# taz.de -- Privatisierung am Gardasee: Die Halbinsel der Espressoschlürfer und Sandalensnobs
       
       > Am Gardasee ist ein wunderschönes Stückchen Land seit dem 16. Jahrhundert
       > in Privatbesitz. Unser Kolumnist findet, dass es allen gehören sollte.
       
 (IMG) Bild: Der schönste Ort der Welt: Punta San Vigilio am Gardasee
       
       Bei meinem jüngsten Italien-Kurztrip stellte ich fest, dass der Gardasee
       auch im Herbst noch fast ein bisschen zu schön ist – und daher überladen
       mit reichen Deutschen. Peinlich saubere Altstädtchen mit
       Pizza-Wurstel-Buden wechseln sich ab mit frisch gebauten Luxusresorts auf
       plattgewalzten Olivenhainen. Jeder Flecken des nachgefragten Landes ist
       aufgeteilt. Wozu das führen kann, durfte ich selbst erleben.
       
       Nach halbstündigem Spaziergang über den Kiesstrand von Garda stehen meine
       Freundin und ich vor einem Schild: „Privatbesitz! Fahrräder verboten!“
       Dahinter tut sich die Punta San Vigilio auf, eine pittoreske Minihalbinsel
       mit Park, Villa und Gästehaus aus dem 16. Jahrhundert – der laut
       Gardasee.it schönste Ort der Welt. Schon [1][Winston Churchill] und Juan
       Carlos von Spanien stiegen hier ab. Das exklusive Seeblick-Café serviert
       Champagnerflaschen für um die 500 Euro. Danach geht die Straße weiter,
       einen Weg herum gibt es nicht.
       
       Uns egal, denken wir, weil zu Fuß unterwegs, und klettern fix das Treppchen
       hinauf. Nicht so der ältere Herr, den wir bereits zuvor getroffen hatten,
       wie er sich mit seinem [2][E-Bike] auf dem steinigen Strand abmühte und der
       nun leicht schnaufend hinter uns auftaucht.
       
       Ein gestresster Kellner gibt dem Alten zu verstehen, er müsse umdrehen und
       das Rad die dreißig Minuten zurück in die Stadt schieben, dort käme er
       wieder auf die Straße. Ob er nicht eine Ausnahme für den gebrechlichen
       Herrn machen könne, frage ich. Leider nein, wenn er Leute durchlasse,
       bekomme er Probleme mit seinem Chef. Da könne er „nichts tun“.
       
       Die Punta San Vigilio ist seit dem 16. Jahrhundert in Privatbesitz – und
       versperrt so Normalsterblichen den Zugang zum See. Wie es der Zufall will,
       fällt in diese Zeit auch das, was Karl Marx „ursprüngliche Akkumulation“
       nennt: Feudalherren privatisierten das bis dahin übliche Gemeineigentum,
       enteigneten die Bauern und machten sie zu abhängigen Lohnarbeitern.
       
       ## Ein Fall für zivilen Ungehorsam?
       
       Spätestens seitdem ist überall Betreten, Spielen und Fahrradfahren
       verboten. Ziemlich ungerecht, leider aber legal. Vor meinem inneren Auge
       trage ich das Fahrrad das Treppchen hoch und die wenigen Meter rüber zur
       Straße.
       
       Wenn der Staat versagt, dann muss man selber ran – bei dem politischen
       Philosophen John Rawls korrigiert ziviler [3][Ungehorsam] das gesetzliche
       Unrecht. Wer diesen anwendet, rechnet mit Strafe. Die öffentliche
       Zurschaustellung soll der Gesellschaft zeigen, dass eine ihrer Regeln
       falsch ist, und erkennt gleichzeitig die Rechtsprechung an.
       
       Ich sehe mich, eine Hand am Fahrrad, wie ich von einer Horde
       muskelbepackter Carabinieri in engen Uniformhosen zu Boden geprügelt werde,
       während die espressoschlüfernde Steppjackenalmans unbeteiligt zugucken.
       
       In der Realität habe ich – genau wie der übereifrige Kellner – Angst vor
       Prügel und füge mich daher dem Joch des Staates, der das lukrativ
       touristisch ausgebeutete Privateigentum schützt. Als wir ohne Opi und
       Fahrrad den geschmackvoll gepflasterten Weg durch die Olivenhaine
       hochlaufen, fühle ich mich auch ohne von Gummiknüppeln verbeultes Gesicht
       ziemlich elend.
       
       Auch wenn ziviler Ungehorsam hier nicht ausreicht – eigentlich müsste die
       Punta der Allgemeinheit zurückgeben werden, private Halbinseln sind
       generell nicht die beste Idee –, nehme ich mir vor, nächstes Mal mutiger zu
       sein. Ein bisschen, um dem Opi seinen Nachmittag zu retten, ein bisschen,
       um mich selbst besser zu fühlen – und auch, um den Sandalensnobs zu zeigen,
       wo der Hammer hängt.
       
       5 Nov 2025
       
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