# taz.de -- Deutscher Travelcontent aus Afghanistan: Tiktoken mit den Taliban
       
       > Anfang der Woche hatten die Taliban das Internet landesweit abgestellt.
       > Währenddessen reisen Travel-Influencer ins Land und machen Geld mit
       > Content.
       
 (IMG) Bild: Die Reiseerfahrung von Tourist*innen, wie hier auf dem Bild, ist von der Krise im Land ziemlich unberührt
       
       Berlin taz | Auf Social Media nennt sich Joshua S. aus Schleswig-Holstein
       [1][@unchained_exp]. Die Abkürzung „exp“ steht für Expedition, den
       gleichnamigen Blog hat er mit seinem Freund Noah W. gegründet. Ein Foto auf
       der Website zeigt beide, wie sie in Pullovern mit norwegischem Muster in
       die Kamera grinsen. In zweieinhalb Jahren seien sie in 40 Länder gereist
       und hätten 40.000 Kilometer auf dem Fahrrad zurückgelegt, schreiben sie auf
       Facebook.
       
       Ihr Reiseziel im August und September dieses Jahres: Afghanistan. Im Video
       von Joshua S. sieht man die hohen Spitzen des Hindukusch-Gebirges, das
       Wakhan-Tal und blaue Seen. „Afghanistan ist mehr als ein Kriegsgebiet“
       steht auf dem Bild. Dort trifft Joshua S. die zwei Radfahrer*innen
       Philipp S. und Maria W., die gemeinsam als [2][@philippundmaria]
       Reise-Content produzieren.
       
       Die drei gehören zu den Reiseinfluencer*innen, die seit drei Jahren
       vermehrt nach Afghanistan reisen. Nach der [3][gewaltvollen Machtübernahme]
       der Taliban im August 2021 hatten internationale Airlines ihre
       Flugverbindungen nach Kabul eingestellt. 2023 beendete unter anderem
       FlyDubai die Blockade, was innerhalb eines Jahres die Zahl der
       Tourist*innen von 2.000 auf 7.000 erhöhte. Viele der Reisenden labeln
       ihre Erlebnisse als Abenteuer.
       
       Im Vergleich zu glänzenden Moscheen und bunten Basaren, die
       [4][Influencer*innen] normalerweise teilen, ist der Content von Joshua
       S., Philipp S. und Maria W. teilweise anders. Sie sind, neben Accounts wie
       @thegreathans_ oder @maxroving, Teil der deutschen Traveller*innen, die mit
       dem Rad unterwegs sind.
       
       ## Fahrradfahren für Frauen in Afghanistan verboten
       
       Die Kamera ist am Lenker oder Selfiestick befestigt, wenn sie durch die
       staubigen Straßen fahren. Es geht in den Videos oft um Landschaften oder
       Begegnungen, seltener um kulturelle Orte. Diese Inszenierung des
       Fahrradtourismus gibt vor, ehrlicher zu sein als anderer Travelcontent. Das
       Trio sagt in Videos, das sei das „wahre Afghanistan“.
       
       Content aus Krisengebieten oder autoritären Staaten kann nicht jeder. Auch
       internationale Reiseinfluencer*innen wie [5][„Matt and Julia“]
       generieren mit ihren Videos aus Nordkorea, Afghanistan oder Syrien bis zu
       3,4 Mio. Aufrufe auf Youtube. Die Thumbnails ähneln Filmplakaten und zeigen
       afghanische Frauen in Burkas und bewaffnete Taliban.
       
       Diese Reiseform erinnert stark an [6][„dark tourism“], bei der
       Tourist*innen zu früheren Orten von Gewalt fahren. In Afghanistan ist
       das noch sehr aktuell. Und funktioniert nur, weil für die Reisenden andere
       Regeln gelten als für die dortige Bevölkerung. Fahrradfahren ist für Frauen
       in Afghanistan beispielsweise verboten. Auch das Filmen von Menschen oder
       Tieren steht unter Strafe.
       
       Im Gegensatz zu den neuen Influencer*innen im Land wurden die
       afghanischen Social-Media-Creator*innen, seitdem die Taliban an der Macht
       sind, aus dem Land vertrieben. Anfang dieser Woche wurde das [7][Internet
       vollständig abgeschaltet]. Zuvor hatten die Machthaber in etwa 15 Regionen
       den Zugang gedrosselt, um „Unmoral zu bekämpfen“. Als Auslöser hatten die
       Taliban Videos in den sozialen Medien genannt, die von Afghan*innen
       geteilt wurden.
       
       ## Grenzübergang ohne Sicherheitsrisiko
       
       Für die deutschen Reisenden fungieren die Taliban als normale Behörde, die
       man nicht fürchten muss. Das Titelbild des ersten Videos von
       @philippundmaria aus Afghanistan zeigt die Flagge der Taliban. Die
       Reisegruppe erfindet an der Grenze Familienverhältnisse, schreibt Philipp
       S.: „Die Lüge geht durch und wir dürfen [rein]“.
       
       Vor einem Monat erzählt dann Joshua S. in einem Video, dass Maria W. von
       einem Straßenhund gebissen wurde. Er trägt eine afghanische Peran Tumban –
       eine Hose mit langem Hemd – und läuft in der Nachmittagssonne unter Bäumen
       entlang. „Und jetzt braucht man natürlich die Impfung oder ein
       Krankenhaus“, sagt er. „Deswegen haben wir jetzt Taliban gefragt und die
       haben uns angeblich irgendwas organisiert.“ S. erzählt, dass die Taliban
       sie mit an die Grenze zu Pakistan nehmen. Das „Unicef-Auffanglager“, wie er
       es nennt, an dem sie vorbeifahren, sei „auch mal sehr interessant zu
       sehen“, sagt Joshua S. in die verwackelte Kamera, als die drei im Auto
       Afghanistan verlassen.
       
       Der Grenzübergang, den Joshua S. in seinem Video nennt, liegt östlich der
       Hauptstadt Kabul und heißt Torkham. Es ist der meistfrequentierte
       Grenzübergang zum Nachbarland Pakistan und nicht nur Handels-, sondern auch
       Fluchtroute. Hier waren im August etliche Afghan*innen gestrandet, die
       Pakistan in der nunmehr dritten [8][Massenabschiebung] seit November 2023
       zurückgedrängt hatte. Die pakistanische Regierung wolle insgesamt 1,4
       Millionen Personen mit afghanischem Pass abschieben, hieß es in einer
       Bekanntgabe.
       
       Für die Geflüchteten ist die Grenze bei Ein- sowie Ausreise ein hohes
       Sicherheitsrisiko. Menschenrechtsorganisationen vor Ort berichten schon
       seit Anfang letzten Jahres von einer drohenden humanitären Krise im
       Grenzgebiet. Es gibt Hinweise auf körperliche Misshandlungen und
       sexualisierte Gewalt gegenüber afghanischen Frauen und Mädchen.
       
       ## Social-Media-Auftritt der Taliban wird nicht ernst genommen
       
       Die drei Travel-Influencer*innen hingegen reisen bei den Taliban im Auto
       schnell nach Pakistan ein und werden innerhalb kurzer Zeit verarztet. Die
       Ausreise sei vereinfacht, weil sie wegen der Verletzung mit den Taliban
       unterwegs seien, erzählt Joshua S. in seinem Video. „Die haben uns da dann
       ein bisschen durchgeschleust, an einer Grenze, die fast von 10.000 Leuten
       pro Tag überquert wird, das ist echt hilfreich“, erzählt er.
       
       Philipp S. und Maria W. posten ebenso Videos ihrer Reise, darunter auch vom
       Tag des Hundebisses. Am Ende des Videos steht für ein paar Sekunden ein
       Foto. Es zeigt Philipp S. und Joshua S., Maria W. fehlt. Zu sehen sind die
       beiden mit neun Taliban, ein Talib mit einer AK-47 in der Hand. Mehrere
       Personen, darunter auch die Deutschen, lächeln breit. Eine Person versteckt
       ihr Gesicht. „Wir sind froh über die Hilfe der Taliban“, liest sich am
       unteren Bildrand.
       
       Den fundamentalistischen Taliban spielt es in die Karten, dass sie, vom
       Westen als „rückständig“ gelabelt, in ihrem strategischen Handeln auf
       Social Media nicht ernst genommen werden. Schon längst arbeiten deren
       Anhänger daran, mehrsprachigen Content für Tiktok und Co. zu erstellen.
       Wenn die Taliban an der Sicherheit von Reisenden interessiert sind, dann,
       weil Tourismus Geld bringt und Videos von Traveller*innen gutes
       Marketing sind.
       
       Die Taliban verfolgen den Content, der das Abenteuer der Reisenden
       abbildet. Philipp S. und Maria W. hatten sich Mitte August auf Tiktok mit
       einem Statement an ihre Follower*innen gewandt. Ein auf dem Kanal zuvor
       geteiltes Video, „Unangenehme Begegnung in Afghanistan“, zeigt einen jungen
       Mann auf einem Fahrrad, der Maria W. nah kommt. Er berührt sie mit dem
       Ellenbogen, fährt an sie heran. Es ist zu sehen, wie Philipp S. mit dem Arm
       schwenkt, „Don’t touch! My wife!“, signalisiert er dem Mann.
       
       ## Die Taliban seien „nette Typen“
       
       Dieses eineinhalb minütige Video schicken einige Follower*innen an die
       Taliban. Der Mann wird, so sagen Philipp S. und Maria W. in ihrem
       Statement, daraufhin verhaftet. „Wir hoffen sehr, dass die Konsequenzen für
       ihn milde ausfallen“, schreiben sie.
       
       Philipp S., 25, und Maria W., 28, erfüllen sich den Traum einer Reise um
       die Welt. Auf ihrer Website kann man Berichte ihrer bisherigen Reisen
       finden und das Paar „bei [ihrem] Vorhaben unterstützen“. Neben den Spenden
       sind die Abos und Klicks Haupteinnahmequelle der Traveller*innen, die
       Algorithmen und bezahlten Partnerschaften pushen die Videos in den sozialen
       Netzwerken.
       
       Max Roving, mehr als 64.000 Follower*innen auf Instagram, ist ein
       weiterer radfahrender Reiseblogger. Auch er ist im September in
       Afghanistan. Auf seiner Website schreibt er, dass er die Reisen über
       Ersparnisse und Investments und nicht über Spenden finanziert. Mit dem
       Handy am Selfiestick dokumentiert der Mitte-zwanzig-Jährige seine Routen
       durch die schmalen Gebirgsserpentinen.
       
       Nach einer Begegnung mit den Taliban wendet er sich auf Englisch an sein
       Publikum: „Wisst ihr, die meisten Talibs sprechen kein Englisch, [aber] ja,
       nette Typen, und hat vielleicht auch ein paar falsche Vorstellungen
       aufgeklärt. […] Ich will nicht wie ein Propagandist klingen. Es gibt viele
       Gesetze, die ich nicht unterstütze, vor allem die gegen Frauen, aber nicht
       alles, was man über [die Taliban] hört oder sieht, stimmt. Es war eine
       witzige Erfahrung.“
       
       ## Nützt Taliban und deutscher Abschiebepolitik
       
       Die Kommentare unter dem Video mit mehr als 330.000 Aufrufen auf Youtube
       sind mehrheitlich positiv. Auch einige Exil-Afghan*innen melden sich: „Du
       wirst von Afghanen weltweit geschaut, Max“, schreibt eine Person. „Du bist
       so ein großartiger und mutiger Youtuber, Bro“, schreibt eine andere Person.
       Weiter unten dann der Kommentar: „Jedes Mal, wenn ich deine Videos ansehe,
       bin ich ziemlich neidisch und traurig. Das ist mein Land, aber ich konnte
       noch nie frei herumreisen, ohne Angst zu haben“, schreibt @Afghan_girl.
       
       Auch die afghanische Wissenschaftlerin und Aktivistin Orzala Nemat, die
       2012 das Women and Youth Leadership Centre gründete, kritisiert die
       Verharmlosung der Zustände. „Die Situation in Afghanistan ist nicht gut,
       der Hälfte der Bevölkerung werden ihre Grundrechte verwehrt“, sagt Nemat
       dem US-amerikanischen Sender NBC News.
       
       Dass mit dem Social-Media-Content die Lage vor Ort verharmlost wird, nützt
       nicht nur den Taliban. Auch für politische Kursänderungen in Deutschland
       bekräftigen die Videos das Narrativ, dass eine Abschiebung nach Afghanistan
       nicht lebensbedrohlich sei. [9][Die deutsche Bundesregierung hatte zuletzt
       am 28. September bekannt gegeben], dass zwar keine diplomatischen
       Beziehungen mit den Taliban unterhalten werden, aber Beamte nun nach Kabul
       reisen sollen, um über regelmäßige Abschiebungen zu verhandeln. Das soll
       bereits im Oktober passieren.
       
       Nach seiner Reise sagt Joshua S. in einem Video: „Ich kann es nie wieder
       einer Person verübeln, die aus solchen Ländern nach Deutschland kommt.“ Die
       Chancenungleichheit habe ihn sehr beschäftigt. Auf dem Kopf trägt er einen
       beigen Sonnenhut, der unter dem Kinn gebunden ist. Im Hintergrund ein
       grüner Wald. Ganz so, wie Abenteuerlust vermutlich aussehen soll.
       
       2 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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