# taz.de -- Sängerin und Vocal Coach Britta Görtz: Die Kunst des Schreiens
       
       > Die Hannoveraner Sängerin Britta Görtz macht extremen Metal. Als Coach
       > für „Harsh Vocals“ zeigt sie anderen, wie man screamt, shoutet und
       > growlt.
       
 (IMG) Bild: Vollgas für die Stimmbänder: Britta Görtz bei einem Auftritt mit ihrer Band Hiraes
       
       Schnell sind die brachialen Gitarrenriffs und krachenden Schlagzeug-Beats,
       dazu wummern die Bässe und graben sich tief in die Magengrube. In der Mitte
       der Bühne beim Rockharz-Festival in der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt
       Ballenstedt im Juli steht eine Frau mit langen schwarzen Haaren und schreit
       sich inmitten des Krachs die Seele aus dem Leib. Oder genauer: Sie screamt,
       shoutet und growlt – so lautet die Fachterminologie für das Artilleriefeuer
       aus brutal gegrunzten Lauten, das Britta Görtz den aufgebrachten Horden von
       Fans zu ihren Füßen entgegenschleudert.
       
       Die 47-Jährige ist ganz in ihrem Element: Death Metal, eine extrem
       aggressive Spielart mit tiefen Gitarren-Riffs, komplexen Rhythmen,
       schnellen Drumbeats und eben diesen charakteristischen tiefen
       Growl-Gesängen. „Death Metal erklärt sich nicht, bittet nicht um
       Aufmerksamkeit und legt niemandem Teppiche aus – er bricht einfach herein.“
       So drückt Görtz das aus.
       
       Als die Hannoveranerin sich nach den ersten Songs direkt ans Publikum
       richtet und der Menge mit ein paar selbstbewussten Ansagen einheizt, recken
       viele die Arme und ballen die Fäuste, im Moshpit vor der Bühne krachen die
       Körper der Metalheads mit Anlauf ineinander.
       
       Dieser Auftritt von Görtz war ein besonderes Ereignis, das Sommermärchen
       des Metal gewissermaßen, seitdem ist sie in der Szene in aller Munde. Denn
       die dort Umjubelte war eigentlich nur als Vertretung dort. Sie stand nicht
       mit ihrer eigenen Band Hiraes auf der Bühne, sondern mit der Thüringer
       Szenegröße Heaven Shall Burn. Deren Sänger Marcus Bischoff hatte kurz zuvor
       einen Auftritt der Band auf dem „Rock am Ring“-Festival abbrechen müssen,
       weil ihm auf der Bühne die Stimme versagte. Um einen drohenden Abbruch der
       geplanten Release-Tour zum neuen Album „Heimat“ zu verhindern, sprang Görtz
       spontan ein, um mit der Band zusammen die neuen Songs zu performen.
       
       Dass ihr das so beeindruckend gelungen ist, hat mit ihrer geballten
       Erfahrung zu tun: Seit über 25 Jahren singt, screamt, shoutet, growlt
       Britta Görtz in verschiedenen Metal-Bands.
       
       1977 in Hannover geboren, wuchs sie im Vorort Seelze auf. Mit hartem Rock
       und [1][Metal] wie AC/DC oder [2][Iron Maiden] ist sie durch ihren zehn
       Jahre älteren Bruder in Kontakt gekommen, im gemeinsamen Zimmer hingen
       Plakate mit Iron Maidens ikonischem Eddie-Motiv, erinnert sich Görtz in
       einem Interview mit dem „Chaoszine“. Harsche Vocals, erzählt sie dort, habe
       sie dann zum ersten Mal bei der [3][norwegischen Death-Metal-Band Dimmu
       Borgir] gehört.
       
       In Hildesheim, wo Görtz nach dem Abitur Architektur studierte, kam sie
       näher mit der Szene in Kontakt. Ihre erste Band-Erfahrung sammelte sie dort
       als Keyboarderin und Background-Sängerin in einer Gothic-Band: Kramm, ein
       Side-Project der Industrial-Gruppe Das Ich. Ende 2004, mit 26, stieg Görtz
       dann bei der Hannoveraner Thrash-Metal-Band Cripper ein, mit ihr ging sie
       später mit legendären Bands wie Overkill auf Tour. 2016 wechselte Görtz zur
       Death-Metal-Band Critical Mess, ebenfalls aus Hannover, die Einflüsse aus
       Grindcore, Thrash und klassischen Death Metal à la Morbid Angel oder
       Entombed verknüpfte.
       
       Seit 2020 ist Görtz nun Frontfrau der Osnabrücker Melodic-Death-Metal-Band
       Hiraes, die melancholische Melodien mit hymnenhaften Gitarren und Görtz’
       vielseitigen Screams verbindet. Im Gegensatz zur rauen Energie von Critical
       Mess geht es, beeinflusst von Bands wie Insomnium oder At the Gates, um
       eine Balance aus Brutalität und Melodie. In dieser „skandinavischen
       Wahnsinnigkeit“ fühle sie sich wohl, sagt Görtz.
       
       Ihre Texte schreibt sie dabei fast alle selbst. Schon früh habe sie eine
       Leidenschaft für Lyrik und für das Schreiben entwickelt, sagt sie.
       Beeindruckt hätten sie etwa die morbiden Gedichte des Expressionisten
       Gottfried Benn. Texten, das sei ihre eigentliche Kunst, sagt Görtz: „Ich
       baue Luftschlösser für Menschen.“ Richtig gut sei ein Song, wenn nach dem
       Konzert alle ganz verschiedene Sachen darin erkannt haben, sagte sie dem
       ARD-Magazin „Planet Wissen“.
       
       Seit 2016 gibt Görtz ihr Wissen auch an die nächste Generation weiter. In
       einem Industriegebiet in Hannover weiht sie als Vocal Coach in die
       Geheimnisse von „Harsh Vocals“ ein. Seit fünf Jahren macht sie das
       hauptberuflich. „Gemeinsam arbeiten wir an Techniken wie False Cord, Fry
       Screaming, Unterton- und Obertongesang, an deiner Stimmgesundheit, deinem
       eigenen Stil oder deinen Songs“, schreibt Görtz dazu auf ihrer
       Internetseite.
       
       Vergangenes Wochenende lud sie außerdem zum zweiten Mal zum dreitägigen
       „Harsh Vocal Camp“. Dort konnte man etwa von Vocal Coach Cornelia Schmitt
       etwas übers „Vocal Survival“ lernen: Wer nämlich die gutturalen Gröhllaute
       falsch intoniert, kann sich seine Stimme ganz ordentlich kaputtmachen. Und
       warum Obertöne der Schlüssel zur Klangfarbe und zu kraftvollem und
       ausdrucksstarkem Singen sind, erklärte dort der Obertonsänger Wolfgang Saus
       im Workshop.
       
       ## Intensive Gefühle
       
       Görtz hat all das damals nicht gewusst und sich das harsche Singen selbst
       beigebracht. Beeinflusst zum Beispiel von der Vokalakrobatik des ehemaligen
       Faith-no-More-Sängers Mike Patton habe sie sich einfach ein Mikro
       geschnappt und losgegrowlt – und dann aus ihren Fehlern lernen müssen.
       Später hat sie dann Unterrichtsstunden genommen. Und irgendwann habe man
       sie gefragt, ob sie das auch anderen beibringen könne.
       
       Vor allem aber ist Görtz Künstlerin und Live-Musikerin mit einem
       leidenschaftlichen Verhältnis zur Szene. Extremer Metal ist für sie ein
       Vehikel für rohe emotionale Ausdrucksstärke, aber auch für
       gesellschaftliche Reflexion, etwa über Themen wie menschliche Abgründe.
       „Schreien und Brüllen ist gesellschaftlich viel zu negativ bewertet“, sagt
       sie. Aber „die Lauten, [4][die werden wir noch brauchen“.]
       
       Live-Auftritte sind für Görtz deshalb geradezu magische Momente. „Ein
       Konzert entsteht, wenn Band und Publikum aufeinandertreffen – in diesem
       Moment beginnt der Energieaustausch“, erzählt sie der taz beim Besuch in
       ihrer Gesangsschule: „Intensive Gefühle – positive wie auch negative –
       entladen sich körperlich und erfüllen den ganzen Raum“, sagt Görtz.
       „Manchmal ist es geradezu elektrisierend, die Luft vibriert dann um einen
       herum und man kann diese Energie förmlich anfassen.“ Ästhetik, sagt Görtz,
       liege nicht allein im Schönen, „sie wird erst vollkommen, wenn auch das
       Hässliche dazugehört.“ Also auch im schmerzhaften Krach und in all dem
       Schreien, Grunzen, Gröhlen und Quieken.
       
       11 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Metal/!t5016922
 (DIR) [2] /Phaenomen-Iron-Maiden/!5064856
 (DIR) [3] /Die-Wahrheit/!5629917
 (DIR) [4] /Subkultur-Heavy-Metal/!6102565
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lennart Sämann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Heavy Metal
 (DIR) Metal
 (DIR) Stimme
 (DIR) Musik
 (DIR) Hannover
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Metal
 (DIR) taz Plan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kreator-Sänger Petrozza im Gespräch: „Im Herzen bin ich Humanist“
       
       Miland „Mille“ Petrozza über das Miteinander im Ruhrgebiet, grelles
       Scheinwerferlicht und sein Leben als Frontmann der Thrash-Metal-Band
       Kreator.
       
 (DIR) Metal-Band Khanate im Berghain: Tiefe Trance
       
       Allein aufgrund der Lautstärke wird dieses Konzert in Erinnerung bleiben.
       Die US-Metalband Khanate trat in Berlin auf.
       
 (DIR) Neue Musik aus Berlin: Feministische Kakerlaken
       
       Die exzessiven Konzerte der Berliner Noise-Metal-Band Cuntroaches sind
       legendär. Auf ihrem Debüt ertönen extreme Gitarren und kehliger
       Schreigesang.