# taz.de -- Ausstellung einer vergessenen Künstlerin: Malerin im Zwiespalt
> Von den Nazis verfemt, vom Apartheidsregime hofiert: Das Brücke-Museum
> blickt auf das zweideutige Werk der südafrikanischen Expressionistin Irma
> Stern.
(IMG) Bild: Es wirkt als entzöge sich die junge Mpondo-Frau, die Irma Stern 1935 porträtiert hat, dem Blick der Malerin
Kräftige Farbrücken drücken sich von den Leinwänden der
deutsch-südafrikanischen Expressionistin Irma Stern (1894–1966) ab, lassen
ihre Subjekte aus der Flachheit in den Raum drängen. Flecken ihres
Signaturrots blitzen in mal mehr, mal weniger antagonistischen Augen des
porträtlastigen Œuvres auf, welches [1][das Brücke-Museum] aktuell in der
erst zweiten institutionellen Einzelausstellung der Künstlerin in
Deutschland seit ihrer Ächtung durch den NS präsentiert. Die erste, in der
Kunsthalle Bielefeld, [2][liegt bald 30 Jahre zurück].
Irma Sterns charaktervolle [3][Porträtmalerei Schwarzer] und arabischer
Personen bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen kolonialistischer
Exotisierung und auffälliger Subjektsouveränität. So bietet das Werk der
jüdischen, weißen Stern im Südafrika der Apartheid eine dankbare Übung im
postkolonialen Denken an: die Verschränkung von Dimensionen der
Unterdrückung und der Privilegierung.
Um die differenzierte Aufarbeitung ist die kleine Schau durchaus bemüht.
Doch letztlich fehlt der Kuration der lange Atem. Denn ihre Historisierung
von Sterns Werk bleibt schmerzhaft indirekt.
Zahlreiche politische Eckpunkte werden zwar gesetzt. Aber nur sehr
vereinzelt spürt die Ausstellung den konkreten oder kulturpolitischen
Folgen für Künstlerin und Werk nach.
## Erfolg dank Exotismus
Geboren in der Kleinstadt Schweizer-Reneke in einem burischen
Siedlungsgebiet und künstlerisch ausgebildet in Berlin und Weimar, genießt
Stern mit ihren Afrikadarstellungen im Anschluss an die europäische
Avantgarde seit den 1920er Jahren große Erfolge in Europa. Dort bedient die
vermeintliche Afrikaexpertin den Hunger nach Bildern des Außereuropäischen.
Infolge dieser Anerkennung avanciert sie zugleich auch innerhalb Südafrikas
zu einer bedeutenden Vertreterin des europäischen Modernismus. Unerwähnt
bleibt in der Ausstellung jedoch, dass die Apartheidregierung ab 1948 den
Höhepunkt von Sterns Karriere hervorbringt.
Indem das Regime ihr Schaffen durch Reiseunterstützung und die Finanzierung
internationaler Ausstellungen massiv fördert, instrumentalisiert es ihre
Arbeit auch, um das Staatsprojekt als modern und auf eurozentrischen Werten
basierend zu verteidigen. Währenddessen erschweren die
Besuchsbeschränkungen Schwarzer Gemeinden der Künstlerin den Zugang zu
ihren Sujets.
Warum die pochende Frage nach Sterns politischer Wegfindung, die von der
geschichtssensiblen Rahmung der Ausstellung klar in den Raum gestellt wird,
nicht anhand ihrer aussagekräftigen Schriften diskutiert wird, ist
unverständlich.
Ihr aktives Nutznießen der Apartheid und der innere Konflikt, [4][der in
ihren teils widersprüchlichen Texten aufflammt,] bleiben ebenso
unterbelichtet wie die nur angedeuteten Anfeindungen im durchaus
antisemitischen [5][Südafrika].
## Wertungen sind schwer nachvollziehbar
Ist eine dekoloniale Umschulung des hegemonialen Blicks Ziel der
Aufarbeitung, so wünscht man sich nebst Quellenmaterial der damaligen
Blickregime eine entschiedenere Einbettung in den malerischen Diskurs. Denn
die Wandtexte benennen zwar reduktive Gesten, wie die Feminisierung
arabischer Männer und die Typologisierung von Gesichtszügen in Anlehnung an
westafrikanische Masken.
Für ein allgemeines Publikum, das koloniale Bildsprachen noch nicht
dekonstruiert hat und innerlich abrufen kann, sind diese Wertungen ohne
genauen Beleg am Bild schwer nachvollziehbar. Davon zeugt das Gästebuch,
voll mit [6][Unverständnis für ein vermeintlich anachronistisches
Überstülpen heutiger Analysekategorien].
Vermutlich hätten historische Vergleichswerke orientalisierender oder
primitivistischer Malarten als kunstdidaktischer Grundstock eine bessere
Brücke für die Vermittlung schlagen können. Den zwei vorhandenen
Maskenbildern fehlt jedenfalls die Problematisierung.
Denn letztlich bleibt die genaue Verfolgung von Sterns Malweise
ausschlaggebend. Die Wandtexte laden dazu ein, die Reserviertheit der
Porträtierten als ein Sichentziehen des weißen Künstlerinnenblicks zu
betrachten. Die imaginierte Steigerung der Handlungsfähigkeit von
BIPoC-Figuren wäre ein wichtiger Schritt im Verlernen des eurozentrischen
Bildblicks, wenn sie nicht ohne Kontextualisierung ahistorisch im Raum
schwebte.
So wird die spannungsreichste Facette an Sterns Werk – ihre Entscheidung
für die Darstellung von Unzugänglichkeit in Subjekten – komplett
ausgehebelt. Dabei liegt gerade hier die zentrale unbeantwortete Frage:
Inwiefern reproduziert die Künstlerin modernistische Rassismen mit ihrem
wild-pastosen Pinselstrich und inwiefern reagiert sie in der
Selbstreflexivität der Malsituation möglicherweise gleichzeitig kritisch
auf rassistische Hierarchien?
20 Oct 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Vom-Publikum-kuratierte-Kunstausstellung/!6086448
(DIR) [2] /Primitivismus-aus-erster-Hand/!1419295/
(DIR) [3] /Kunstmesse-Art-Basel/!6014466
(DIR) [4] https://archive.org/details/paradisejournall0000ster
(DIR) [5] /Doppelausstellung-zu-William-Kentridge/!6109386
(DIR) [6] https://dukespace.lib.duke.edu/items/3908a1d0-2aed-473b-a37f-f285680aa13a
## AUTOREN
(DIR) Kat Ripea
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