# taz.de -- Erste Parlamentswahl nach Assad-Regime: Ist ein demokratischer Wandel in Syrien denkbar?
       
       > In Syrien wird ein neues Parlament gewählt. Kritiker befürchten aber,
       > dass Demokratie nur Fassade bleibt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
       
 (IMG) Bild: Stimmabgabe in Damaskus: Die Befürchtung, dass die Regierenden selbst einen starken Einfluss auf das Ergebnis behalten, ist groß
       
       Damaskus dpa | Zum ersten Mal [1][seit dem Ende der Assad-Herrschaft] wird
       in Syrien heute das Parlament neu gewählt – ein wichtiger Schritt für die
       politische Neuordnung des Landes nach Jahren des Bürgerkriegs. Kritiker
       warnen jedoch vor einem Mangel an Demokratie. Die Befürchtung, dass die
       Regierenden selbst einen starken Einfluss auf das Ergebnis behalten, ist
       groß. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur anstehenden Wahl:
       
       [2][Syrien mit seinen rund 23 Millionen Einwohnern] wird derzeit von einer
       Übergangsregierung unter Führung von Interimspräsident Ahmad Al-Scharaa
       geführt. Al-Scharaa war der Kopf der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham
       (HTS), die die Rebellenallianz anführte, die Machthaber Baschar al-Assad
       Anfang Dezember stürzte und damit die mehr als fünf Jahrzehnte andauernde
       Herrschaft der Assad-Familie beendete.
       
       ## Wie wird gewählt?
       
       Es handelt sich um keine allgemeine Wahl, bei der alle Bürger abstimmen
       können. Vielmehr gibt es einen komplizierten Prozess in mehreren Stufen:
       Das „Oberste Wahlkomitee“ der Übergangsregierung hat im Juni regionale
       Wahlgremien bestimmt, die im Anschluss Wahlleute aus einem Bewerberpool
       ausgewählt haben. Diese Wahlleute wählen heute schließlich die
       Parlamentarier aus ihren eigenen Reihen.
       
       Für die Auswahl der Wahlleute wurden bestimmte Kriterien zur Voraussetzung
       gemacht. Dazu zählt unter anderem auch, dass 20 Prozent von ihnen weiblich
       sein sollen. Auch Vertriebene und Menschen mit Beeinträchtigungen sollen
       vertreten sein. Neben Akademikern müssen auch sogenannte traditionelle
       Würdenträger – wie etwa Stammesführer – vertreten sein. Anhänger der
       Assad-Regierung wurden nicht zugelassen.
       
       Insgesamt sind rund 6.500 Wahlleute beteiligt, davon wurden 1.578 als
       Kandidaten zugelassen. Nach Behördenangaben sind 14 Prozent der Bewerber um
       einen Sitz im Parlament Frauen. Für die Repräsentation von Frauen oder etwa
       Minderheiten im Parlament wurden keine Quoten gesetzt. Mit Ergebnissen wird
       am Montag oder Dienstag gerechnet.
       
       Das Verfahren wurde vielfach kritisiert. Es sei von persönlichen Interessen
       geleitet und befeuere Vetternwirtschaft, hieß es aus der Bevölkerung.
       
       ## Was sind Kritikpunkte?
       
       Im neuen Parlament sollen 210 Abgeordnete sitzen. Allein ein Drittel davon
       soll von Präsident al-Scharaa selbst bestimmt werden. Unter Assad galten
       Wahlen in Syrien als Farce, die der Regierung einen demokratischen Anstrich
       geben sollten. Regelmäßig gewannen mehrheitlich Anhänger der herrschenden
       Baath-Partei und ihre Verbündeten Sitze im Parlament.
       
       Beobachter sehen nun eine ähnliche Gefahr: Durch das von der
       Übergangsregierung festgelegte Verfahren könnte sich auch das neue
       Parlament zum Großteil aus Regierungstreuen zusammensetzen.
       
       Die Übergangsregierung ihrerseits verweist als Begründung für ihr Vorgehen
       auf die Millionen Binnenflüchtlinge und Vertriebenen, von denen viele keine
       gültigen Ausweispapiere besitzen. Zudem sind große Teile des Landes
       verwüstet, Treibstoff und Strom knapp, ganze Städte zerstört. Unter diesen
       Bedingungen sei eine landesweite Abstimmung nicht durchführbar.
       
       ## Wie repräsentativ ist die Wahl?
       
       Der fast 14-jährige Bürgerkrieg in Syrien hat das Land tief gespalten. Aus
       Sicherheitsgründen, wie es von den Behörden hieß, wurde die Wahl in
       mehreren Provinzen verschoben. In der südlichen Provinz Suwaida sowie in
       Teilen der nordöstlichen Provinzen Hasaka und Rakka solle sie zu einem
       späteren Zeitpunkt stattfinden. Wie diese Gebiete im neuen Parlament
       vertreten werden, bleibt abzuwarten.
       
       Die Provinzen Hasaka und Rakka stehen unter der Kontrolle der kurdisch
       geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). In Suwaida in Südsyrien
       ist die drusische Gemeinde beheimatet. Die Beziehungen der Kurden und auch
       der Drusen zur syrischen Regierung sind angespannt. Erst im Juli kam es in
       Suwaida zu tödlichen Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen und
       sunnitischen Stammesgruppen, die von der Regierung in Damaskus unterstützt
       wurden.
       
       „Die bevorstehenden Wahlen lassen keine Anzeichen für einen echten Wandel
       in Syrien erwarten“, sagte der SDF-Sprecher Farhad al-Schami der Deutschen
       Presse-Agentur. Das Vertrauen der Kurden in die neuen Machthaber sei
       gering.
       
       ## Wie blickt die Bevölkerung auf die Wahl?
       
       Syriens Bevölkerung blickt mit gemischten Gefühlen auf die Wahl. Nach
       Jahrzehnten einer autoritären Herrschaft hoffen viele auf einen ersten
       Schritt in Richtung Demokratie.
       
       Andere üben Kritik. Das Wahlsystem basiere nicht auf Kompetenz, sondern auf
       persönlichen Kalkülen, sagte ein Anwohner in Aleppo. „Wir haben uns von der
       Einheitsliste der Baath-Partei befreit, nur um nun einer
       Kleingruppen-Politik zu verfallen“, sagte Abdulasis Chalaf. Weitere
       befürchten, Syriens Politik könnte ähnlich wie zuvor von Rivalitäten
       untereinander geprägt sein, bei denen qualifizierte Kandidaten
       ausgeschlossen würden, nur weil sie den falschen Gruppen angehörten.
       
       ## Welche Bedeutung hat die Wahl trotzdem?
       
       Trotz aller Mängel sehen Experten die Wahl als notwendigen Zwischenschritt
       nach mehr als einem Jahrzehnt [3][Bürgerkrieg]. International wird der
       Prozess – insbesondere mit Blick auf die Repräsentanz von Minderheiten –
       genau beobachtet. Ob in Syrien nun ein langfristig demokratischer Wandel in
       Gang gesetzt werden kann, hängt jedoch vor allem von künftigen Reformen und
       möglichen anschließenden freien Direktwahlen ab.
       
       5 Oct 2025
       
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