# taz.de -- Soziologe über Klima als Klassenfrage: „Die Grünen haben Fehler gemacht“
       
       > Wenn Klimapolitik gesellschaftlich breiter akzeptiert werden soll, muss
       > die Verteilungsfrage in den Fokus rücken, sagt der Soziologe Linus
       > Westheuser.
       
 (IMG) Bild: Der New Yorker Bürgermeisterkandidat Zohran Mamdani während einer U-Bahn-Fahrt in New York City, USA, 29. September 2025
       
       taz: Sie schreiben [1][in einer neuen Studie], Sorgen um die Umwelt seien
       in der Gesellschaft weit verbreitet. Warum triggert Klimapolitik – wie
       aktuell die Diskussion um das Verbrenner-Aus – trotzdem so viele Menschen? 
       
       Linus Westheuser: Wenn man ganz allgemein fragt, können sich fast alle
       darauf einigen, dass die Umwelt etwas Positives und Schützenswertes ist.
       Aber im gesellschaftlichen Alltag wird es schnell komplizierter.
       Transformationsfragen wie die des Klimaschutzes sind verschlungen mit den
       Ängsten und Wünschen, Krisen und Ungleichheiten der Gesellschaft.
       
       taz: Was meinen Sie damit? 
       
       Westheuser: Viele Menschen erleben den Klimawandel als nur eine unter
       mehreren Krisen, die sie belasten: [2][Mieten und Preise, die schneller
       steigen als die Löhne,] Ängste vor einer Rezession und Altersarmut,
       Alltagssorgen um Kinderbetreuung, Zinsen, Überarbeitung und so weiter. Das
       ist der Kontext, in dem die Nachrichten von der Klimakatastrophe ankommen.
       „Auch das noch“ ist dann oft die Reaktion. Und die erste Frage ist nicht:
       Was wird aus der Atmosphäre? Sondern: Muss ich dafür jetzt auch noch
       blechen? Dazu tritt heute oft noch die Frage: Wird mir irgendwas verboten?
       
       taz: [3][Menschen mit niedrigen Einkommen sind am stärksten von der
       Klimakrise betroffen]. Warum wählen sie dann öfter AfD als Grüne? 
       
       Westheuser: Das liegt vielleicht auch daran, dass die Frage der ungleichen
       Betroffenheit von Klimaschäden nie wirklich im Zentrum der Debatte stand.
       Man weiß, dass [4][Menschen, die draußen arbeiten, die in schlecht
       isolierten Wohnungen wohnen, oder die alt und krank sind], am meisten unter
       dem Klimawandel leiden. Und man weiß auch, dass es ganz überproportional
       [5][die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft sind, die den Klimawandel
       befeuern], während die untere Hälfte sowieso schon mehr oder minder
       innerhalb der planetaren Grenzen lebt. Aber der politische Konflikt wurde
       trotzdem gerahmt, als stünde die aufgeklärte Mittelschicht der urbanen
       Bioläden gegen die einfachen Leute, die zu engstirnig sind, um ihre Autos
       aufzugeben.
       
       taz: Von wem? 
       
       Westheuser: Rechte und die Wirtschaftslobby haben mit viel Aufwand darauf
       hingearbeitet. Es gab einen anti-grünen Backlash, der aufwändig
       orchestriert wurde, unter anderem von Arbeitgeberlobbys wie der
       [6][Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft]. Aber auch die Grünen und die
       Klimabewegung haben strategische Fehler gemacht und sich zu stark auf die
       Spielregeln ihrer Gegner eingelassen.
       
       taz: Welche strategischen Fehler? 
       
       Westheuser: Ich denke, es hätte gelingen müssen, den Klimawandel als einen
       Konflikt zwischen oben und unten zu thematisieren. Auf der einen Seite
       hätte man über die soziale Absicherung derer sprechen müssen, die am
       stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Und auf der anderen
       Seite darüber, wer eigentlich von der Zerstörung des Planeten profitiert.
       Nicht zuletzt geht es außerdem auch darum, wer darüber entscheidet, was wir
       gesellschaftlich priorisieren: die Profite der Unternehmen oder das
       Wohlergehen der Beschäftigten und ihrer Lebensumwelt? Es gab diese Diskurse
       natürlich und gerade die Bewegungen haben ja stark auf den Begriff der
       Klimagerechtigkeit fokussiert. Aber am Ende kam bei vielen doch vor allem
       an, dass die Ökos mir das Tanken und Heizen teurer machen wollen.
       
       taz: Wie geht es besser? 
       
       Westheuser: Gelungen finde ich etwa die [7][Kampagne des New Yorker
       Bürgermeisterkandidaten Zohran Mamdani]. Bei Mamdani dreht sich alles um
       die Bezahlbarkeit des Alltagslebens. Dazu gehört ganz zentral auch die
       Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und einer
       Lebensmittel- und Energieversorgung, die kommunal organisiert ist und sich
       nach den Bedürfnissen der Bürger:innen und nicht nach den Profiten der
       Unternehmen richtet. Dieser Ansatz ist auch deshalb wahnsinnig populär,
       weil er grüne Zielsetzungen nicht gegen die materiellen Alltagssorgen der
       arbeitenden Mehrheit in Stellung bringt, sondern beide zugleich adressiert.
       
       taz: Ist es für eine allgemeine Akzeptanz von Klimapolitik schädlich, über
       [8][Lebensstile und Konsumverhalten] zu sprechen? 
       
       Westheuser: Ja. Klimapolitik ist umso machtvoller, je unterschiedlicher die
       Menschen sind, die sich mit ihr identifizieren. Lebensstil und Konsum
       unterscheiden sich aber sehr stark zwischen sozialen Milieus. Je mehr linke
       Klimapolitik nur mit bestimmten Lebensstilen verbunden wird, desto mehr
       verzwergt ihr politischer Einzugsbereich. Das ermöglicht es rechten
       Klimabremsern dann, so zu tun, als sei ihre Verteidigung von
       Fossilinteressen eigentlich eine Verteidigung der einfachen Leute und ihrer
       Lebensweise. Die Thüringer CDU hat letztes Jahr auf ein Plakat geschrieben:
       „Grillen muss erlaubt bleiben!“ Natürlich wollte niemand das Grillen
       verbieten. Aber es erschien plausibel, weil ökologische Politik ohnehin
       schon als etwas gesehen wird, das einem von oben auferlegt wird – durch
       Leute, die der eigenen Lebensform indifferent bis feindlich
       gegenüberstehen.
       
       taz: Im Surplus Magazin haben Sie Klimapolitiker*innen und
       Klimabewegung gemeinsam mit der Politökonomin Johanna Siebert ans Herz
       gelegt, [9][mehr auf „Klimapopulismus“ zu setzen]. Was meinen Sie damit? 
       
       Westheuser: Das ist ein Strategievorschlag, der skizziert, wie man den
       Klimakonflikt anders rahmen könnte. Nämlich indem man die ungleiche
       Verursachung und Betroffenheit ins Zentrum stellt und Wirtschaftseliten ins
       Visier nimmt. Wir stützen uns auf Studien, die zeigen, dass es die
       Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen erhöht, wenn diese als Frage von oben
       und unten politisiert werden. Forschung von Pariser Kollegen etwa zeigt,
       dass sich die Zustimmung für ein Tempolimit von 110 Kilometern pro Stunde
       auf der Autobahn deutlich erhöht, wenn es mit einem Verbot von Privatjets
       verbunden und Minister:innen vorgeschrieben wird, mit dem Zug zu
       fahren, statt zu fliegen. Die symbolische Seite von Politik ist sehr
       wichtig. Man kommuniziert: Wann immer den einfachen Leuten etwas zugemutet
       wird, schlägt man zuallererst und am allermeisten bei den Reichen und
       Mächtigen zu. Das ist ein Baustein für eine populäre Klimapolitik jenseits
       der Innenstadtringe.
       
       taz: Sie wollen also die im rechten politischen Spektrum übliche Rhetorik
       vom „einfachen Volk“ gegen die „bösen Eliten“ übernehmen? 
       
       Westheuser: Die Idee ist es, diesen ganzen Konfliktstoff und die Arbeit mit
       politischen Emotionen eben nicht einfach den Rechten zu überlassen. Zurzeit
       sind es vor allem sie, die Ungerechtigkeiten in der Klimapolitik
       skandalisieren und sich als Verteidiger der einfachen Leute gerieren. Das
       könnten Linke besser, wenn sie es zum Zentrum ihrer Politik machen würden.
       Schaut man auf die Zahlen, wer wie viel Klimaschäden verantwortet, dann
       wäre es tatsächlich unfair, wenn ausgerechnet der Lebensstil der einfachen
       Leute als erstes eingeschränkt würde. Denn das Problem sind nicht „wir
       alle“, sondern vor allem die Reichen. Beispielsweise verursacht die ärmere
       Hälfte Deutschlands weniger Klimaschäden als selbst die oberen 10 Prozent
       in einem Schwellenland wie Indien. Die [10][Klimafrage ist in allererster
       Linie eine Klassenfrage].
       
       taz: Es fehlt den Menschen also nicht einfach an Klimabewusstsein? 
       
       Westheuser: Nein. Aber unsere Studie zeigt, dass die Wahrnehmungen rund um
       den Klimawandel sich zwischen den sozialen Klassen deutlich unterscheiden.
       In der Erzählung der ökologisch sensibilisierten Mittelklasse ist der
       Klimawandel die Rechnung dafür, dass wir heute in Saus und Braus leben, zu
       viel haben, zu viel wollen und zu viel konsumieren. Wir leben in den fetten
       Jahren, aber bald sind sie vorbei, wenn wir uns nicht zügeln. In der
       Wahrnehmung [11][der Arbeiterklasse dagegen ist schon die Gegenwart prekär]
       und man beschränkt sich sowieso schon die ganze Zeit. Da ist das Ende des
       Monats manchmal näher als das Ende der Welt. Wenn einem dann jemand
       schmackhaft machen will, dass es doch eigentlich ganz schön wäre, weniger
       zu haben, klingt das einfach nur weltfremd. Klimaschutz wird dann als eine
       zusätzliche Last oder gar eine Bedrohung des eigenen Lebensprojekts
       wahrgenommen. Das führt zu einer Blockade in der Klimapolitik, die man
       vermeiden könnte.
       
       19 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://link.springer.com/article/10.1007/s11609-025-00566-3
 (DIR) [2] /Volksentscheid-in-Hamburg/!6116890
 (DIR) [3] /Bilanz-des-Sommers/!6117526
 (DIR) [4] /Klimakrise-in-der-Stadt/!6108432
 (DIR) [5] /Wohlstand-erzeugt-Erderhitzung/!6086888
 (DIR) [6] /Politischer-Einfluss-der-Superreichen/!6073818
 (DIR) [7] https://www.surplusmagazin.de/zohran-mamdani-newyork-kandidat-buergermeister-demokraten/
 (DIR) [8] /Studie-zu-nachhaltigem-Konsum/!6114282
 (DIR) [9] https://www.surplusmagazin.de/autoren/linus-westheuser/
 (DIR) [10] /Kapitalismus/!6108937
 (DIR) [11] /Saisonarbeit/!6115004
       
       ## AUTOREN
       
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