# taz.de -- Foodtouren: In 80 Speisen um die Welt
> Wie schmeckt Toronto? Wie Barcelona? Und Hanoi? Kulinarischer Tourismus
> liegt weltweit im Trend. Davon profitieren nicht nur große Unternehmen.
(IMG) Bild: Toronto schmeckt – zum Beispiel nach zuckrig glasiertem Speck
Wer für seine Foodtour mit Kevin Durkee einen der Vormittagstermine bucht,
hat Glück. Dann schmiegt sich im Peameal Bacon Sandwich ein Spiegelei an
die drei, vier Millimeter dicke Scheibe Pökelfleisch – eine Reminiszenz an
den klassischen amerikanischen Frühstücksburger. „Du nimmst gerade einen
Bissen Toronto“, sagt Durkee, während im Mund das wachsweiche Eigelb, der
saftig-salzige Schinken und das nicht sehr geschmacksintensive, aber
angenehm zähe Brötchen eine herzhafte Allianz bilden.
Toronto, das kann man jetzt schon sagen, schmeckt. Wir sind im St. Lawrence
Market, einer Markthalle aus dem Jahr 1850. An über 120 Ständen gibt es
hier alles zu essen, was man sich vorstellen kann. Kevin Durkee ist nicht
nur Guide, sondern auch Besitzer der Culinary Adventure Co. Mit seinem
Unternehmen führt er seit 2010 über den größten Markt der kanadischen
Metropole. Er kennt hier alle. Und: Er stellt sich schnell auf seine Gäste
ein, hört ihnen zu, sucht nach Gemeinsamkeiten, scherzt. „Ich habe bei Walt
Disney gearbeitet, bevor ich in die Kulinarik gegangen bin. Deswegen weiß
ich, wie wichtig besondere Momente sind. Es braucht Geschichten und die
Fähigkeit, eine Verbindung zur Gruppe aufzubauen“, sagt er.
Am nächsten Stand gibt es Senf. Viel Senf. In allen Geschmacksrichtungen,
hergestellt in Toronto. Danach: Austern, Lachs, Käse. Den Magen schließt
ein Pastel de Nata – das Blätterteiggebäck gilt wegen einer großen
portugiesischen Diaspora auch als eine der Spezialitäten Torontos.
Schließlich drückt uns Durkee noch seine Visitenkarte in die Hand. Wir
dürften ihn, sagt er, jederzeit anrufen, wenn wir einen Gastro-Tipp
brauchen.
Foodtouren sind kein neues Phänomen, es gibt sie seit den späten 1990er
Jahren und sie wurden zunächst in den USA populär. Anfang der 2000er
schwappte die Idee nach Europa über. Parallel dazu diversifizierte sich das
Format: In Dubai etwa starteten zwei Schwestern 2013 die erste Foodtour am
Golf, um jenseits von Luxushotels und Protzrestaurants die lokale Küche
sichtbar zu machen. In asiatischen Metropolen wie Bangkok oder Hanoi
stießen vor allem nächtliche Streetfood-Touren auf großes Interesse.
Diese wachsende Beliebtheit liegt auch daran, dass in den vergangenen
Jahren die digitale Sichtbarkeit zunahm: Websites wie GetYourGuide machen
solche Touren weltweit zugänglich und helfen Anbieter:innen, ihre Programme
global zu vermarkten. Oft sind sie in Buchungsseiten von Fluggesellschaften
oder Hotelportalen integriert. Heute gibt es kaum eine Stadt ohne fertig
konfigurierte Routen.
Mal führen sie wie in Toronto über einen Markt, mal folgen sie einer
bestimmten Delikatesse, mal bleiben sie in einem Stadtteil. Eines haben sie
alle gemein: Wo man früher selbst recherchierte, muss man heute nur einmal
klicken, dann erledigen das andere. Sie entscheiden, wo man hingeht. Sie
entscheiden auch, was man isst. Und: Sie sind es, die man vorab bezahlt –
meist einen Betrag zwischen 60 und 150 Euro.Ob das ein hilfreicher Service
ist oder teuer erkaufte Entmündigung, ist Geschmackssache.
## Weltweiter Trend
Food-Tourismus kann allerdings auch zum Problem werden. Im ohnehin von
Overtourism geplagten Barcelona führte der Mercat de la Boqueria 2015
Obergrenzen für Touristengruppen ein – seither sind nur noch Kleingruppen
zugelassen.
Der Koch, Autor und Guide Itay Novik ist mit seiner Firma Elements Of Food
in Berlin und Mailand aktiv. „Seit gut zehn Jahren ist alles, was mit Essen
zu tun hat, angesagt. Es ist für viele eine neue kreative Ausdrucksweise.
Ein bisschen, wie es früher Kunst war“, sagt er am Telefon. Wenn er mit
seinen Besucher:innen loszieht, geht es ihm um mehr als nur die reine
Nahrungsaufnahme: „Ich möchte, dass die Menschen darüber nachdenken, was
sie essen und dass sie um ihre Wahlmöglichkeiten wissen. Das bedeutet, dass
ich vor allem kleine und inhabergeführte Läden in meine Touren nehme. Denn
was du isst, ist immer auch eine politische Entscheidung.“ Plattformen wie
GetYourGuide lehnt Novik ab, weil die eine ziemlich deftige Provision
kassieren. Und weil er es schöner findet, wenn die Gäste direkt bei ihm
buchen.
Nun ist Berlin nicht unbedingt für eine übermäßige kulinarische Tradition
bekannt. Deshalb weicht Novik auf die besten Produkte der Region aus – und
spezialisiert sich. So erzählt er in der Tour „Red Sauce & Shashlik“ von
den Einflüssen sowjetischer, vietnamesischer und kubanischer
Einwander:innen auf die Esskultur der DDR. Auch seine Tour durch
Kreuzberg ist mit arabischem, türkischem und italienischem Essen
migrantisch geprägt.
Laut [1][einer Studie der Hotelkette Hilton] ist etwa jede:r fünfte
Reisende gezielt unterwegs, um neue Restaurants oder kulinarische
Erlebnisse zu entdecken. Der weltweite Wert des kulinarischen Tourismus ist
in den vergangenen Jahren stark angestiegen.
Entsprechend reagieren die Anbieter mit neuen Formaten: So hat das
US-Unternehmen Modern Adventure Trips alle Winkel der Welt im Programm, die
allerdings ihren Preis haben. Eine Fresswoche im Piemont mit dem dreifach
Michelin-dekorierten Koch David Kinch schlägt mit 9.900 Dollar zu Buche.
Wer sich gemeinsam mit Kochshow-Star Andrew Zimmern durch Vietnam schlemmen
möchte, zahlt 15.000 Dollar.
## Es geht auch kleiner
Abseits der überhitzten Märkte zeigen sich aber vor allem in ländlichen
Regionen Gegenentwürfe – etwa rund eine Autostunde nördlich der
schwedischen Stadt Umeå. Dort, nahe dem kleinen Ort Granö, entstand vor gut
15 Jahren Granö Beckasin: ein Komplex, der aus einem Öko-Hotel, Hütten und
Baumhäusern besteht und der vor allem deshalb gebaut wurde, um in der von
Abwanderung geprägten Region neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Christopher Storm ist Produktmanager im Granö Beckasin. Schon in seiner
Examensarbeit an der Universität Umeå stellte er die Frage: „Was macht
Natur für den Tourismus interessant?“ Er sagt, viele Menschen hätten den
Bezug zu ihr verloren, wüssten nicht einmal mehr, wie man ein Zelt
aufstellt. „Sie leben in der Stadt, vielleicht in einer kleinen Wohnung und
verspüren doch eine Sehnsucht nach genau dieser Erfahrung.“ Essen spiele
dabei eine zentrale Rolle. Wer hier Übernachtungsgast oder Besucher:in
ist, erlebt diesen Zugang ganz konkret: beim Kochen über offenem Feuer,
beim Pilze sammeln oder bei Kräuterwanderungen, die der Frage nachgehen,
was der Wald früher zum Leben beitrug, welche Pflanzen gegen Krankheiten
genutzt wurden – und wie sich diese Ressourcen heute neu interpretieren
lassen.
Gegessen wird durchaus, wenn auch naturgemäß weniger als auf einer urbanen
Foodtour. Dafür lernt man viel Überraschendes, bei der Kräuterwanderung
etwa über Ameisenhaufen: „Früher hielten Kinder ihre Butterbrote darüber,
weil Ameisen Säure versprühen. Der feine Nebel legte sich auf die Butter
und gab ihr einen säuerlichen Touch“, erklärt Storm. Ob er heute noch ein
Butterbrot mitbringe? Storm lacht. Heute demonstriere man das Aroma, indem
man einfach die Hand über den Haufen lege. Eigentlich schade.
5 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://stories-editor.hilton.com/wp-content/uploads/2024/10/Hilton-2025-Trends-Report.pdf?utm_source=chatgpt.com
## AUTOREN
(DIR) Jochen Overbeck
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