# taz.de -- Angst vor der Aufwertung: Wenn die Eigentümerin zweimal klingelt
> „Ihr Haus soll schöner werden!“: Warum das in Ottensen, einem beliebten
> Hamburger Stadtteil, keine gute Nachricht ist.
(IMG) Bild: Keine Gegend für reiche Leute. Noch nicht. Der Nernstweg 14 in Hamburg-Ottensen
„… möchten wir Ihnen mitteilen, dass Ihr Haus verkauft wurde. … Ihr
Mietverhältnis wird nicht berührt. … Machen Sie sich keine Sorgen.“ Es sind
solche Nachrichten, vor denen sich viele in gentrifizierten Stadtvierteln
fürchten. Ein neuer Eigentümer, das bedeutet in der Regel, dass jemand Geld
in die Hand genommen hat, das er wiedersehen möchte, möglichst mit Zins und
Zinseszins, denn bei der Bank muss er ja auch Zinsen bezahlen.
Zu erwarten sind in so einem Fall Mieterhöhungen, flankiert durch
„wertsteigernde Maßnahmen“, und so war es auch hier im Nernstweg, einer
kleinen Seitenstraße [1][im Hamburger Stadtteil Ottensen]. Die Straße liegt
so versteckt, dass viele sie gar nicht kennen, am Ende befindet sich ein
alternatives Kulturzentrum mit seinem sehr hippen Restaurant unten drin,
aber ansonsten ist die Gentrifizierung hier noch nicht sehr weit
fortgeschritten: Altbaufassaden, unsaniert, mit Graffiti besprüht. Keine
Gegend für reiche Leute.
Die Bewohnerschaft in der Straße sei „sehr gemischt“, sagt Anneke Nuijen,
die im Nernstweg 14 wohnt, in einer kleinen Wohnung im zweiten Stock. Sie
haben ein gutes Verhältnis in der Straße, sagt sie. Jedes Jahr ist
Nachbarschaftsfest, in diesem Jahr waren die ganze Straße hoch Stände
aufgebaut mit Kinderspielzeug und abgelegten Kleidern und gelesenen
Büchern, auf einer Bühne gab es ein Kulturprogramm.
In der Adventszeit, erzählt Anneke Nuijen, organisiert die Nachbarschaft
reihum einen Adventskalender. „Das kann ein Gedicht sein, Plätzchen, was
Selbstgebasteltes, es ist ein bisschen so wie Wichteln.“ Anneke Nuijen ist
alleinerziehend, sie arbeitet als Erzieherin ganz in der Nähe. „Ich bin auf
die Strukturen hier angewiesen“, sagt sie, am Tisch in ihrer kleinen Küche
sitzend. Vor sich hat sie die Unterlagen ausgebreitet von dem Streit, der
sie und die anderen Mieter seit dem Sommer beschäftigt.
Seit 2012 ist sie in ihrer Wohnung, aber das Haus kennt sie schon länger.
Ihr Vater wohnte schon in den 80ern in der Straße, ein paar Nummern weiter.
Ihr Onkel hat das Haus, in dem sie wohnt, in den 2000er-Jahren renoviert,
und sie half damals mit. „Ich kenn’ diese Wohnung in- und auswendig“, sagt
sie, „ich hab hier die ganzen Leisten lackiert.“ Die Vormieterin, eine alte
Dame, war Kettenraucherin, sie mussten sehr oft überstreichen, bis die
Patina nicht mehr zu sehen war.
Derzeit ist das Haus Nernstweg 14 in keinem guten Zustand. Schon im
Treppenhaus ist es zu sehen, das Geländer ist locker, schon lange wurde
hier nichts mehr gemacht. „Im Keller ist es feucht, im Dach regnet es rein,
die Heizung fällt öfter aus“, berichtet Anneke Nuijen. Gegen eine Sanierung
hätte sie nichts einzuwenden, im Gegenteil: „Da muss etwas passieren.“
Was passierte, war das Schreiben der alten Verwaltung mit der
Verkaufsankündigung an eine Nordzuhause GmbH mit Sitz in St. Pauli und der
Versicherung, dass man sich keine Sorgen zu machen brauche. Es seien, das
stand auch in dem Schreiben, Sanierungsmaßnahmen vorgesehen. Das war Mitte
Mai.
Wenig später, so berichtet es Anneke Nuijen, seien zwei Frauen vor den
Wohnungstüren gestanden, hätten sich als die neuen Eigentümerinnen Michaela
und Susanne Ahrens vorgestellt und um die Handynummern gebeten. Sie
kündigten „einige Maßnahmen“ an, bei sich hatten sie Architekten, mit denen
sie das Haus besichtigten. Im Treppenhaus redeten sie untereinander. „Das
geht aber erst, wenn die Mieter raus sind“, soll einer der Architekten
gesagt haben. Das erzählen die Hausbewohner.
Im August dann der zweite Besuch, bei dem die beiden Frauen – es handelte
sich tatsächlich um die neuen Eigentümerinnen, so viel war inzwischen klar
– Zettel in den Briefkästen hinterließen. „Unser Konzept ist es,
Mehrfamilienhäuser zu verschönern, zu modernisieren und behutsam
weiterzuentwickeln“, schrieben sie. Geplant seien neue Balkone und der
Ausbau des Dachgeschosses. Die Arbeiten würden vermutlich 18 bis 24 Monate
dauern. „Parallel dazu passen wir die Mieten an – selbstverständlich unter
strikter Beachtung aller gesetzlicher Vorgaben.“
Derzeit bezahlt Anneke Nuijen für ihre 56-Quadratmeter-Wohnung 768 Euro
warm. Träte die bereits angekündigte Mieterhöhung in Kraft, würde sie etwas
über 800 Euro bezahlen. Bei einer Modernisierung könnten die Kosten laut
Gesetz auf bis zu drei Euro pro Quadratmeter auf die Miete umgelegt werden
– am Ende wäre sie bei einer Miete von fast 1.000 Euro. Als Erzieherin
verdient sie 1.800 Euro netto im Monat, für die Miete ginge dann also mehr
als die Hälfte ihres Einkommens drauf.
„Die sollen erst mal die Heizung reparieren“, sagt Anneke Nuijen am Tisch
in ihrer Küche. Ihr Verdacht: Die neuen Eigentümerinnen drücken sich um die
Instandhaltungskosten herum und lassen alles, was im Haus gemacht werden
muss, unter Modernisierung laufen, damit sie es auf die Miete umlegen
können. Dazu passt, dass sie schreiben, das Haus befinde sich in einem
„guten baulichen Zustand“, es sei ja in den 90ern renoviert worden.
## Ultimative Forderung an die Mieter
Ende August tauchten im Treppenhaus Aushänge einer Firma namens Goldjunge
GmbH und Co KG auf, die in Verbindung zu dem Firmengeflecht von Michaela
und Susanne Ahrens steht. Darin werden die Mieter ultimativ aufgefordert,
ihre Sachen aus dem Treppenhaus zu entfernen. Unter anderem wird mit
Abmahnungen und Ordnungsgeldern bis zu 250.000 Euro gedroht. Die
persönlichen Sticker auf den Briefkästen wurden entfernt und durch
einheitliche Sticker ersetzt. „Früher galt hier 'Leben und leben lassen’“,
sagt Anneke Nuijen. „Das ist jetzt wohl vorbei.“
Sie nahm sich eine Anwältin über den Hamburger Verein „Mieter helfen
Mietern“. Und sie wandte sich an die Bezirkspolitik, ein SPD-Abgeordneter
hat im Nernstweg gewohnt, einer von den Grünen wohnt immer noch dort. Der
Fall schaffte es in die Ausschüsse, das Bezirksamt schaltete sich ein.
Der Nernstweg liegt in einem Milieuschutzgebiet, hier gilt eine „Soziale
Erhaltungsverordnung“. Baumaßnahmen müssen darauf geprüft werden, ob sie
zur Verdrängung der Wohnbevölkerung führen. In krassen Fällen ist sogar das
kommunale Vorkaufsrecht anwendbar, das [2][nach einem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts] eigentlich noch auf Eis liegt.
Das Vorkaufsrecht wurde von der Stadt nicht gezogen, „da zum Zeitpunkt der
Prüfung keine Anhaltspunkte für eine erhaltungswidrige Nutzung oder eine
spekulative Käuferstruktur vorgelegen haben“, so die zuständige Stelle bei
der Stadt Hamburg. Immerhin aber wurde der Bauantrag für neue Balkone am
Haus vom Bezirksamt Altona abgewiesen, „da sie nicht dem gebietstypischen
Ausstattungsstandard entsprechen und bereits funktionsfähige Balkone
vorhanden sind“, so das Bezirksamt.
Das Dachgeschoss dagegen darf ausgebaut werden, allerdings müsse
sichergestellt werden, „dass keine unzumutbaren Belastungen für die
Bestandsmieter entstehen und die Vorgaben der Sozialen Erhaltungsverordnung
eingehalten werden“.
Anneke Nuijen ist nach dieser Auskunft nur „halb erleichtert“. „Die Frage
ist jetzt, wie es weitergeht“, sagt sie.
## Schwieriges Verhältnis zu den Eigentümerinnen
Das Verhältnis zu den Eigentümerinnen ist schwierig geworden, zuletzt gab
es Streit über die Instandsetzung eines maroden Türrahmens. „Da das
Mietverhältnis zu Frau Nuijen bereits zu Beginn eine gewisse Spannung
aufweist, möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich die Möglichkeit einer
einvernehmlichen Mietaufhebung anregen“, schreibt die Eigentümerin Michaela
Ahrens an die Anwältin von Anneke Nuijen. Vorstellbar sei auch eine
Abfindungszahlung.
Es folgt der Hinweis, dass die geplanten Bauarbeiten die Wohnung
„unmittelbar“ betreffen würden, und dass danach mit einer
Modernisierungsumlage von bis zu drei Euro pro Quadratmeter zu rechnen sei.
„Vielleicht erörtern Sie das einmal mit Ihrer Mandantin.“
Doch auszuziehen ist für Anneke Nuijen keine Lösung. In Ottensen eine neue
Wohnung zu finden, ist nicht sehr realistisch, die Preise auf dem freien
Markt sind hoch. Und den Stadtteil verlassen? „Die Kita von meinem Sohn ist
in der Nähe, meine Arbeit ist in der Nähe, wenn ich wegziehe, wie soll ich
das schaffen? Ich habe keinen Führerschein“, sagt sie.
Die Eigentümerin Michaela Ahrens stellt die Sache am Telefon als ein
Missverständnis dar. „Die Mieter sind ja sehr gut geschützt in Hamburg“,
sagt sie. Sie habe nicht vor, jemanden zu vertreiben: „Ich sehe die Mieter
als Menschen.“ Leider habe sie bisher keine Gelegenheit gehabt, die
Bewohner kennenzulernen, dabei habe sie zwei Termine angeboten.
Kurz nach dem Telefonat kommt eine Mail, in der Michaela Ahrens ein Treffen
in einem Café auf St. Pauli vorschlägt, wo sie auch ihre Büroadresse hat.
„Für einige Menschen stehe ich auf der ‚anderen Seite‘, was ich nicht
möchte“, schreibt sie. „Ich reiche die Hand.“
Als Anneke Nuijen von diesem Vorschlag erfährt, überlegt sie kurz. „Ich bin
immer an einem Austausch interessiert“, sagt sie dann. „Aber mir fehlt der
Inhalt. Über was wollen wir reden?“
30 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Daniel Wiese
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