# taz.de -- Rückkehr ins syrische Bildungssystem: „Manche Schüler können keinen Satz auf Arabisch lesen“
       
       > Etwa 1,2 Millionen SyrerInnen sind bislang in ihre Heimat zurückgekehrt.
       > Manche Kinder stellt das vor große Herausforderungen.
       
 (IMG) Bild: Bereit für den Unterricht? Eine Lehrerin mit Schüler:innen in einem Klassenzimmer der Grundschule von Maar Schmarin in Syrien
       
       Ali ist elf Jahre alt, der Nachname wird zu seinem Schutz nicht genannt.
       Sechs von diesen elf Jahren hat er in Deutschland verbracht, ist in Berlin
       zur Schule gegangen, hat die Sprache gelernt. Doch nach dem Sturz des
       Regimes von Ex-Diktator Baschar al-Assad im Dezember 2024 kehrte seine
       Familie [1][Anfang dieses Jahres in ihre Heimat Syrien zurück]. Nun geht er
       in Aleppo zur Schule – und scheitert fast an seiner Muttersprache Arabisch.
       
       Mit leiser Stimme erklärt Ali: „Ich mache Fehler beim Lesen. Meine
       Mitschüler lachen mich aus. Ich traue mich mittlerweile nicht mehr, mich zu
       beteiligen, und setze mich lieber auf die hinteren Plätze.“ Dem Unterricht,
       sagt er, kann er kaum folgen.
       
       So wie Ali geht es vielen Kindern: Nach Angaben des Flüchtlingswerks der
       Vereinten Nationen (UNHCR) sind fast 1,2 Millionen Syrerinnen und Syrer
       [2][seit dem Fall des Regimes in ihre Heimat Syrien zurückgekehrt.]
       Darunter viele Kinder. Und es könnten bald noch mehr werden. Das syrische
       Medium Enab Baladi schreibt: Insgesamt könnten etwa 1,5 Millionen Kinder
       aus dem Ausland nach Syrien zurückkehren.
       
       Jahrelang lebten sie in anderen Staaten – in den Nachbarländern Türkei,
       Libanon und Jordanien, [3][aber auch in europäischen Ländern wie
       Deutschland]. Die Kinder gingen dort zur Schule, lernten auf Deutsch,
       Türkisch oder auf Arabisch mit libanesischem oder jordanischem Dialekt. Sie
       integrierten sich – und stehen nun, bei der Rückkehr in ihre Heimat, vor
       unerwarteten Herausforderungen.
       
       ## Schwierige Reintegration nach Jahren im Exil
       
       Umm Ali, die Mutter von Ali, sagt: Sie versuche ihrem Sohn zu Hause zu
       helfen, beim Lesen und Schreiben auf Arabisch. „Aber er braucht spezielle
       Programme und psychologische Unterstützung“, betont sie. Und warnt: „Die
       Frustration, die Kinder wie mein Ali erleben, führt vielleicht mit der Zeit
       zu einer Ablehnung von Bildung an sich.“
       
       Wie soll der syrische Staat mit diesen jungen Menschen umgehen – die zwar
       Syrerinnen und Syrer sind, aber große Teile ihrer bisherigen Leben im
       Ausland verbracht haben? Umm Ali sagt: Die Schulen seien überfordert mit
       ihrer Integration: „Sie verfügen nicht über die Mittel, um die
       individuellen Unterschiede zwischen den Schülern berücksichtigen zu
       können.“ Es brauche spezialisierte Zentren zur Unterstützung
       zurückkehrender Kinder.
       
       Auch Jumana al-Yasser kennt das Problem: Nach zehn Jahren im Exil ist sie
       mit ihrem neunjährigen Sohn aus Tripoli im Libanon nach Syrien
       zurückgekehrt. Heute leben sie in Hama. In der Schule, erzählt sie, machten
       sich seine Klassenkameraden über ihn lustig – wegen seiner Schwächen im
       Arabischen.
       
       Der syrische Lehrplan, sagt sie, sei völlig anders als der des Libanons.
       Viele Fächer werden in dem westlichen Nachbarland auf Englisch oder
       Französisch unterrichtet, in Syrien hingegen auf Arabisch. „Mein Sohn ist
       ängstlich und verunsichert“, sagt sie, „und es gibt weder psychologische
       Unterstützung für ihn noch spezialisierten Arabischunterricht“.
       
       ## Manche Rückkehrer beherrschen das Alphabet nicht
       
       In den Schulen selbst herrscht ebenfalls oft Überforderung und
       Hilflosigkeit. Ahmad al-Saadi ist Lehrer an einer Schule im ländlichen
       Umland von Damaskus. Er sagt: „Ich treffe auf Schüler, die keinen einfachen
       Satz auf Arabisch lesen können – obwohl sie die Sprache verstehen. Einige
       von ihnen schreiben Buchstaben verkehrt herum, andere verwechseln die
       grammatikalischen Regeln des Arabischen mit denen anderer Sprachen.“
       
       Al-Saadi betont: Das seien keine Einzelfälle. Im Exil haben die Kinder zwar
       in ihren Familien meist weiter Arabisch im syrischen Dialekt gesprochen –
       aber sind mit Hocharabisch kaum in Berührung gekommen. Das brauchen sie
       aber für den Unterricht. Und der Unterschied zwischen den verschiedenen,
       von Land zu Land variierenden Dialekten und dem Hocharabischen ist groß.
       
       Haben die rückkehrenden Schülerinnen und Schüler zuvor in Europa oder der
       Türkei gelebt, beherrschen sie oft nicht einmal das arabische Alphabet.
       
       „Das führt zu einer großen Bildungslücke zwischen ihnen und ihren
       Altersgenossen. Das bringt uns als Lehrer in eine Situation, für die wir
       nicht ausgebildet sind“, sagt Al-Saadi. Einige Schulen, erzählt er,
       versuchten, Lösungen zu finden. Sie organisieren Nachhilfestunden für die
       Zugezogenen, fördern individuelle Bemühungen von Lehrerinnen und Lehrern.
       „Doch uns fehlt eine klare Methodik und institutionelle Unterstützung“,
       sagt er.
       
       ## Es braucht staatliche Förderung, fordert Lehrer al-Saadi
       
       Al-Saadi fordert von der Regierung „spezielle Programme zur
       Wiedereingliederung zurückkehrender Kinder, einschließlich der Schulung von
       Lehrern im Unterrichten von Arabisch als Fremdsprache. Und wir brauchen
       Spezialisten zur psychologischen und pädagogischen Unterstützung“. Er warnt
       davor, dass Problem zu ignorieren: „Wenn Kinder das Gefühl haben, immer
       hinterherzuhinken, verlieren sie die Motivation.“
       
       Khaled Abbas ist Experte für Bildung von Kindern und Jugendlichen. Er
       arbeitet in Idlib und koordniert zwischen der Bildungsbehörde und den
       Schulen. Er sagt: Aufgrund des Wechsels der Unterrichtssprache und des
       Verlusts ihres alten Bildungsumfelds litten die betroffenen Kinder unter
       einem „doppelten Schock“. Das wirke sich auch auf das Selbstvertrauen aus:
       „Ein Kind, das im Ausland hervorragende schulische Leistungen erbracht hat,
       stellt plötzlich fest, dass es nicht in der Lage ist, einen einzigen Absatz
       auf Arabisch zu lesen. Das hinterlässt psychologische Spuren.“
       
       Abbas sagt, wie auch Lehrer al-Saadi: Es fehle an organisierter
       Unterstützung und Ressourcen. Kaum eine Schule in Syrien verfüge über
       Personal, das für den Unterricht von Arabisch als Zweitsprache ausgebildet
       ist. „Wir brauchen einen umfassenden Ansatz: von der Vorbereitung der
       Lehrkräfte über die Einrichtung kleiner Integrationsklassen bis hin zu
       fortlaufenden Förderprogrammen“.
       
       Er sieht dabei sogar ein mögliches Sicherheitsproblem: Es wachse die
       Wahrscheinlichkeit, dass manche Kinder die Schule ganz abbrechen – „und
       dann abrutschen, etwa ins kriminelle Milieu“. Abbas erklärt: Eine
       Partnerschaft zwischen dem Bildungsministerium und lokalen und
       internationalen Bildungsorganisationen sei unbedingt notwendig.
       
       ## Was tut der syrische Staat?
       
       Der Bildungsexperte erzählt vom Fall eines aus Deutschland nach Syrien
       zurückgekehrten Viertklässlers: „Er war in seiner vorherigen Schule sehr
       fortgeschritten, aber hier konnte er nichtmal seinen Namen richtig auf
       Arabisch schreiben. Zuerst weigerte das Kind sich dann, am Unterricht
       teilzunehmen. Doch nachdem es individuelle Förderstunden erhalten hatte,
       gewann es sein Selbstvertrauen zurück.“ Diese anekdotische Erfahrung zeige:
       Frühzeitige Interventionen und gezielte Unterstützung machten einen großen
       Unterschied.
       
       Doch bislang gibt es von staatlicher Seite kaum Bemühungen. Denn es gibt
       andere, größere Probleme: etwa den Wiederaufbau von Schulen, die in den
       Jahren des Krieges ab 2011 zerstört oder beschädigt wurden. Laut dem
       lokalen Medium Enab Baladi sind 40 Prozent aller Schulgebäude in Syrien
       betroffen. Dazu kommt ein Mangel an qualifizierten Lehrkräften – und an
       Geld, um sie zu bezahlen.
       
       Nun erwägt das Bildungsministerium immerhin die Einführung von
       Förderklassen. Doch Kinder wie Ali brauchen schnell Hilfe: „An meiner
       früheren Schule in Deutschland war ich selbstbewusst – aber hier habe ich
       das Gefühl, hinter allen anderen zurückzubleiben“, sagt er. Manchmal
       weigere er sich zur Schule zu gehen. Bislang konnte ihn seine Familie aber
       überzeugen, sie doch wieder zu besuchen. Bislang.
       
       Die Autorin Huda Al-Kulaib ist [4][Teilnehmerin des Syrien-Workshops] der
       [5][taz-Panter-Stiftung], Journalistin und Mutter von fünf Kindern. Sie
       lebt in einem Geflüchtetencamp nördlich der Stadt Idlib. Ihr Haus in ihrer
       Heimat, dem Dorf Kafranbel im Süden von Idlib, ist völlig zerstört. 
       
       Übersetzung aus dem Arabischen, mithilfe von DeepL: Lisa Schneider
       
       19 Nov 2025
       
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