# taz.de -- Die Wahrheit: Vanillepudding am Fenster
       
       > Der Heinz-Wolf-Fanclub tagt in Uelzen. Die Jünger des
       > ZDF-Nachrichtensprechers sind durchaus kritisch und wünschen sich ihn
       > offensiver am Pult.
       
 (IMG) Bild: Immer wohl gescheitelt: Heinz Wolf
       
       Wer an diesem tristen Novemberabend das Behelfsheim des Uelzener
       Kleingartenvereins „Heideblick“ betritt, könnte meinen, es seien ein paar
       letzte Überlebende der Menschheit, auf die man hier trifft: Drei
       Übriggebliebene vor einer Antiquität von Röhrenfernseher, auf dessen Schirm
       gerade unter der berühmten Fanfare das „ZDF heute journal“ beginnt – „mit
       Heinz Wolf und Marietta Slomka“, wie die drei unisono mit murmeln.
       
       So verlangen es die Regeln. Es sind die Regeln eines Fanclubs, der drei
       Mitglieder hat: Erwin Lügde, 67, Rentner. Hilde Lügde, 58, Lkw-Fahrerin,
       seine Frau. Und Alexander Liebe, 33, Angestellter. Seit Jahren versammeln
       sie sich vor dem betagten Gerät, wann immer ihr Vereinsgegenstand darin
       auftritt: Der bekannte TV-Journalist Heinz Wolf, der, „meistens als
       Sitestep von Queen Slomka“ (Erwin), seit Urzeiten seinen ebenso
       zuverlässigen wie unspektakulären Sprecherdienst im ZDF versieht.
       
       So auch an diesem Abend, an dem Marietta Slomka ihren stark geföhnten
       Kurzbob trägt, während Heinz Wolf stumpf gescheitelt vor sich hin graut. Da
       rücken sie im Behelfsheim noch enger zusammen, denn draußen hat es
       aufgefrischt, und es zieht kalt durch die Fenster. Hilde reibt sich die
       Hände an ihrem Mann warm, und Alexander schenkt aus seiner Thermoskanne Tee
       nach, während sich Erwin Schokoröllchen in den Mund schiebt.
       
       Heinz Wolf hat unterdessen den ersten Nachrichtenblock absolviert – „in
       einmal mehr tadelloser Manier“, wie Erwin kauend anmerkt. „Nee, zu brav
       heute“, urteilt Hilde. Und auch Alexander findet, dass es „der Heinz“ etwas
       übertreibe mit seiner treuherzigen Art. „Die ihn ja sonst auszeichnet.
       Gerade im Vergleich zur Arroganz Slomkas. Aber auch ich würde ihn mir heute
       deutlich offensiver am Pult wünschen.“ Und schon sind sie mittendrin in der
       ersten Diskussion: „Was stimmt bloß heute nicht mit dem?“
       
       ## Eigene Vorstellung
       
       Denn das ist schließlich der einzige Zweck ihrer Clubabende: sich ausmalen,
       wie es um Heinz Wolf bestellt sein könnte. Nicht, was wirklich los ist,
       wollen sie wissen: Wo er lebt, welche Hobbys er bevorzugt, welche Automarke
       und so weiter („Dazu könnten wir ihn ja einfach anrufen“). Nein, sie wollen
       sich ihre ganz eigene Vorstellung von ihm machen. „Eine Art
       Heinz-Wolf-Persönlichkeitsmatrix“, nennt Erwin das, was sie sich auf diese
       Weise erschaffen.
       
       Psychologisch sei das wohl „Projektion oder so“, meint Alexander, „oder
       bloß ein sehr schräges Hobby.“ Hilde lehnt sich zurück: „Mir doch egal, wie
       man das nennt. Ich finde es einfach nur schön, mir meinen eigenen Heinz zu
       bauen.“
       
       Nach dem nächsten Nachrichtenblock des echten Herrn Wolf – „mit einer
       wieder sehr eleganten Überleitung zur Börse“ (Erwin) –, widmen sich die
       drei dieser Frage: „Was macht er heute wohl nach Feierabend?“ Hilde, die
       seit jeher davon überzeugt ist, dass Heinz Wolf eine kleine, liebevoll
       eingerichtete Junggesellenbude in der Mainzer Innenstadt bewohnt, vermutet:
       „Wenn er gleich nach Sendung nach Hause kommt, schaltet er sein Handy auf
       stumm und setzt sich mit einer Schüssel Vanillepudding ans Fenster, um den
       vorbeifahrenden Straßenbahnen nachzusinnen.“
       
       ## Romantische Theorie
       
       Das finde sie romantisch. Die Frage, wie lange nachts überhaupt
       Straßenbahnen fahren in Mainz, stellt sich ihr offenbar gar nicht. Ihr
       Gatte Erwin hingegen bleibt bei seiner Theorie. „Heinz ist ein Mann der
       Tat. Der setzt sich nachts nicht mit Pudding ans Fenster. Der zieht sein
       Fledermaus-Kostüm an und sorgt für Recht und Ordnung im nächtlichen
       Stadtbild.“
       
       Alexander hört den beiden zu, als lausche er einer Radioshow aus einer
       anderen Welt. Für ihn ist Heinz Wolf vor allem eines: „Ein tragischer Held,
       der nach jeder Sendung von Slomka gedemütigt wird.“ Er macht eine
       wegwerfende Handbewegung. „Sie wartet doch nur darauf, dass die Kameras aus
       sind. Dann sagt sie Dinge wie: ‚Heinz, Sie haben bei der Renten-Meldung
       eben wieder so ein extrem einladendes Backpfeifengesicht gemacht.‘ Und dann
       ohrfeigt sie ihn brutal. Jedes Mal.“
       
       Hilde verdreht die Augen. „Du wieder mit deiner Slomka-Dominanz-Theorie.“
       Doch sie lacht dabei. Auch Erwin kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Je
       länger das „heute journal“ läuft, desto verquerer werden ihre
       Wolf-Versionen. Für Erwin ist er plötzlich „nicht bloß ein begnadeter
       Fliesenleger, der extrem sauber fugen kann“, sondern „der vielleicht beste
       Restaurator historischer Standuhren“, der die Zeit „mit besonderer
       Zärtlichkeit behandelt“.
       
       Und kurz vorm Wetter fällt Hilde das ein: „Heinz Wolf ist heute mit einem
       elektrischen Einrad zur Arbeit gekommen. Nicht aus Öko-Gründen, sondern,
       weil er’s kann.“ Die Vorstellung löst bei den beiden Mitstreitern
       zustimmende Begeisterungspfiffe aus. Dann ist die Sendung aus. Die drei
       packen zusammen. Sie verschwinden in der Uelzener Nacht. Aber morgen
       bereits liest Heinz Wolf wieder die Nachrichten.
       
       25 Nov 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fritz Tietz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fernsehen
 (DIR) Nachrichten
 (DIR) ZDF
 (DIR) Satire
 (DIR) Führerschein
 (DIR) Bürgergeld
 (DIR) Gaza
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Wohnmobile zu Kasernen
       
       Marsch, marsch: Die Bundeswehr will Truppenteile ohne Obdach bei Campern
       einquartieren​.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Wildunfälle im Keller
       
       Endlich kann in Deutschland der Führerschein ganz entspannt am
       Fahrsimulator gemacht werden, allerdings mit einem kleinen,
       straßenungerechten Problem.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Endlich Gerechtigkeit
       
       Das Bürgergeld wird abgeschafft. Da singen die Englein Halleluja und die
       Bürger freuen sich einen Ast an den Gesellschaftsbaum der Erkenntnis.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Mit Gänsehaut auf die Geiselbahn
       
       Im neuen Gaza-Erlebnispark wird Ausnahmezustand für Krisentouristen als
       spannende Inszenierung erfahrbar.