# taz.de -- Gewalt im Westjordanland: Mit dem Bulldozer durch die Camps
       
       > Ein neuer Bericht von Human Rights Watch wirft Israel Kriegsverbrechen in
       > den Flüchtlingslagern des Westjordanlands vor. Mindestens 850 Häuser sind
       > nicht mehr bewohnbar.
       
 (IMG) Bild: Immer wieder gibt es im Flüchtlingslager Tulkarm Auseinandersetzungen der lokalen Zivilbevölkerung mit dem Militär
       
       In einer Straße aus Schotter und Staub, vor heruntergelassenen Rolltoren,
       stehen Frauen in Kopftüchern und langen Kleidern und streiten sich mit
       Soldaten in olivgrüner Uniform mit Maschinengewehren im Anschlag. „Wir
       werden zurückkehren“, schreien die Frauen, einige heben Protestschilder,
       andere Kinder in die Luft.
       
       Die staubige Straße befindet sich [1][in der Nähe von Tulkarem, einer Stadt
       im Westen des Westjordanlands], die Szene ist Teil eines Videos, das vor
       zwei Tagen in den sozialen Netzwerken zirkulierte. Es zeigt Menschen am
       Eingang des Flüchtlingslagers Nur Shams, die vergeblich versuchen, zu ihren
       Häusern im Camp zurückzukehren. [2][Israelische Soldaten verhindern dies],
       zerren die Demonstrierenden weg vor den Augen der Fotografen. Ein
       Journalist wird dabei verletzt.
       
       Die Männer und Frauen protestieren, weil sie vor zehn Monaten aus ihrem
       Wohnort vertrieben wurden. So wie die Einwohner*innen zwei weiterer
       Camps im Westjordanland – Dschenin und Tulkarm. Ein Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit, findet die internationale Menschenrechtsorganisation Human
       Rights Watch (HRW). In einem neuen Bericht wirft HRW der israelischen
       Regierung Kriegsverbrechen und Verletzungen des humanitären Völkerrechts in
       den drei Flüchtlingslagern vor.
       
       [3][Während der sogenannten Militäroperation „Eiserne Mauer“ im Januar und
       Februar 2025] hat Israel die Bevölkerung der drei Camps vertrieben, etwa
       32.000 Menschen. Deren Häuser sind teilweise zerstört oder beschädigt
       worden, mindestens 850 sind nicht mehr bewohnbar. Bislang ist es den
       Einwohner*innen nicht gestattet, nach Hause zurückzukehren. Menschen,
       die dies versuchten, würden mit Schüssen zurückgewiesen. Laut der
       Organisation ist dies Teil einer Politik der ethnischen Säuberung.
       
       ## Mangel an alternativer Versorgung
       
       Diese sei „kein juristischer Straftatbestand, beschreibt aber tatsächlich,
       wie methodisch die israelischen Streitkräfte da vorgegangen sind, um 32.000
       Menschen aus diesen Lagern zu vertreiben und ihnen dann die Rückkehr in
       diese Lager zu verwehren“, sagt Philipp Frisch, Direktor von HRW
       Deutschland. HRW fordert, dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen
       werden und internationale Regierungen gezielt Sanktionen verhängen.
       [4][Deutschlands jüngste Aufhebung des Exportstopps für Rüstungsgüter an
       Israel] sei ein gefährliches Signal, so Frisch.
       
       Die Gewalt bei der Vertreibung spiele ebenfalls eine Rolle, so wie der
       Mangel an alternativer Versorgung. Wohngebäude seien mit Bulldozern
       plattgemacht worden, die Menschen per Lautsprecher und Drohnen aufgefordert
       worden, ihre Häuser zu verlassen, schreibt die Organisation. Viele suchten
       Zuflucht bei Verwandten in den Städten oder in Moscheen und Schulen. Doch
       wann und ob sie in die Camps zurückkehren können, ist unklar.
       
       Die Genfer Konventionen sehen vor, dass Vertreibungen nur aus
       unumgänglichen militärischen Gründen erfolgen können. Die Bevölkerung muss
       dann humanitär versorgt werden und zurückgelassen werden, sobald die
       Gefechte in dem Gebiet zu Ende sind.
       
       Palästinensische Flüchtlingslager im Westjordanland sind wie kleine Städte
       organisiert, mit Häusern aus Zement, Restaurants und Geschäften. Die
       Familien leben dort [5][seit den Flucht- und Vertreibungswellen in den
       Jahren 1948 und 1967]. Das Recht auf Rückkehr in ihre Häuser auf heutigem
       israelischem Boden ist ein wichtiger Streitpunkt bei den [6][Verhandlungen
       im Nahostkonflikt].
       
       ## „Umgestalten und stabilisieren“
       
       Zu den Vorwürfen schreibt das israelische Militär, die Operation in den
       Camps sei erfolgt, weil die Camps eine Sicherheitsbedrohung darstellten.
       Mitglieder von Terrorgruppen, unter anderem der Hamas, wären dort zunehmend
       anwesend. [7][Die Präsenz von Militanten beschrieb auch die taz]. Die dicht
       bebauten Siedlungen seien dafür ideal gewesen.
       
       Bei der Operation habe man Waffen und Bombenlabore entdeckt. Die Suche habe
       viel Zeit in Anspruch genommen, und die Streitkräfte würden weiterhin an
       der Beseitigung solcher Infrastruktur arbeiten. Dabei will das Militär das
       Gebiet „umgestalten und stabilisieren“. Man wolle neue Straßen bauen, was
       den Abriss von Gebäuden erfordert, und die Bewohner*innen hätten genug
       Zeit gehabt, um vor Gericht dagegen vorzugehen. Das Oberste Zivilgericht
       habe deren Einsprüche abgelehnt.
       
       Die Frage, ob und wann die Campbewohner*innen zurückkehren dürfen,
       ließen die israelischen Behörden unbeantwortet.
       
       21 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fluechtlingscamp-im-Westjordanland/!6010017
 (DIR) [2] /Protest-gegen-Gewalt-im-Westjordanland/!6129812
 (DIR) [3] /Kaempfe-im-Westjordanland/!6072230
 (DIR) [4] /Waffenliefrung-nach-Israel-Deutschland-zuendelt-wieder-mit/!6126284
 (DIR) [5] /Politologe-ueber-Israel-heute/!5926447
 (DIR) [6] /Krieg-im-Nahen-Osten/!5981731
 (DIR) [7] /Fluechtlingscamp-im-Westjordanland/!6010017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Serena Bilanceri
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Westjordanland
 (DIR) Human Rights Watch
 (DIR) Hamas
 (DIR) Israel Defense Forces (IDF)
 (DIR) Nahost-Debatten
 (DIR) Reden wir darüber
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Jair Lapid
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Nahost-Debatten
 (DIR) Westjordanland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Von Israel besetztes Westjordanland: Hinrichtung mit Augenzeugen
       
       Bei einem Einsatz im Westjordanland erschießen israelische Soldaten zwei
       unbewaffnete Männer. Aufnahmen von diesem Vorfall sorgen für Empörung.
       
 (DIR) Proteste in Israel: „Schick die Regierung des Massakers nach Hause“
       
       Noch immer verhindert Premier Netanjahu eine unabhängige Untersuchung des
       Hamas-Angriffs vom 7. Oktober 2023. Dagegen gehen Tausende auf die Straßen.
       
 (DIR) Winter in Gaza: Leben im durchnässten Zelt
       
       Am Wochenende wurden die Menschen in Gaza von schweren Unwettern getroffen.
       Hilfsgüter sind rar, Hunderttausende in Not. Zwei Palästinenser berichten.
       
 (DIR) Siedlergewalt im Westjordanland: Es gilt das Recht des Stärkeren
       
       Seit Jahren ist das Leben im Westjordanland von Gewalt und Unrecht geprägt.
       Die Lage spitzt sich immer weiter zu – und kaum jemand schaut hin.
       
 (DIR) Gewalt im Westjordanland: Oscars, Olivenbäume, Ohnmacht
       
       In Masafer Yatta fürchten Palästinenser*innen die Siedlergewalt.
       Einen berühmten Filmemacher traf es bereits. Eine Reise durch ein
       zerrissenes Land.