seit 2019 [7][keine Pressemitteilungen mehr herauszugeben, wenn
sich Menschen in Haft das Leben nehmen.] Die Behörde begründete diesen
Schritt unter anderem mit dem Pressekodex, der Zurückhaltung bei der
Berichterstattung über Suizide festschreibt.
Die Selbsttötung des Gefangenen am vergangenen Wochenende in der Lübecker
Untersuchungshaft werde derzeit noch aufgearbeitet, so ein Sprecher der
JVA. „Ob in diesem Fall spezifische Konsequenzen gezogen werden, lässt sich
derzeit noch nicht abschließend beantworten.“ Suizidprävention nehme in der
Arbeit der JVA jedoch einen hohen Stellenwert ein.
## Im Podcast berichten Häftlinge vom Knastalltag
Die Gefangenen der JVA Lübeck kommen seit einiger Zeit in einem eigenen
Podcast selbst öffentlich zu Wort: [8][In „Gefängnisgeflüster“ berichten
sie vom Knastalltag].
In einer Folge geht es darum, was sie am meisten vermissen. „So einen Abend
sich rauszusetzen und den Himmel anzugucken“, sagt ein Mann, „so ganz
normale Dinge, die man gar nicht als Besonderheiten wahrnahm draußen“.
Haben Sie suizidale Gedanken? Dann sollten Sie sich unverzüglich ärztliche
und psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden Sie sich an die nächste
psychiatrische Klinik oder rufen Sie in akuten Fällen den Notruf an unter
112. Eine Liste mit weiteren Angeboten finden Sie unter
[9][taz.de/suizidgedanken].
25 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.ln-online.de/der-norden/selbstmorde-feuer-in-den-jvaen-in-schleswig-holstein-starben-in-fuenf-jahren-24-gefangene-ALMFVFZDVBBLNCCF7ST6A52QGY.html
(DIR) [2] https://www.springermedizin.de/suizid/suizid/suizidpraevention-im-hamburger-strafvollzug-analyse-der-faelle-2/51704646#:~:text=Seit%201962%20werden%20Suizidf%C3%A4lle%20im%20Hamburger%20Strafvollzug,an%20und%20untersucht%20die%20Suizide%20von%202013%E2%80%932022.
(DIR) [3] /Tod-im-Hamburger-Untersuchungsgefaengnis/!5285777
(DIR) [4] https://www.bag-suizidpraevention.de/wp-content/uploads/suizide-von-inhaftierten_2000-2023.pdf
(DIR) [5] /Justizvollzug-in-Deutschland/!5957365
(DIR) [6] https://tatort-zukunft.org/2025/01/27/fakt-2-suizide-im-gefaengnis/
(DIR) [7] /Informationen-ueber-Gefaengnis-Suizide/!5563242
(DIR) [8] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/jva-luebeck-podcast-gibt-einblicke-in-leben-hinter-gittern,jvaluebeck-100.html
(DIR) [9] /Hilfsangebote-bei-suizidalen-Gedanken/!6009869
## AUTOREN
(DIR) Amira Klute
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