# taz.de -- „1000 Airplanes on the Roof“ in Berlin: Wenn niemand dir glaubt
       
       > An der Neuköllner Oper wird aus Philip Glass’ Science-Fiction-Oper mit
       > Flinta*-Ensemble eine große Erzählarie über die Erfahrungen von trans*
       > Menschen.
       
 (IMG) Bild: Koloratursopran Sarah Bodle und Mara Snip in der Neuköllner Oper
       
       Von einem Coffee Shop in Berlin Neukölln kann es schnell in die unendlichen
       Weiten des Universums gehen. So geschieht es jedenfalls „M“, der Hauptfigur
       aus [1][Philip Glass’] erstmals 1989 aufgeführter Science-Fiction-Oper.
       Damals war „M“ noch in New York zu Hause, wie die als spektakulär
       beschriebenen Projektionen der Uraufführung in einem Wiener Flugzeughangar
       nahelegten.
       
       Jetzt in Neukölln ist der Berliner Kiez der Handlungsort. Und Mara Snip,
       aus den Niederlanden stammende trans* Performer*in, verkörpert in eng
       anliegendem Glitzerkleid eine „M“, die eigentlich Schauspielerin ist, sich
       dem Dasein als Tresenkraft im Coffeeshop aber derart angepasst hat, dass
       ihr nicht einmal der aktuelle Lover den künstlerischen Hintergrund abnimmt.
       
       Snip berichtet in ihrer Rolle locker-ironisch von der Misere nicht
       ausreichend anerkannter Kreativberufler. Auf einem mit Stimmenloops
       angereicherten, fast orchesterhaft wirkenden Klangteppich erzählt die mit
       beachtlichem Stimmvolumen ausgestattete Berliner Club-Größe aber auch von
       den politischen und gesellschaftlichen Einschränkungen, die immer stärker
       das Leben von trans* Menschen belasten.
       
       In diesem Kontext wirkt der Strahl aus Klang und Licht, der laut Text aus
       einem Loch im Himmel kommt und sie aus dieser multiplen Misere in die
       Weiten des Universums entführt, wie eine echte Befreiung. Schienen Glass
       und dessen Librettist David Henry Hwang noch stark beeinflusst von den
       Ufo-Erzählungen der 1960er und 1970er Jahre, in denen Menschen von –
       vermeintlichen – Entführungen durch Aliens zu berichten wussten und die
       Aufmerksamkeit vor allem auf den Gewaltakt gerichtet war -, so steht bei
       dieser Version der Zauber der Verwandlung im Mittelpunkt.
       
       ## In Liebe zu „M“
       
       Koloratursopran Sarah Bodle entwickelt in einer hinreißenden Vokalpartie
       eine geheimnisvolle Instanz, die in Liebe zu „M“ schier zu zerschmelzen
       scheint. Die Begegnung verhilft „M“ sogar zu seherischen Fähigkeiten zurück
       auf der Erde.
       
       Der zentrale Satz des Stücks „Niemand wird dir glauben“ – ursprünglich
       gemünzt auf das Alienabenteuer – bezieht sich in der Fassung von
       Regisseurin Paige Eakin Young allerdings auf die mangelnde Anerkennung von
       trans* Personen in der gegenwärtigen Gesellschaft. Diese inhaltliche
       Transformation kommt an in der neu aufgestellten [2][Neuköllner Oper.] 
       
       Das Premierenpublikum trampelt begeistert im einstigen Ballsaal in Rixdorf.
       Unter dem neuen Leiter Rainer Simon, der zuletzt an der Seite von Intendant
       Barrie Kosky die Außenspielstätten der Komischen Oper verantwortete,
       orientiert sich das 1976 aus einem Kammerchor heraus gegründete und früher
       stark mit Kiez-verbundenen Musicals aufgefallene Haus deutlich in Richtung
       Avantgarde und Retroavantgarde.
       
       Den Auftakt der neuen Spielzeit machte „Hunter“. In diesem Stück der
       belgischen Universalklangkünstlerin Liesa van der Aa traten die Sängerinnen
       des Bodies-Ensemble auf einem Basketball-Court gegeneinander an und sorgten
       für ein gefeiertes Crossover aus Ballregeln und kompositorischer Partitur.
       Im Oktober gab es mit „Crime of Passion“ eine Verschmelzung der Kritik am
       häufigen Frauentod in der Oper mit dem Entsetzen über reale Femizide.
       
       ## Ein Hauch von großer Musikwelt
       
       Für Simon, der offen schwul lebt, sind queere Themen wichtig. „Wir haben
       aber keine vorgefertigte queere Agenda“, sagte er zu Spielzeitbeginn in
       einem Interview mit der Siegessäule. Queere Schwerpunkte ergäben sich vor
       allem durch Arbeit mit den Künstler*innen selbst. So auch bei „1000
       Airplanes on the Roof“. „Erst haben wir das Stück ausgesucht, danach habe
       ich die trans* Regisseurin Paige Eakin Young gefragt, deren Arbeit ich
       schätze und die ich schon vor ihrer Transition kannte. Sie erklärte mir,
       dass sie im Stück trans* Diskurse reflektiert sehe. Dann kam die Idee auf:
       Lasst uns doch ein All-Flinta*-Team zusammenstellen“, erklärte Simon die
       Genese.
       
       Auch mit seinem alten Haus, der Komischen Oper, will Simon im Rahmen der
       Uraufführung der Frühlingsoper „Selemo“ zusammenarbeiten. Es kommt ein
       Hauch von großer Musikwelt in die Neuköllner Karl-Marx-Straße.
       
       Bei der Glass-Adaption hätte man sich allerdings ein stärker
       retrofuturistisch ausgerichtetes Bühnenbild gewünscht, das über Discokugel,
       Windmaschinen, Flattergaze und ein karges LED-Quadrat hinausgeht. Es muss
       ja nicht gleich ein Flugzeughangar sein wie bei der Uraufführung in Wien
       oder eine echte Concorde wie beim Lammermuir-Festival in Schottland 2011.
       Aber Glass’ pulsierender Minimalismus in den Klängen verlangt bei einer
       szenischen Umsetzung doch auch Futter fürs Auge.
       
       28 Oct 2025
       
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