# taz.de -- Auseinandersetzung mit Identität: „Ich wurde in Deutschland erst wirklich jüdisch“
       
       > Yfaat Weiss leitet das Dubnow-Institut in Leipzig. Ein Gespräch über
       > jüdische Existenz, historische Verantwortung – und die Schönheit von
       > Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Yfaat Weiss kam nach Deutschland, um die Arbeiterbewegung zu erforschen. Dann zog es sie zur jüdischen Geschichte
       
       Das „[1][Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon
       Dubnow]“ befindet sich in einem schön renovierten Gründerzeitbau in Leipzig
       und feiert in diesen Tagen seinen 30. Geburtstag. Die Historkerin Yfaat
       Weiss ist Direktorin dieses allgemein nur Dubnow-Institut genannten Hauses.
       Wir sind an einem Vormittag im Oktober verabredet, Yfaat Weiss führt in ihr
       Büro, ein wenig Kunst, ein schöner, großer Tisch, etwas Sonne scheint
       herein, eine Wand ist voller Bücher. Sie fragt: „Möchten Sie einen Kaffee
       aus Israel?“, Pulverkaffee, türkische Art – ja, gern. 
       
       taz: Frau Weiss, Ihr Institut kümmert sich seit 30 Jahren um jüdische
       Geschichte und Kultur. Ein Traumjob? 
       
       Yfaat Weiss: Ja, natürlich. Ich arbeite auch an der Hebräischen Universität
       in Jerusalem, aber hier am Institut in Leipzig geht es um mein Kernthema,
       es ist keine Nebenbeschäftigung, sich der jüdischen Geschichte und Kultur
       zu widmen. Jüdische Existenz im 20. Jahrhundert – das ist mein
       Forschungsgebiet.
       
       taz: Jüdische Existenz? 
       
       Weiss: Ja, genau dieses Wort. Ich erlebe mein Thema auch als existentiell.
       
       taz: Ist das naheliegend als Israelin? 
       
       Weiss: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich bin 1983 zum Studium nach
       Deutschland gezogen, nach Hamburg. Ich kam mit dem festen Vorsatz, mich mit
       der Geschichte der Arbeiterbewegung zu befassen. Das war nicht wirklich
       überraschend, sondern eine Folge meiner sozialdemokratischen Sozialisation
       in Israel. Eher beiläufig besuchte ich auch das Institut für die Geschichte
       der deutschen Juden …
       
       taz: … gegründet 1966, außeruniversitär mitten im Grindelviertel, das
       früher das jüdische Viertel der Stadt war … 
       
       Weiss: Am Anfang dachte ich: Das interessiert mich gar nicht. Schön, dass
       es das gibt, aber mich geht das in Hamburg nichts an. Doch je länger ich
       ins Studium der Geschichte hineinfand, Seminare besuchte, Hausarbeiten
       schrieb, desto stärker zog mich das Thema an.
       
       taz: Warum? 
       
       Weiss: Weil ich während meiner Zeit in Deutschland mehr und mehr merkte,
       nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein, sondern, zumal als Israelin,
       Teil einer Minderheit. In Israel jüdisch zu sein ist nicht besonders
       relevant. Ich meine, klar, es ist wichtig, aber es ist eine Zugehörigkeit,
       die ich in einer jüdischen Mehrheitsgesellschaft kaum reflektiere. Erst mit
       dem Wechsel nach Hamburg kam ich ins Nachdenken.
       
       ## Durch negative Erfahrungen wurde jüdische Geschcihte mein Thema 
       
       taz: Sie fühlten sich erst in Deutschland wirklich jüdisch? 
       
       Weiss: Wir waren drei aus Israel, die zum Studium nach Hamburg gekommen
       waren, wir fielen an der geisteswissenschaftlichen Fakultät auf, wir
       weckten sogar Interesse. Kein Vergleich mit Erfahrungen jüdischer
       Studierender an Berliner Universitäten heute, die angefeindet werden. So
       war es damals natürlich nicht. Es gab trotzdem wenig Verständnis für die
       Pluralität von Biografien. Wir Israelis kannten Themen wie Flucht und
       Verfolgung aus unseren eigenen Familiengeschichten. Doch in Hamburg
       verschloss man sich gegen uns.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Weiss: Zum Beispiel in den Seminaren eines Osteuropa-Professors, in dessen
       Büro eine große Karte von 1937 hing. Jüdische Geschichte, wenn sie
       überhaupt mal Gegenstand war, kam ohne jüdische Sprachen aus. Bürgerliches
       wurde [2][als Klassenfrage], nicht als eine Kulturform auch des Jüdischen
       in Europa verstanden. Letztlich waren es diese Erfahrungen, die dazu
       führten, dass die jüdische Geschichte zu meinem Thema wurde.
       
       taz: Warum sind Sie überhaupt nach Deutschland gekommen? Ihre Familie
       stammt ja aus Polen und Litauen. 
       
       Weiss: Dort kam man nicht hin, lag hinter dem Eisernen Vorhang. Es fehlte
       an Zugang zu allem. Deutschland war diesen Ländern am nächsten.
       
       taz: Konnten Sie schon Deutsch? 
       
       Weiss: Ganz wenig, ich habe aus schierer Neugier ein Jahr Deutsch in einem
       Abendkurs gelernt. Deutschland war sehr präsent in Israel in den Siebziger-
       und Achtzigerjahren. Über Bücher von Heinrich Böll und Günter Grass, über
       Filme von Werner Herzog und Rainer Werner Fassbinder. Die [3][„Gruppe 47“]
       und der „Neue Deutsche Film“ waren in Israel sehr populär. Die Tabus gegen
       alles, was Deutsch ist, gingen zurück.
       
       taz: Ärgerte es Sie, dass es in der älteren Generation einige gab, die die
       deutsche Kultur boykottierten? 
       
       Weiss: Nein, das fand ich verständlich. Zugleich zog mich diese neue
       deutsche Kultur an. Ich war Anfang 20. Als junge Person, erschreckt man
       nicht so leicht, auch damals nicht vor deutscher Kultur. Außerdem, mit dem
       Blick zurück, würde ich sagen, wuchs ich in eine aufgeschlossene Tradition
       hinein. Mein Vater und mein Onkel hatten es vorgemacht – beide suchten
       Kontakt zu Polen und Ukrainern und fanden sie auch. Und so habe auch ich
       auf natürliche Weise und unbefangen Kontakt nach außen, in meinem Fall nach
       Deutschland, gesucht.
       
       taz: 1979 wurde in der Bundesrepublik die amerikanische TV-Serie
       „[4][Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss]“ ausgestrahlt, die die
       Schrecken der Shoa am Beispiel einer fiktiven jüdischen Familie zeigte. Nur
       wenige Jahre später kamen Sie nach Hamburg, sie tragen denselben Nachnamen.
       War das ein Thema? 
       
       Weiss: Das bekam ich kaum mit. Ich habe später eine Folge dieser Serie
       gesehen, glaube ich. Ich dachte vor allem, dass ich mit meinem
       Familiennamen, der der gleiche ist wie der der jüdischen Familie in
       „Holocaust“, als jüdisch erkennbar bin. Aber in Hamburg unter den linken
       Studierenden waren, als ich ankam, andere Themen wichtig, ja, zentral:
       [5][„Pershing II“], die Friedensbewegung. Von diesen Themen hatte ich in
       Israel keine Ahnung, null.
       
       taz: Was sahen Sie im Deutschland jener Zeit? 
       
       Weiss: Als wir kurz nach unserer Ankunft, noch in München, an einem
       Novembertag spazieren waren, gab es einen großen Menschenauflauf,
       vielleicht war es am Odeonsplatz, und wir wussten nicht warum. Der Freund,
       dessen Mutter aus Hamburg kam, der also gut Deutsch konnte, fragte eine
       Passantin, was denn los sei. Irgendein großer Anlass war da, das merkten
       wir ja. Und hörten: [6][Es sei Volkstrauertag].
       
       Es ginge um Soldaten. Wir begriffen – nichts. Dann fragte er leicht
       verwirrt nach: Welche Soldaten? Die der Weltkriege. Ein Schock für uns,
       aber okay, so war es nun einmal. An den Universitäten wiederum gab es
       dauernd Demonstrationen der Friedensbewegung.
       
       ## Wenig Verständnis von Mitmenschen
       
       taz: Was verbanden Sie damals mit diesen Erlebnissen? 
       
       Weiss: Wir hatten ganz andere Sorgen. Wir kamen aus Israel, der erste
       Libanonkrieg war eben vorbei, Israels Armee war auf dem Rückzug. Dabei auch
       Freunde von mir als Reservisten, und ich erwähnte einem deutschen
       Kommilitonen gegenüber, dass das jetzt gefährlich sei, man ist ja
       angreifbar auf einem militärischen Rückzug.
       
       taz: Und was erwiderte er? 
       
       Weiss: Er, sympathisch und sehr interessiert, verstand mich nicht, wie ich
       auch seine Erfahrungen nicht verstand. Ein Gefälle von Erlebnissen, nichts
       weiter. Er sagte dann noch, dass ich gewiss nicht erwarte, dass er Mitleid
       mit mir habe. Er hat mir gute Dienste geleistet mit diesem offenen Wort.
       Ich könnte ihm nicht begreiflich machen, dass man für einen Rückzug sein
       kann und dennoch Angst um die eigenen Freunde haben kann. Den Unterschied
       zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik habe ich an diesem Tag
       verstanden, ohne die Begriffe damals zu kennen, und ohne zu wissen, dass
       die Unterscheidung von Max Weber stammt.
       
       taz: Der Kommilitone war offenbar nicht in der Lage, sich in Ihre
       Perspektive hineinzudenken, oder? 
       
       Weiss: Das auch.
       
       taz: Sie leben in Deutschland … 
       
       Weiss: In Israel und längere Phasen auch in Deutschland… über 40 Jahre, ja
       …
       
       taz: … wie sehen Sie Deutschland heute? 
       
       Weiss: Ich bewege mich in sehr, sehr beschränkten Kreisen. Ich würde es
       nicht als bubble verstehen, eher als schmale Straße. Die Leute um mich
       herum leben ein deutsches Leben, haben eine deutsche Familie – ich bewege
       mich unter Kollegen und Kolleginnen, einige sind enge Freunde geworden. Das
       ist für mich in Israel anders, da habe ich viele Freunde und Bekannte,
       alles ist durchlässiger, und ich habe dort auch Familie.
       
       taz: Woher kommt die Distanz, falls ich das so formulieren darf, zu
       Deutschland? 
       
       Weiss: Ich weiß es nicht, ich denke seit Langem darüber nach und werde es
       weiterhin tun. Hat es etwas mit Vertrauen zu tun? Deutsche und
       jüdisch-israelische Biografien unterscheiden sich, auch heute noch.
       
       ## Befurstätigkeit von Frauen war normal
       
       taz: Ein Beispiel? 
       
       Weiss: Ich komme, wie viele andere Israelis auch, aus einer Familie, in der
       alle Frauen berufstätig waren und sind. Als ich nach Deutschland kam, waren
       die meisten Mütter meiner Kommilitonen Hausfrauen. Ich begriff im Laufe der
       Jahre, dass sie das bis heute prägt. Meine Familie stammt ja aus Osteuropa,
       war nicht mitteleuropäisch bürgerlich, die Frauen mussten für das
       Familieneinkommen arbeiten. Distanz zu Deutschland? So würde ich es auch
       nicht nennen. Eher ist es so, dass ich so intim, wie ich in meiner
       Studentenzeit gesprochen habe, heute nicht mehr sprechen würde. Die
       politischen und kulturellen Situationen unterscheiden sich.
       
       taz: Heißt das, dass sie keine Lust mehr darauf haben, sich auszutauschen? 
       
       Weiss: Von mangelnder Lust sprach ich nicht, ich bin nur vorsichtig
       geworden. Wir sitzen jetzt hier in Leipzig. Hier, auf dem Gebiet der
       früheren DDR, die bis 1990 existierte, leben Menschen mit gebrochenen
       Biografien. Hier ging eine Welt zu Ende, damit müssen die Menschen umgehen.
       Das ist mir sehr sympathisch und vertraut, ich erkenne eine Ähnlichkeit in
       der Weise, wie man mit Brüchen umgeht.
       
       taz: Sie tragen seit langem Verantwortung für Ihr Institut, nicht wahr,
       zumal nach dem [7][7. Oktober]? 
       
       Weiss: Man muss mit Ressentiments rechnen, gerade nach diesem Krieg im
       Nahen Osten. Ich frage mich aber: Wie verbinde ich mein Dasein mit meinen
       Aufgaben, als eine Person, die eine der größten Einrichtungen für jüdische
       Geschichte und Kultur leitet? Diese Themen haben durch die politischen
       Ereignisse keinen Millimeter an ihrer Dringlichkeit verloren. Die jüdische
       Geschichte soll nicht an den Handlungen Israels leiden. Es gibt bestimmt
       Personen, die diese jüdische Geschichte gern loswerden würden. Meine
       Aufgabe ist es, die Schönheit dieser Themen zu bewahren.
       
       taz: Schönheit? 
       
       Weiss: Ich nutze das Wort bewusst, auch wenn man es im deutschen Kontext
       nicht erwarten würde. Jüdische Geschichte und Kultur als eigene Welt, in
       ihrer Schönheit, nicht nur im Kontext von Antisemitismus und Anfeindungen.
       Die Geschichte der Juden als Akteure, als Subjekte und als Kollektiv.
       
       taz: Sie lehren auch an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Welche
       Unterschiede gibt es zum Leibniz-Institut für Sie? 
       
       Weiss: Mein Leben in Israel ist mir sehr wichtig, ich fühle mich dort
       zugehörig. Natürlich auch dort das Wissenschaftliche, die Bibliotheken,
       Archive, die Kollegen und Gelehrten an der Universität. Wenn ich dort an
       der Uni bin, gibt es für mich immer wichtige Begegnungen, etwa ein
       interessantes, tiefgründiges Gespräch.
       
       taz: Sprechen Sie dort anders? 
       
       Weiss: Ich kommuniziere in Israel offen, auch an der Universität. Wir
       fragen uns natürlich, was sich mit und nach dem Krieg verändert hat. In
       Israel kann ich Differenzen bei diesem Thema besser aushalten.
       
       taz: Seit 1995 existiert das Leibniz-Institut für jüdische Kultur und
       Geschichte – Simon Dubnow nun. Wie kam es zur Gründung? 
       
       Weiss: Es ist in Zeiten der Hoffnung entstanden, in mehrfacher Hinsicht. Es
       galt nachzuholen, was in der DDR nicht vorhanden war und falsch dargestellt
       wurde, was in ein falsches Licht gerückt worden war. Mitte der
       Neunzigerjahre war auch in Israel eine gute Zeit – bis zur Ermordung
       Jitzchak Rabins, dem Ministerpräsidenten. Das Institut sollte sich auch mit
       der jüdischen Geschichte Osteuropas beschäftigen und in Kontakt treten mit
       Kollegen und Kolleginnen, mit Institutionen in Polen, Tschechien, Litauen.
       Millionen Juden haben in Osteuropa bis zum Zweiten Weltkrieg gelebt – deren
       Geschichte und Kultur galt und gilt es zu bergen.
       
       taz: Behindert der [8][russische Krieg gegen die Ukraine] Ihre Arbeit? 
       
       Weiss: Unsere Arbeit geht weiter, aber in den letzten Jahren müssen wir mit
       großer Dringlichkeit an sie herangehen. Man muss sich schneller um die
       Sachen kümmern. In November 2021 eröffneten wir bei uns eine Ausstellung
       von Rita Ostrowska, mit Fotografien die sie in den 1980er Jahren von
       jüdischen verlassenen Friedhöfen und Synagogen gemacht hat. Drei Monaten
       später waren die fotografierte Orte Kriegsschauplätze.
       
       taz: Sie sind Historikerin, Sie haben sich nicht Gefühlen hinzugeben – doch
       beschleicht Sie nicht gelegentlich im Angesicht alter Fotografien vor der
       Shoah so etwas wie Melancholie? 
       
       Weiss: In meinem Beruf geht es tagtäglich um Dinge der Vergangenheit.
       Melancholisch? Werde ich selten. Wenn ich mir Schulalben von jüdischen
       Jugendlichen aus Polen und Litauen aus den Zwanziger- und frühen
       Dreißigerjahren anschaue, weiß ich aus plausiblen Gründen, warum die
       meisten so hoffnungsvoll gucken. Auf den Fotografien sieht man eine gewisse
       Modernität, die Jugendlichen kamen oft aus „Schtetl“ und gingen in die
       Städte, weil dort die Gymnasien waren.
       
       Die Moderne war verbunden mit Fortschritt: Da wird was wachsen. Auf den
       Bildern sieht man das an den Haarschnitten, an den kürzer werdenden Röcken,
       an den Brillen, die kürzeren Ärmel – sie wären noch kürzer geworden, wenn
       die Zeit es erlaubt hätte. Aber die Zeit hat es eben nicht erlaubt. Es gab
       einen Cut. Ich käme deshalb nicht auf das Wort Melancholie. Sondern auf:
       Trauer.
       
       taz: Stumpfen die Blicke auf diese Fotografien irgendwann ab? 
       
       Weiss: Nein. Wir haben momentan im Haus eine Ausstellung über jüdisches
       Leben im Nachkriegs-Polen. Es hängen dort viele Fotos, die einen berühren.
       Weil sie die Zerbrechlichkeit von jüdischer Existenz offenbaren.
       
       taz: Ist Ihr Institut nach dem 7. Oktober 2023 angefeindet worden? 
       
       Weiss: Eine komplizierte Frage, ich würde aber sagen: nein, nie! Das mag
       auch ein Resultat davon sein, dass wir ständig als Institut agieren, nicht
       nur reagieren. Wir sagen immer offen: Wir sind ein Institut für jüdische
       Geschichte und Kultur. Wir sind keine jüdische Institution. Die
       Mitarbeitenden sind mit wenigen Ausnahmen Nichtjuden. Die israelischen
       Kollegen und Kolleginnen haben es aktuell nicht leicht. Sie sind unsere
       engen Partner. Wir halten die Balance, wir lassen uns nicht vereinnahmen,
       von niemandem.
       
       ## Durch Gaza-Krieg alte Ressentiments freigesetzt
       
       taz: Wie geht es mit Ihrer Arbeit weiter? Nichts scheint moralisch so
       diskreditiert wie Israel. 
       
       Weiss: Seit Kurzem ist der Krieg im Nahen Osten zu Ende – vorläufig. Ich
       habe als Historikerin über Kriegsenden geschrieben. Ich weiß, dass nach dem
       Kriegsende erst wirklich neu gedacht werden kann. Welche Prozesse überhaupt
       möglich sind, in der Region und in Israel, das wissen wir noch nicht. Eine
       andere Frage wäre, und die beschäftigt mich sehr: Es hat sich parallel zu
       der absolut verständlichen und berechtigten Kritik …
       
       taz: … an der israelischen Kriegsführung … 
       
       Weiss: … etwas freigesetzt, was mit dieser Kritik nur am Rande zu tun hat
       und auch zutiefst von Ressentiments, von uralten Themen geprägt ist.
       
       taz: Sie meinen den [9][Antisemitismus], der etwa bei pro-palästinensischen
       Demonstrationen sichtbar wurde? 
       
       Weiss: Ich habe das Wort Antisemitismus nicht benutzt. Ich spreche von
       uralten Ressentiments. Ob diese Entwicklung rückgängig gemacht werden kann?
       Das kann ich momentan nicht beantworten. Aber ich gebe zu, dass es eine
       Frage ist, die mich sehr beschäftigt. Sehr, sehr beschäftigt.
       
       2 Dec 2025
       
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