# taz.de -- Kochen fürs „Bergwaldprojekt“: Die Hütte durchfüttern
       
       > Unser Autor hat eine Woche lang 20 Umweltschützer in den bayerischen
       > Alpen bekocht. Dabei lernte er viel über Kreativität am Herd.
       
 (IMG) Bild: Das Küchenteam bei der Arbeit: Am Abend gibt es Kürbis-Graupenrisotto
       
       Heiße Dampfschwaden stoßen unter dem klappernden Deckel des Kochtopfs
       hervor, der so groß ist, dass er gerade so unter die Dunstabzugshaube
       passt. Am Küchenschrank hängt provisorisch ein Becher mit Petersilie,
       darunter stapeln sich Mehl, Karotten und Ingwer neben einer leer
       getrunkenen Kaffeetasse. Es ist kurz nach halb sechs Uhr morgens, draußen
       ist es noch dunkel. Hinter einer weiten Almwiese baut sich eine hohe, mit
       einzelnen Fichten gesprenkelte Felswand der Nordalpen auf. Nach dem starken
       Regen der letzten Tage und dem ersten Schneefall prescht Wasser aus allen
       Felsspalten und stürzt hinab, ohne dass man sieht, wohin.
       
       Max, ein Freund aus Berlin, tritt in die Küche und reißt mich aus meinen
       Gedanken. Was machen wir hier nochmal? Ach ja. Normalerweise arbeiten oder
       studieren wir im Bereich Informatik, aber jetzt stehen wir in einer
       Hüttenküche und bereiten gerade ein großes Frühstück vor: heißer Kaffee und
       Tee, Müsli, Brot, frisches saisonales Gemüse und viele Aufstriche. Eine
       Stunde später stolpern zwanzig hungrige Menschen aus ganz Deutschland noch
       etwas müde aus den Schlafsälen der oberen Etagen in den Aufenthaltsraum.
       
       Wie wir sind sie Freiwillige für [1][den Verein Bergwaldprojekt], der seit
       1991 wochenweise Einsätze zum Schutz und zur Wiederherstellung der
       Ökosysteme [2][in ganz Deutschland durchführt] – zum Beispiel
       Moor-Wiedervernässungen oder, wie hier an der Nagelfluhkette in den
       bayerischen Nordalpen, Baumpflanzungen.
       
       In den vorangegangenen Jahren waren Max und ich selbst noch als Teilnehmer
       mit im Einsatz und wurden bekocht. Inzwischen sind wir in die Küche
       gewechselt und sorgen dafür, dass der Rest des Teams sich auf die Arbeiten
       draußen konzentrieren kann. Also machen wir Frühstück, mittags eine
       wärmende Suppe für unterwegs und ein Abendessen mit Nachtisch. Manchmal
       backen wir auch Kuchen.
       
       ## Die Einsamkeit genießen
       
       Um sieben Uhr ist Abfahrt, davor wird es wie immer etwas hektisch: Während
       die einen noch abräumen und abspülen, rumpeln die anderen schon in voller
       Regenwettermontur durch den Flur und stellen ihre Hacken an die Wand. Max
       und ich haben die heiße Kartoffelsuppe in vorgewärmte Thermotöpfe gefüllt
       und übergeben sie an zwei Teammitglieder. Wir sind jetzt schon gespannt auf
       das Feedback am Abend.
       
       Dann rollen auch schon die VW-Busse los, vollgepackt mit Menschen, Material
       und unserer Suppe. Jetzt ist es ganz ruhig. Erstmal durchatmen. Wir setzen
       uns vor der Hütte auf die Bank, genießen die Einsamkeit und wärmen uns
       schweigend in der herbstlichen Sonne. Dabei hören wir nur den kleinen Bach
       in der Nähe und grüßen gelegentlich Menschen auf Fahrrädern, die uns
       vielleicht für Älpler halten. Heute wird es nicht stressig, wir sind gut
       vorbereitet und müssen nur noch den letzten großen Einkauf der Woche
       planen.
       
       Der erfordert Kreativität und Erfahrung. Elf Millionen Tonnen Lebensmittel
       wurden [3][laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts] im Jahr 2022
       entsorgt. Weniger Abfälle im Handel und Verbrauch könnten auch die
       deutschen Treibhausemissionen senken. Für uns Motivation genug: Wir wollen
       alle sattmachen, aber trotzdem nichts auf den Kompost werfen. Bleibt doch
       etwas übrig, planen wir es wieder ein und verwerten es weiter.
       [4][Gemüsereste vom Abendessen] bringen dann zusätzlichen Gehalt in die
       „Waldsuppe“ des nächsten Tages, die übrigen Kartoffeln kommen ins
       Ofengemüse am Abend.
       
       Max wirft einen Blick in den Kühlschrank: Der grüne Salat muss dringend
       weg, dann gibt es den geplanten Karottensalat eben erst morgen. Auch trinkt
       diese Gruppe gerne Kuhmilch im Kaffee, da sollten wir noch eine mehr
       besorgen.
       
       Auf dem Weg in den nächstgrößeren Ort können wir schon österreichisches
       Radio hören, so nah sind wir an der Grenze. Nach einer Stunde Fahrt und
       einer weiteren Stunde im Supermarkt sind zwei Einkaufswägen gefüllt, darin
       unter anderem mehrere Kilogramm Brokkoli für eine Cremesuppe, lokales Bier
       für den Abend und Mehl für Dampfnudeln zum Nachtisch.
       
       ## Lieber regionale Birnen
       
       Wir müssen aber auch Kompromisse eingehen, denn gerade in ländlichen
       Regionen ist das Sortiment einfacher als in der Großstadt – was paradox
       wirkt, sitzt man doch so nah an der Quelle. „Birnen aus Südafrika. Im
       September?“, wundern wir uns und greifen auf regionale Birnen zurück, die
       dafür aber leider eingeschweißt sind. Unsere geplante
       Seidentofu-Schokoladenmousse wird leider nichts, wir müssen auf schlichtes
       Puddingpulver zurückgreifen.
       
       Viele Lebensmittel gibt es zudem nicht in Bioqualität. Die ist aber
       angestrebt und erwünscht, denn gute und nachhaltige Verpflegung gehöre nun
       mal zum Küchenkonzept des Bergwaldprojekts, sagt Friederike
       Zingler-Methner, die die 35 Küchenleitungen des Vereins koordiniert. 35
       Küchenleitungen bedeuten gleichzeitig 35 Ideen, wie und was man kochen
       kann.
       
       Manche, wie ich, haben lange Einkaufslisten mit genauen Mengenangaben,
       andere lassen sich beim Einkaufen inspirieren und dosieren ihre Gerichte
       mehr so aus dem Handgelenk. Einige sind Amateure, andere haben bereits
       beruflich gekocht und wollen ihr Wissen nun für die gute Sache einsetzen.
       
       Für alle gibt es außerdem eine gewisse Grundausstattung an Zutaten und
       Equipment, beispielsweise überdimensionale Kartoffelstampfer und einen
       gasbetriebenen Hockerkocher. Friederike Zingler-Methner kümmert sich darum,
       dass hier alle auf dem aktuellen Stand sind – beispielsweise beim Umgang
       mit dem neuen Hafermilchpulver oder der komplizierten Reinigung der
       Thermotöpfe. Dazu plant sie regelmäßige Austauschtreffen und hat
       entsprechend der Leitlinien des Vereins auch das Küchenkonzept
       weiterentwickelt. Das gibt unter anderem vor, dass jede Mahlzeit
       vegetarisch und so saisonal und regional wie möglich sein soll.
       
       ## Manchmal sind TK-Beeren okay
       
       Dabei kann sich im Herbst aber auch mal eine Packung Tiefkühlbeeren in den
       Nachtisch verirren, das Obstangebot ist zu dieser Jahreszeit nun mal
       eingeschränkt. „Ich bin dankbar, dass es nicht nur Kohl mit Kartoffeln
       gibt“, merkt eine teilnehmende Person augenzwinkernd an.
       
       In jeder Projektwoche mit dabei sind auch Biokäseräder aus
       Baden-Württemberg, die immer wieder Anlass für Diskussionen sind. Denn die
       Produktion von Hartkäse benötigt je nach Standort und Herstellung
       vergleichsweise [5][viele Ressourcen] und verursacht dabei mehr
       Treibhausgasemission als Schweinefleisch. „Aber am Käse hängt das
       Bergwaldprojekt auch inhaltlich dran“, erklärt Friederike Zingler-Methner,
       „weil wir uns nicht nur um Wälder und Moore kümmern, sondern auch immer um
       Pflege von Offenlandflächen“.
       
       In der traditionellen Landwirtschaft erhalten Schafe und Kühe diese
       besonders artenreichen Biotope durch ihre umfassende Beweidung. Das
       Bergwaldprojekt unterstützt diese landwirtschaftliche Arbeit, zum Beispiel
       durch das Entfernen von Büschen oder den Kauf von Käse.
       
       Am späten Nachmittag kehrt das Leben zurück in die Hütte. Viele durchnässte
       Menschen laufen grüßend an der Küche vorbei oder schauen neugierig herein.
       Sie haben die letzten Stunden im Nieselregen Ahornbäume in den Alpenhang
       gepflanzt und stehen nun rotwangig im warmen Aufenthaltsraum und essen
       Nussecken.
       
       Zeit, mit ihnen zu plaudern, haben Max und ich nicht, denn wir bereiten
       schon das Abendessen vor: sechs Kilo Kartoffeln mit noch mal so viel
       mariniertem Gemüse aus dem Ofen. Mitte September freuen wir uns über die
       letzten deutschen Zucchini, Blumenkohlköpfe, Fenchelknollen, Karotten und
       Porreestangen. Dazu gibt es selbst gemachten Humus und Kräuterquark.
       
       ## Nicht immer gibt es fließend Wasser
       
       Heute sind wir beide froh, gleich zwei große Gasöfen zu haben, denn so kann
       das Gemüse zeitgleich fertig werden. So gut ausgestattete und geräumige
       Großküchen sind nicht der Standard. In der Bergwaldprojektwoche bei Triberg
       im Schwarzwald ist es spartanischer, dort fehlt es sogar an fließendem
       Wasser und zum Kochen muss die Küchenhexe mit Brennholz geschürt werden.
       Noch extremer sind manche Zeltplätze ohne irgendeine Küche, mit einem
       Hockerkocher unter dem Pavillonzelt und dem nahen Bach als einziger
       Kühlmöglichkeit. „Flexibel bleiben“ lautet das Motto des Küchenteams und
       macht für viele auch den Reiz aus.
       
       Bei uns in den Alpen zischt und brutzelt das Gemüse, den Rosmarin kann man
       bis in die oberen Stockwerke riechen. Der Humus steht angerichtet mit
       Kichererbsen und Olivenöl bereit. Langsam haben alle geduscht und der
       Aufenthaltsraum füllt sich wieder. Obwohl man bei der Hitze im Ofen Eisen
       schmelzen könnte, wird das Gemüse irgendwie nicht richtig durch. Heute
       müssen wir lernen, dass jeder Ofen anders ist. Zum Glück stört es
       niemanden, ein paar Minuten zu warten. Da bleibt uns noch Zeit, den grünen
       Salat mit der vorbereiteten Vinaigrette aus Sonnenblumenöl, Senf der
       lokalen Mühle und Apfelessig anzumachen.
       
       Als das Essen endlich fertig ist, bildet sich schnell eine Schlange vor den
       Auflaufschalen und wir bekommen viele Fragen zur Zubereitung gestellt. Das
       freut uns natürlich, auch wenn es ja eigentlich nur Ofengemüse ist.
       Zugegeben, der Humus ist wirklich cremig. Mitglieder der Gruppe erzählen
       uns freudig, dass sie heute ein Auerhuhn gesehen haben. In solchen Momenten
       sind wir immer ein bisschen traurig, dass wir fast den ganzen Tag in der
       Küche stehen.
       
       Es ist schön, der Gruppe beim Zusammenwachsen zuzuschauen, viel Platz für
       Individualismus bleibt nicht, wenn man jeden Tag zusammen isst, schläft und
       arbeitet. Jede Woche ist ein neues soziales Experiment. Obwohl wir draußen
       nicht mit dabei sind, wissen wir, dass hier jede Person gleich wichtig ist,
       unabhängig von ihrer Leistung oder der Rolle im Team.
       
       Dann ist es Zeit für den Schokopudding. Weil so viele beim Abwasch helfen,
       können wir parallel die Minestrone – was viel schöner klingt als Restesuppe
       – für morgen vorbereiten. Um 21 Uhr ist Schluss für heute.
       
       Max geht noch eine Runde Tischtennis spielen, ich setze mich auf ein Bier
       zu den anderen. Wirklich nur auf eins. Denn morgen früh geht der Wecker
       wieder um halb sechs.
       
       9 Nov 2025
       
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