# taz.de -- Fußballer und Nahost-Posts: Es ist Zeit für Aufarbeitung
       
       > Das Urteil für Fußballer Anwar El Ghazi im Falle der Nahost-Posts ist
       > richtig. Doch im deutschen Sport wird die rigide Sanktionspolitik der
       > Klubs weiterhin kaum problematisiert.
       
 (IMG) Bild: Rauswurf war nicht rechtens: Fußballprofi Anwar El Ghazi
       
       Ein wenig Häme wollte Anwar El Ghazi offenbar nicht missen. „Regelmäßige
       Niederlagen auf dem Platz reichen der Klubführung wohl nicht, also kommt
       sie für mehr Niederlagen vor deutsche Gerichte“, [1][postete der Kicker bei
       Instagram]. Gemeint ist Ex-Arbeitgeber Mainz 05, gegen den El Ghazi vor dem
       Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz erneut Recht bekam. Das Gericht
       bestätigte ein erstinstanzliches Urteil: Der [2][Rauswurf des Profis Anwar
       El Ghazi] wegen seiner Posts zum Nahostkrieg war nicht gerechtfertigt. Die
       Beiträge seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, und die überwiege gegen
       Arbeitgeberinteressen.
       
       Dieses Urteil ist überwiegend eine gute Nachricht. Für die Redefreiheit von
       Sportler:innen, für Schutz gegen willkürliche Kündigungen und für eine
       zaghafte Entsanktionierung des deutschen Nahost-Diskurses. El Ghazi,
       Niederländer mit marokkanischen Wurzeln, war von Mainz 05 im Oktober 2023
       zunächst wegen eines „From the river to the sea“-Posts abgemahnt worden,
       unmittelbar nach dem Massaker vom 7. Oktober.
       
       Man braucht weder seine Meinung klug zu finden, noch den Zeitpunkt
       angemessen. Der Post war im besten Fall empathielos gegenüber den Opfern,
       im schlechteren Fall gewaltverherrlichend. Und eine typische Projektion mit
       überschaubarer Nahost-Expertise, wie sie zu dem Zeitpunkt zigfach aus
       beiden Lagern kam. Antisemitisch aber ist diese Formulierung nicht per se.
       Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Propalästinensische Posts wurden und
       werden auch im Sport enorm repressiv behandelt und pauschal als
       antisemitisch diskreditiert, darunter auch [3][die von Bayerns Noussair
       Mazraoui und Unions Aïssa Laïdouni]. Das ist ein Problem.
       
       Jüdisch mitgeprägte Klubs wie Mainz 05, die nachvollziehbar klare Kante
       zeigen wollten, waren außerstande oder unwillens, auch Israels
       völkerrechtswidrige Besatzung, Vertreibungen und die schon damals von
       Expert:innen geäußerten Völkermordwarnungen ernst zu nehmen. Zur
       Kündigung El Ghazis führte ein weiterer Post im November: Er sei gegen
       Krieg und die Tötung unschuldiger Zivilist:innen, gegen Antisemitismus,
       Apartheid und Genozid. [4][Das Töten in Gaza] müsse enden.
       
       ## Entlassung nicht zu rechtfertigen
       
       In der Rückschau würden diesen Aufruf wohl viele Deutsche unterschreiben.
       Dass El Ghazi dafür entlassen wurde, ist nicht zu rechtfertigen. Und mag
       als Warnung dienen, wohin Schmerz führen kann, wenn er vorwiegend für eine
       Seite empfunden wird. Die Sanktionspolitik der Klubs hat die arabische
       Minderheit aus dem Diskurs gedrängt, Kritik an Israel unterdrückt und eine
       echte Verständigung in geschützten Räumen für alle verunmöglicht.
       Seinerzeit beschrieb manch Sportler, unter welchem Druck er durch Trainer
       und Klub stehe, sich nicht zu äußern. Auch die Verweigerung der beantragten
       deutschen Staatsbürgerschaft war eine reale Sorge. Das alles ist im
       deutschen Sport nicht mal ansatzweise aufgearbeitet. Es ist höchste Zeit
       dafür. Das muss gehen, ohne Schutz und berechtigte Ängste jüdischer
       Sportler:innen weniger wichtig zu nehmen.
       
       Diese Gratwanderung ist schwer, aber Schweigen ist eine schlechte Lösung.
       Anwar El Ghazi hat Recht bekommen, doch seine Positionierung hat er
       sportlich teuer bezahlt: Heute kickt er im bedeutungslosen Katar,
       wenngleich sicher gut alimentiert. Online erhält er viel Lob. Seine
       Positionierung ist einerseits wirklich stark: Nicht viele Fußballer
       riskieren die Karriere, um sich gegen einen Genozid zu äußern. Menschen wie
       er haben das Thema in der Öffentlichkeit gehalten, als andere schwiegen,
       und damit auch etwas im deutschen Diskurs verändert.
       
       Doch ein so großer Verbündeter der Unterdrückten, wie er sich darstellt,
       ist er nicht. Zur [5][völkerrechtswidrigen Annexion der Westsahara] bleibt
       der Mann mit marokkanischen Wurzeln still. Und seine neue Wahlheimat ist
       ausgerechnet der Sklavenhalterstaat und Islamistenfinanzierer Katar. Wie
       bei manch arabischem Sportler beginnt und endet El Ghazis öffentliches
       Gewissen mit Palästina. Die Schräglage des Weltbilds ist dem deutschen
       nicht unähnlich. Ins Gespräch kommen beide wohl nicht mehr. Weiter ist der
       deutsche Sport für einen ehrlichen Nahost-Austausch kein einladender Ort.
       
       15 Nov 2025
       
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