# taz.de -- Abwesenheit russischer Turnerin: Weltpolitik in der Sporthalle
       
       > Beim deutschen Turnfinale startet die Russin Melnikowa doch nicht,
       > angeblich aus Sicherheitsgründen. Der Israeli Dolgopyat darf
       > statutengemäß starten.
       
 (IMG) Bild: Weltklasse und umstritten: Die russische Turnerin Angelina Melnikowa
       
       Das Bundesligafinale der Turnerinnen am 29. November zwischen dem MTV
       Stuttgart und dem TSV-Tittmoning-Chemnitz verspricht große Spannung. Und
       das hat einen konkreten Grund: Die verpflichtete Russin Angelina Melnikowa
       wird nicht an den Start gehen. Damit könnte es für die favorisierte
       bayerisch-sächsische Allianz nochmal eng werden.
       
       Melnikowa, Olympiasiegerin 2021, ist eine der Granden des internationalen
       Turnsports. Seit 2022 wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine
       gesperrt, [1][wurde ihr im Frühjahr der Status als „neutrale Athletin“
       zuerkannt]. Eine bemerkenswerte Entscheidung, gab es doch in den sozialen
       Medien mehrere Fotos Melnikowas, die als Unterstützung für den Krieg
       bewertbar sind. Das sah die Agentur, die diese Bewertungen im Auftrag des
       Weltverbandes (FIG) vornimmt, anders.
       
       Die Entscheidung wurde auch nicht revidiert, als sich Melnikowa im April in
       ihrer Heimat für [2][die Partei Einiges Russland] für einen Sitz im
       Stadtrat bewarb. FIG-Generalsekretär Nicolas Buompane erklärte dazu in
       Jakarta, die Agentur agiere „unabhängig“ vom Turnverband. Und: Man sei
       „happy“, dass die Athleten nun wieder dabei sind. Ende der Debatte.
       Melnikowa wurde Weltmeisterin im Mehrkampf und am Sprung.
       
       Wenn sie bei der WM wieder starten darf, dann könnte sie doch vielleicht
       auch für uns in der Bundesliga starten, hat man sich offenbar in Chemnitz
       gedacht. Melnikowa sagte prompt zu und ergänzte das verletzungsbedingt
       geschwächte Team beim Wettkampf vor zwei Wochen.
       
       ## Rechtlich nichts einzuwenden
       
       Für die Bundesliga zeichnet die Deutsche Turnliga (DTL) verantwortlich.
       Deren Regularien sehen unter bestimmten Voraussetzungen die Zulassung
       Aktiver ohne deutschen Pass vor. Darunter sind in diesem Jahr, primär in
       der Rhythmischen Sportgymnastik, auch einige junge Aktive mit russischem
       Pass. Grundsätzlich gilt zudem, dass die DTL sich an den Vorgaben der FIG
       orientiert, auch in Bezug auf Startberechtigungen. Aus rechtlicher Sicht
       ist gegen den Einsatz Melnikowas also nichts einzuwenden.
       
       Nun ist in der Turn-Bundesliga keineswegs irre viel Geld zu verdienen, es
       geht vor allem ums Prestige. Seit 2012 hat der MTV Stuttgart ohne
       Unterbrechung den Pokal gewonnen, mit Turnerinnen aus dem dortigen
       Bundesstützpunkt. Dieser allerdings steht [3][im Zentrum eines anderen
       aktuellen Skandals]: Seit Februar ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen
       die ehemaligen Trainer Marie-Luise M. und Giacomo C., unter anderem wegen
       des Verdachts der Körperverletzung.
       
       Nun gewannen in diesem Jahr die Chemnitzerinnen alle vier Wettkämpfe. Just
       an jenem Bundesstützpunkt hatte 2020 die erste Debatte um inakzeptable
       Trainingsmethoden ihren Ausgangspunkt. [4][Cheftrainerin Gabi Frehse musste
       damals gehen], agierte bis zur WM in Jakarta als Nationaltrainerin
       Österreichs, und blieb doch – so weist es die Homepage aus – über all die
       Jahre Geschäftsführerin der TuS Chemnitz-Altendorf.
       
       Bei Melnikowas Start vor zwei Wochen in Esslingen verurteilte einerseits
       der dortige Bürgermeister in seinem Grußwort ihren Einsatz. Andererseits
       wollten nicht nur etliche junge Turnerinnen ein Foto mit dem Star, auch
       IOC-Athletenvertreterin Kim Bui und die deutsche Aktivensprecherin
       Elisabeth Seitz posteten ein gemeinsames Bild. Die Chemnitzer Trainerin
       Tatjana Bachmayer sagte in Esslingen dem SWR, sie sei in der ganzen Sache
       „blauäugig“ gewesen.
       
       ## „Zur Sicherheit unserer Turnerinnen“
       
       „Wir als Verein haben beschlossen, dass wir sie zur Sicherheit unserer
       Turnerinnen und Trainer sowie des gesamten Finales in Heidelberg nicht
       starten lassen werden“, erklärte Gabi Frehse nun am Mittwoch gegenüber der
       DTL. Was damit klar ist: Ausgezahlt hat sich die Verpflichtung nicht, das
       Finale geht bei null los. Eine Anfrage, aus welchen Erkenntnissen sie
       welche Gefahren ableite, ließ Frehse am Donnerstag unbeantwortet.
       
       Das Kuriose: Ausgerechnet das Argument der „Sicherheit der Aktiven“ hatte
       sich zuletzt die FIG zu eigen gemacht, um den statutenwidrigen Ausschluss
       der israelischen WM-Delegation durch die indonesische Regierung zu
       rechtfertigen. Am Samstag geht der israelische Olympiasieger Artem
       Dolgopyat – wohlgemerkt im Einklang mit allen Regeln und Statuten – für die
       TG Saar an den Start. Da sage noch jemand, der Sport sei nicht politisch.
       
       28 Nov 2025
       
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