# taz.de -- Menschenrechte in Lettland: Riga zieht sich aus Istanbul-Konvention zurück
       
       > Eine Mehrheit im Parlament stimmt für einen Austritt Lettlands aus dem
       > Frauenschutzabkommen des Europarates. Jetzt ist der Präsident am Zug.
       
 (IMG) Bild: Gewalt und Ungleichheit nicht ignorieren: Protest zum Internationalen Tag der frau am 8. März 2023 in Riga, Lettland
       
       Für all diejenigen, die sich in Lettland den Menschenrechten verpflichtet
       fühlen, dürfte der Donnerstag dieser Woche ein schwarzer Tag gewesen sein:
       Nach einer über 13-stündigen Debatte stimmte das Parlament (Saeima) in
       zweiter Lesung für einen Austritt des baltischen Staates aus dem
       Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
       Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als [1][Istanbul-Konvention].
       
       Die 2011 vom Europarat verabschiedete Konvention verpflichtet in ihren 81
       Artikeln alle Unterzeichnerstaaten zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt
       gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung
       der Täter*innen.
       
       Für den Austritt aus der Konvention votierten 56 Abgeordnete, dagegen 32,
       zwei enthielten sich. Zehn Volksvertreter*innen hatten sich für die
       Abstimmung gar nicht erst registrieren lassen. Zu den Befürworter*innen
       gehören nicht nur fünf Oppositionsparteien, sondern auch das „Bündnis der
       Bauern und Grünen“ (ZZS), das mit in der Dreier-Koalition von
       Ministerpräsidentin Evika Siliņa sitzt.
       
       Eingebracht hatte die Gesetzesvorlage die rechtpopulistische Partei
       Lettland zuerst (LTV), die sich unter anderem für traditionelle
       Familienwerte einsetzt. Zur Begründung hieß es, dass die derzeitige
       Umsetzungspraxis der Istanbul-Konvention kein Vertrauen in staatliche und
       kommunale Institutionen schaffe, Gewalt und damit verbundene Risiken zu
       verhindern. Die Regierungspartei ZZS hatte argumentiert, dass die
       Konvention die Gesellschaft spalte. Um gegen häusliche Gewalt effektiv
       vorzugehen, reichten bestehende nationale Gesetze aus.
       
       ## Flaggen der LGBTQ+-Bewegung
       
       Am Mittwochabend fand in der Hauptstadt Riga eine der größten Kundgebungen
       der vergangenen Jahre statt. Laut Polizeiangaben hatten sich rund 5.000
       Demonstrant*innen vor dem Parlament versammelt, um für den Verbleib des
       Landes in dem internationalen Vertrag zu protestieren. Den hatte Riga
       bereits 2016 unterschrieben, jedoch erst 2024 ratifiziert. Am 1. Mai
       vergangenen Jahres trat er in Kraft.
       
       Einige Demonstrierende hatten Flaggen Lettlands, der EU sowie der
       LGBTQ+-Bewegung dabei. Zu hören waren Slogans, wie: „Hände weg von der
       Istanbul-Konvention!“, „Lettland ist nicht Russland. Wenn Du liebst, dann
       schlag nicht zu!“, „Indem wir Russland kopieren, verteidigen wir Lettland
       nicht!“ sowie „Populismus zerstört, die Konvention schützt!“
       
       Initiatorin des Protestes am Mittwoch war die Nichtregierungsorganisation
       MARTA-Zentrum. Sie setzt sich für die Rechte von Frauen ein und bietet seit
       2000 professionelle soziale, rechtliche und psychologische Unterstützung
       für Opfer von Gewalt und Menschenhandel an.
       
       Ein Austritt aus der Istanbul-Konvention, warnt das MARTA-Zentrum, käme
       einer Abkehr von den Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte
       gleich. Er sende ein gefährliches Signal aus, dass der Staat bereit sei,
       Gewalt und Ungleichheit zu ignorieren.
       
       „Diese Initiative wird auch als politisches Instrument missbraucht, um
       Transgender-Personen und andere schutzbedürftige Gruppen ins Visier zu
       nehmen, indem fälschlicherweise der Eindruck erweckt wird, ihre Rechte
       bedrohten die Gesellschaft. Tatsächlich stärkt die Inklusion und der Schutz
       dieser Gruppen die Demokratie und die allgemeine Sicherheit“, heißt es in
       einer Erkärung des MARTA-Zentrums. Diese Kritik findet offensichtlich
       Gehör. Auf dem Portal Manabalss.lv haben bereits mehr als 20.000 Personen
       eine Petition für den Verbleib Lettlands in der Istanbul-Konvention
       unterschrieben.
       
       ## Zehn Tage Zeit
       
       Jetzt ist [2][Lettlands Präsident Edgars Rinkēvičs] am Zug. Der 52-jährige
       wurde 2023 gewählt und hatte 2014 als damaliger Außenminister seine
       Homosexualität öffentlich gemacht. Rinkēvičs hat jetzt zehn Tage Zeit, um
       das Gesetz mit seiner Unterschrift in Kraft zu setzen. Tut er das nicht,
       kann er das Gesetz dem Parlament zur erneuten Lesung vorlegen. In diesem
       Fall leitet die Saeima seine Einwände ohne Debatte an den zuständigen
       Ausschuss weiter und beschließt über die Frist für die Einreichung von
       Vorschlägen und eine erneute Prüfung des Gesetzes.
       
       Sollte das Parlament das Gesetz nicht ändern, kann der Präsident keine
       weiteren Einwände erheben, jedoch die Veröffentlichung des Gesetzes für
       zwei Monate aussetzen. Dann muss die Zentrale Wahlkommission mit der
       Sammlung von Unterschriften für ein Referendum zur Aufhebung des Gesetzes
       beginnen. Innerhalb von 30 Tagen müssten dafür mehr als 154.000
       Bürger*innen unterschreiben – wie vorgeschrieben mindestens ein Zehntel der
       Wahlberechtigten bei der letzten Parlamentswahl.
       
       Zudem besteht die Möglichkeit, das Verfassungsgericht mit der Causa zu
       befassen. Zwei Regierungsparteien, Progressive und Neue Einheit (JV) haben
       bereits erkklärt, diese Option zu unterstützen. Dann entscheidet das Senat
       des Verfassungsgerichts, ob ein Verfahren eingeleitet wird. Dies wäre ein
       Präzedenzfall, da das lettische Verfassungsgericht bisher noch keinen Fall
       verhandelt hat, der die Kündigung eines unterzeichneten internationalen
       Vertrags betrifft.
       
       ## Appelle aus dem Ausland
       
       Dass sich Rinkēvičs widerständig zeigt, darauf hofft auch das Ausland. Die
       Mitgliedsstaaten der Organisation Nordisch-Baltisch Acht (NB8) hatten
       unlängst Lettland aufgefordert, nicht aus der Konvention auszutreten.
       Ähnlich hatten sich auch 15 Botschafter*innen von EU-Staaten in einem Brief
       geäußert.
       
       „Lettland ist nun neben der Türkei das zweite Land, das aus der Konvention
       ausgetreten ist. Auf derselben Stufe der Menschenrechtspolitik wie die
       Türkei zu stehen, wirft wohl kein gutes Licht auf uns“, heißt es in einem
       Kommentar des lettischen Nachrichtenportals LSM.lv.
       
       „Lettland wird als rückständiges Land abgestempelt werden, das in Sachen
       häuslicher Gewalt und Frauenrechte etwas zu verbergen haben muss. Man kann
       davon ausgehen, dass der vielgeliebte Begriff „post-sowjetisch“ ein
       Comeback feiern wird. Dreißig Jahre eines sich stetig verbesserten
       internationalen Ansehens wurden durch das neuartige Verständnis des
       Völkerrechts der Saeima untergraben.“
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://unwomen.de/die-istanbul-konvention/
 (DIR) [2] /Neuer-Praesident-in-Lettland/!5938046
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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