# taz.de -- Buch über Sexismus im Musikbetrieb: Wann ist eine Frau eine Frau und ein Mann ein Gitarrist?
> Sonja Eismann untersucht in „Candy Girls. Sexismus in der Musikindustrie“
> die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Popmainstream.
(IMG) Bild: Jungfräulich aussehende Stars als Quintessenz der Pop-Problematik: Taylor Swift, hier noch sweete 19
Im weltbekannten Song „Norwegian Wood“ singen die Beatles zur sanft
psychedelischen Melodie einer Sitar von einer Begegnung zwischen einer Frau
und einem Mann. Als sie früher zu Bett gehen will, anstatt mit ihm zu
schlafen, fühlt sich der Protagonist ausgetrickst und lässt zur Strafe ihre
Wohnung inklusive norwegischem Holzmobiliar in Flammen aufgehen.
Wie schön: „Isn’t it good / Norwegian Wood?“, singen John Lennon und Paul
McCartney im Refrain. Während die Frau beim Racheakt-Songtext von 1965 noch
glimpflich davonkommt, fällt ihr Schicksal in vielen anderen, auch
moderneren Songs trostloser aus. Rapper Eminem fantasiert in „Kim“ gar vom
grausamen Mord an seiner einstigen Frau Kimberly, Johnny Cash und seine
Country-&Western-Kollegen bedienen sich für ihre Vorstellungswelten beim
Western-Klischee des „Mörders aus Leidenschaft“.
„Eine getötete Frau ist in jedem Format Clickbait“, schreibt die Berliner
Autorin Sonja Eismann in ihrem Buch „Candy Girls“. Darin deckt die
52-jährige Autorin neben einer Tradition lyrischer Gewaltakte auch auf
ökonomischer Ebene zahlreiche strukturelle Benachteiligungen von Frauen in
der Musikindustrie auf. [1][Längst regieren erfolgreiche weibliche
Weltstars wie Taylor Swift] und Beyoncé zwar an der Einkommensspitze im
Business. Sie brechen Verkaufsrekorde und räumen reihenweise Preise ab.
Ein Wundermittel gegen strukturelle Benachteiligung und sexuelle Übergriffe
jedoch sei dieses vielbeschworene „Matriarchat des Pop“ nicht. Eismann,
Herausgeberin und Mitbegründerin des feministischen Magazins Missy beweist,
dass das Machtgefälle in der Branche heute wie in früheren Pop-Epochen ein
tief verwurzeltes Problem sei.
## Sexiness und Unschuld
„Candy Girls sind süß. Sie sind frisch und lecker. Sie sind an jeder Ecke
zu haben und sie sind billig. […] Sie sind genauso, wie sich die
Musikindustrie Weiblichkeit erträumt.“ Das heißt, Künstlerinnen sind passiv
und naiv, leicht zu manipulieren, kurz für kapitalistische und erotische
Zwecke gleichermaßen ausnutzbar. Frauen seien in der Popindustrie vor allem
für zwei Dinge gut: [2][Musikerinnen dürfen gerne als Sexobjekte beglotzt
werden, Fans ihr Geld dafür aus dem Fenster werfen].
„Ein Mann mit einer Gitarre ist ein Gitarrist. Eine Frau mit einer Gitarre
ist in erster Linie eine Frau und dann eine Frau mit einer Gitarre“,
behauptet Eismann. An Musikerinnen sei der Körper oft interessanter als ihr
handwerkliches Können: Vor allem jungfräulich aussehende Stars sind für
Eismann die Quintessenz der Pop-Problematik. Sie verkörpern Sexiness und
Unschuld, aber nie Erfahrung, Expertise oder Macht.
Wer in der Musikindustrie die lauteste Stimme hat, zeigt die Autorin an
Mainstream-Festival-Line-ups auf, die nach wie vor von männlichen Acts
dominiert seien. Nicht nur die Musikerinnen, sondern auch ihre Fans leiden
laut Eismann unter sexistischen Klischees. Bis heute herrsche der
Irrglaube, Frauen seien überhaupt nicht in der Lage, Musik richtig zu
verstehen. Während sie Opfer ihrer Gefühle sind, gelten Männer bald einmal
als Experten. Und erst wenn ihre Lieblingsbands auch von Fachleuten gehört
werden, ändert sich auch deren gesellschaftlicher Stellenwert. So waren
schließlich auch die Beatles, bevor sie zur popkulturellen Institution
wurden, bloß eine Boyband.
Dazu kommt noch, dass alles, was Frauen mit Freude tun, von Grund auf mit
Misstrauen beäugt wird. „Beängstigend“ oder gar „unmenschlich“ würden vor
allem junge Mädchen gerne genannt, wenn sie auf Konzerten jubeln, mitsingen
und kreischen. Fan zu sein ist beschämend, weil es in erster Linie weiblich
ist.
Wenn man einen Blick in die Geschichte wirft, gelten begeisterte Frauen
schon seit mehreren hundert Jahren als irre. Um den österreichischen
Komponisten Franz Liszt, Pianist und Popstar avant la lettre, bildete sich
bereits im 19. Jahrhundert eine Fanbase, bei der die Krankheit sogar schon
im Namen steckt: die „Lisztomanie“.
## Fansein als sicherer Ort
Die Österreicherin Eismann sieht darin ein Problem der Sozialisierung:
„Jungs wachsen mit der Vorstellung auf, einmal selbst als Musiker auf der
Bühne zu stehen. Mädchen hingegen so, dass sie sich nur an deren Seite
imaginieren können“.
Dabei stellt das Fansein für viele Frauen eigentlich genau das Gegenteil
dar: Es ist ein sicherer Ort, an dem sie ihre Interessen unter
Gleichgesinnten gefahrlos ausleben können. Dass das nicht immer so ist,
beweisen die Berichte über die Row Zero und die Aftershowpartys etwa bei
der Berliner Rockband Rammstein.
„Candy Girls“ ist keine vergnügliche Lektüre. Über 200 Seiten legt Eismann
dar, dass die Musikindustrie von Gleichberechtigung noch weit entfernt ist.
Positive Gegenbeispiele, Künstlerinnen und Künstler, deren Musik
Alternativen zum diskriminierenden Mainstream darstellen und Strukturen
hinterfragen, kommen in „Candy Girls“ leider zu kurz.
Von Diskriminierung sind zudem nicht nur Künstlerinnen betroffen. Auch in
der Erfolgsgarantie von Künstlern spielen Faktoren wie Herkunft, sexuelle
Orientierung und Klasse eine Rolle. Würde sich jedoch jeder Einzelne für
die Veränderung einsetzen, könne laut Eismann „Dominanz zerbröckeln“.
Wie das gehen soll, lässt sich an den Beispielen abschauen, mit denen sie
ihr Buch beschließt. Die Arbeit von #MeToo-Aktivistinnen, ein
„feministischer FLINTA-Pop-Kanon“, aber auch Workshops und Boykotte seien
Schritte in die richtige Richtung: „Die Luft für eine sexistische
Musikindustrie wird immer dünner.“
14 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Helene Slancar
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