# taz.de -- Komplexe Forschung verständlich erklären: „Wer am Tag 18 Stunden arbeitet, hat keine Zeit für Forschung“
       
       > Medizinforschung steht heute stark im Wettbewerb – auch mit Bereichen wie
       > Rüstung. Damit müssen wir als Gesellschaft umgehen, sagt Philip
       > Rosenstiel.
       
 (IMG) Bild: Die Arbeit im OP ist angewandte Wissenschaft: Zu den Forschungsthemen zählt der Einsatz moderner Simulationstechnologie
       
       taz: Warum lohnt sich ein Besuch des Research Festival auch für nicht
       Medizin Studierende?
       
       Philip Rosenstiel: Man bekommt einen Eindruck, wie Forschung funktioniert –
       selbst wenn man nicht jedes Detail versteht. Die Veranstaltung präsentiert
       die ganze Bandbreite aktueller biomedizinischer Forschung, die von jungen
       Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgestellt wird, die für ihre
       Themen brennen. Besonders spannend sind die Flash Talks: kurze
       Präsentationen mit zwei Folien in zwei Minuten. Dieses Format zwingt dazu,
       komplexe Forschung verständlich zu erklären.
       
       taz: Warum braucht es ein [1][Research Festival an der medizinischen
       Fakultät]? 
       
       Rosenstiel: Es geht vor allem um einen wissenschaftlichen Austausch. Viele
       Forschende arbeiten zwar in Gruppen, aber isoliert voneinander. Wir möchten
       einen Raum schaffen, in dem junge und etablierte Forschende zusammenkommen
       und sich inspirieren. Nachwuchsforschende stehen unter dem Druck, schnell
       viele wissenschaftliche Ergebnisse liefern zu müssen. Dadurch bleibt ihnen
       keine Zeit, sich frühzeitig außerhalb ihres eigenen Themas zu vernetzen und
       ihre Ideen mit erfahrenen Forschenden zu diskutieren.
       
       taz: Welche Themen stehen im Vordergrund? 
       
       Rosenstiel: Im Mittelpunkt steht die biomedizinische Forschung – von der
       klinischen Forschung über digitale Medizin, KI und Datenwissenschaft bis
       hin zu neuen Therapieansätzen.
       
       taz: Welche Rolle spielt denn konkret KI in der Medizin? 
       
       Rosenstiel: Vor allem in der Bildanalyse können KI-Modelle helfen, Polypen
       oder Krebsstadien besser zu erkennen und [2][werden schon im klinischen
       Alltag eingesetzt]. Generative KI wird aber auch in der Lage sein, Teile
       ärztlicher oder pflegerischer Tätigkeiten zu übernehmen. Dazu gehören
       Chatbots, die Screenings durchführen, sowie Modelle, die Patienten
       Verhaltensempfehlungen geben. In China gibt es bereits KI-Modelle, die
       Menschen untersuchen und entscheiden, ob sie einen Arzt benötigen. Auch
       hierzulande wird eine Auseinandersetzung damit unumgänglich sein.
       
       taz: Müssen sich Mediziner*innen zwischen Forschung und der ärztlichen
       Tätigkeit entscheiden? 
       
       Rosenstiel: Grundsätzlich kann man beides machen. Früher war es üblich,
       tagsüber in der Klinik zu arbeiten und in seiner Freizeit zu forschen.
       Dieses Modell ist heute aber weder realistisch noch nachhaltig. Deshalb
       gibt es bei uns in [3][Schleswig-Holstein das sogenannte
       Clinician-Scientist-Programm]. Es ermöglicht Ärztinnen und Ärzten, bereits
       während der Facharztausbildung eine Doppelqualifikation mit geschützter
       Forschungszeit zu erwerben. Wir haben mit der Ärztekammer verhandelt, dass
       Teile dieser wissenschaftlichen Tätigkeit auf die Facharztausbildung
       angerechnet werden können.
       
       taz: Gibt es einen Mangel an Forscher*innen in der Medizin? 
       
       Rosenstiel: Ja, das liegt an den fehlenden Rahmenbedingungen. Wer am Tag 18
       Stunden in einem unterfinanzierten Gesundheitssystem arbeitet, hat weder
       Zeit noch Ressourcen für Forschung.
       
       taz: Liegt das auch an den Arbeitsbedingungen in der Forschung? 
       
       Rosenstiel: Die reinen Forschungsbedingungen sind in Deutschland exzellent.
       Es gibt eine lange Zeitlinie stabiler Forschungsförderung, die sich von dem
       nationalen Genomforschungsnetzwerk über Programme wie der
       Exzellenzinitiative bis hin zu großen strukturellen Investitionen
       erstreckt. Solche Maßnahmen haben auch dazu beigetragen, dass aus
       Innovationen [4][Unternehmen wie Biontech] entstehen konnten. Aber auch
       unsere Medizinforschung steht heute stärker im Wettbewerb mit anderen
       Bereichen wie Rüstung. Damit müssen wir als Gesellschaft umgehen. Für mich
       bleibt die Förderung exzellenter Forschung dennoch eine der besten
       Investitionen in die Zukunft unseres Standorts.
       
       30 Nov 2025
       
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 (DIR) [1] https://www.medizin.uni-kiel.de/de/forschung/research-festival
 (DIR) [2] /Kuenstliche-Intelligenz-in-der-Medizin/!6081229
 (DIR) [3] https://www.uksh.de/clinician_scientists.html
 (DIR) [4] /Gesundheitsexpertin-ueber-Biontech-Fabrik/!5977814
       
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