# taz.de -- Stollenprüfung in Berlin: Sollen sie doch Kuchen essen
       
       > Der viele Zucker und Butter machen den Stollen zum prima Nahrungsmittel.
       > Die „Bäcker-Innung Berlin“ lud in einem Einkaufszentrum zum großen Test.
       
 (IMG) Bild: Schon bei der optischen Prüfung lässt sich hier sagen: Lecker!
       
       Manchmal ist ja als Beispiel für eine nicht so gut gelingende, weil
       irgendwie von oben herab wahrgenommene Kommunikation dieser Satz von
       Marie-Antoinette zu hören. „Wenn sie kein Brot haben“, soll also die
       französische Königin gesagt haben, „sollen sie doch Kuchen essen“.
       
       Aber erstens geht dieser Satz auf ein Zitat des Philosophen Jean-Jacques
       Rousseau zurück und wurde der später aufs Schafott geführten
       Marie-Antoinette nur in den Mund gelegt. Und zweitens hat sie in der Sache
       doch recht: Ist gerade kein Brot greifbar, kann man gut und gern auf die
       süßen Teile setzen, das mag Kuchen sein, ein Hefezopf [1][oder ein Stück
       Stollen], womit man mit Letzterem schon beim Thema ist, um das es sich auch
       wirklich zu streiten lohnt. Das muss nicht gleich so heftig sein, wie einst
       1615 bei der als Stollenkrieg bekannt gewordenen Auseinandersetzung, als
       die Meißner Bäcker mit Brandfackeln – mehr bitte bei Wikipedia – gegen
       unliebsame Konkurrenz vorgingen.
       
       So ein Stollen tut Leib und Seele gut, er ist nahrhaft. Und er schmeckt.
       
       „Lecker“ war jedenfalls das Wort, das man letzthin am Freitag beim
       Wettstreit in dem mittlerweile burschikos Wilma – früher Wilmersdorfer
       Arcaden – geheißenen Einkaufszentrum ziemlich oft hörte. Dort im
       Untergeschoss in der Markthalle wurde nämlich bei der Stollenprüfung der
       Bäcker-Innung gekostet, was zu Weihnachten hin gern auf den Tisch kommt.
       Und das machte nicht nur eine Fachjury; gefragt war auch das gemeine Volk,
       unter den vielen Stollen seinen Lieblingskuchen zu finden.
       
       Langsam schoben sich die Besucher der Prüfung an den kleinen Tabletts
       vorbei, auf denen Stollenstückchen zum Kosten auflagen. Es wurde gekaut. Es
       wurde geschluckt. Es wurde „lecker“ gesagt oder gedacht. Und schon folgte
       das nächste Stück.
       
       Insgesamt warteten da 50 Tabletts vor allem mit dem klassischen
       Butterstollen, daneben wurde das traditionelle Backwerk auch freier
       interpretiert als Erdbeer-Aprikosen-Orangen-Stollen, es gab ihn mit
       Pistazien und Datteln. Es gab ihn mit Gin. Und einmal auch vegan.
       
       50 Stollen zum Probieren. Was eine Herausforderung ist, an der man
       scheitern kann.
       
       Die ältere Frau in der Schlange vor einem, die im U-Bahn-Fernsehen von der
       Veranstaltung erfahren hat und gleich ins Wilma gekommen ist, hat schon
       drei Stück probiert. Jetzt reiche es langsam, mehr schaffe sie nicht. „Da
       ist ja so viel Butter drin.“
       
       Der Experte vom Deutschen Brotinstitut als Tester aber, der die Stollen
       nach Form und Aussehen, Oberflächeneigenschaft, Krumenbild und natürlich
       Geschmack zu prüfen hatte, durfte nicht kneifen. Er musste an alles ran,
       was ihm die Berliner Bäckereien auf die Teller gelegt hatten. 50 Stollen,
       50 Bissen. Zwischendrin mal etwas Tee.
       
       Währenddessen drückten sich Besucher der Markthalle mit den vielen
       Essständen mit einer fetten Portion Pommes am Stollentresen vorbei – sind
       ja nicht alle für den Süßkram zu haben. Und wenn man den Mann einen Stand
       weiter mit Kaffee und Kuchen im Angebot nach seinem Geschäft fragte,
       behauptete der tapfer lächelnd, dass das trotz der kostenfreien
       Stollenkonkurrenz nebenan laufe wie sonst. Wirklich was los aber war in dem
       Moment nicht bei ihm, während sich entlang der Stollen immer neue Schlangen
       reihten.
       
       Ein Bäcker von der Innung versicherte auch, dass der Stollen in Berlin
       durchaus mit der gleichen Expertise gepflegt werde in den Bäckereien wie
       zum Beispiel in Dresden, wo das Backwerk mit der Ortsbezeichnung
       markenrechtlich geschützt ist. Was letztlich auch die Ergebnisse der Jury
       zu bestätigen scheinen: 22 Mal gab es die Bestnote „Sehr Gut“ für die
       eingereichten Stollen und 22 Mal die Note „Gut“.
       
       Der Tester vom Deutschen Brotinstitut war ebenfalls sehr zufrieden.
       Manchmal gönne er sich bei der Arbeit den Blick aufs Schinkenbrötchen, das
       bereits als Verheißung, wenn endlich die süße Pflicht erfüllt war, neben
       den Prüfprotokollen bereit lag. Am Wochenende, meinte er, wird er sich
       jedenfalls erst mal keinen Stollen auf seinen Teller legen.
       
       20 Nov 2025
       
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