# taz.de -- Schriftstellerin Jenny Erpenbeck: Akute Ostalgie
       
       > Die ostdeutsche Schriftstellerin Jenny Erpenbeck zeichnet beim Festival
       > „Literatur Jetzt!“ in Dresden die eigene Familiengeschichte und die DDR
       > weich.
       
 (IMG) Bild: Schriftstellerin Jenny Erpenbeck und Moderatorin Maike Albath am Mittwochabend in Dresden auf dem Podium
       
       Über anderthalb Jahre ist es her, dass Jenny Erpenbeck den Booker Prize,
       einen der wichtigsten Literaturpreise außerhalb Deutschlands, für ihren
       Roman „Kairos“ erhalten hat. Doch Langeweile kommt bei der Schriftstellerin
       nicht auf, ganz im Gegenteil. Gerade kommt sie aus Chemnitz, wo sie an
       einem Libretto für die Uraufführung einer Oper nach dem Roman „Rummelplatz“
       von Werner Bräuning arbeitet. Parallel dazu wird ihr dritter Roman,
       „Heimsuchung“, von Völker Schlöndorff mit Lars Eidinger und Ulrich Matthes
       verfilmt.
       
       Beim Festival Literatur Jetzt! in Dresden schätzt man sich umso
       glücklicher, so betonen es sowohl die Veranstalterinnen als auch die
       Moderatorin, dass sich die viel beschäftigte Schriftstellerin für die
       Eröffnung des Festivals die Zeit genommen hat. Unter dem Titel „Eine
       Familie, die DDR und die Literatur“ will Erpenbeck ein wenig über ihren
       letzten Roman „Kairos“, aber auch von ihrer Familiengeschichte erzählen.
       
       [1][Schließlich ist Erpenbecks Familie keine Unbekannte]. Ihre
       kommunistischen Großeltern, die Autorin Hedda Zinner und der Autor Fritz
       Erpenbeck, [2][emigrierten 1935 in die stalinistische Sowjetunion], wo 1942
       ihr Vater, der Physiker und Philosoph John Erpenbeck zur Welt kam. 1945
       kehrte die Familie zurück nach Ostberlin, um das kulturelle Leben nach
       sowjetischer Vorstellung wieder aufzubauen. Erpenbecks Vater heiratete
       später die Übersetzerin Doris Kilias.
       
       ## Private Fotos
       
       Für den Abend im Zentralwerk in Dresden hat Erpenbeck ein paar Fotos
       mitgebracht. Sie zeigen ihre Großmutter als Grande Dame mit kurz gewelltem
       Haar in stilvollen Kostümen. Auf einem anderen sieht man sie im Zentrum des
       Bildes, am Schreibtisch in ein Buch vertieft während ihr Mann ihr über der
       Schulter lehnt. Erpenbeck mag das Bild, weil „das doch eine gute
       Rollenverteilung ist“.
       
       Eigentlich hätte auch ihr Vater, John Erpenbeck, bei der Familienschau an
       diesem Abend in Dresden dabei sein sollen. Doch der ist gesundheitlich
       verhindert, was die Tochter sichtlich bedauert: „Wir sind ein gutes Team.“
       [3][Erpenbecks Liebesgeschichte der jüngeren Frau zu dem älteren Mann], die
       ihr Roman „Kairos“ vor dem Hintergrund der untergehenden DDR erzählt, ist
       auch eine, die von zahlreichen biografischen Bezügen zu ihrer Familie
       gespickt ist.
       
       Einer Familie, die Erpenbeck im Gegensatz zur Mehrheit der DDR-Bevölkerung
       als privilegiert erscheinen lassen: Der Berliner Zeitung erklärte die
       Autorin, ihr Vater sei mit ihr in viele Ausstellungen gegangen, ihre Mutter
       organisierte ihr Klavierunterricht. Mit dem neuen Mann der Mutter, der an
       der DDR-Botschaft in Rom arbeitete, lebte sie für ein Jahr in Italien.
       
       ## Privileg in der Ostberliner Leipzigerstraße
       
       War ihr als Kind bewusst, dass sie privilegiert ist? „Na ja“, druckst
       Erpenbeck, „ein bisschen war es mir bewusst.“ Man merkt schnell, so ganz
       kann sie sich dem Urteil nicht anschließen. Natürlich sei es ein Privileg
       gewesen, in der Leipziger Straße und nicht in Marzahn aufgewachsen zu sein,
       „aber die Neubauwürfel waren schon ähnlich.“
       
       Als Erpenbeck fortfährt und anmerkt, dass es keine Privatschulen gab und
       ihre Klasse quer gemixt war mit Kindern „von intellektuellen Leuten, von
       Anwaltskindern, Arztkindern bis hin zu ganz normalen Leuten“, bricht das
       Publikum in mildes Gelächter aus. „Sie lachen?“, fragt Erpenbeck entsetzt,
       der ihre sprachliche Verunglimpfung zuerst nicht auffällt. Mit normalen
       Leuten meine sie natürlich „nicht so privilegierte Menschen“.
       
       Erpenbeck, das war auch im letzten Jahr das bestimmende Thema des
       Feuilletons, scheint mit ihrem Buch im englischsprachigen Ausland deutlich
       größere Anerkennung zu bekommen als in Deutschland. Im angelsächsischen
       Raum stehe eben keine Schuldfrage im Raum, würde man sich „gleichermaßen
       für Ost und West interessieren“, berichtet sie auf der Bühne in Dresden.
       
       ## Fokus auf der Sprache
       
       Hierzulande hingegen sei das schwieriger, „weil niemand unbeteiligt ist.“
       Tatsächlich wurde „Kairos“ in Deutschland zwar nahezu einhellig für seine
       Sprache gelobt, doch lag der Fokus der Bewertung vor allem auf der
       Darstellung der DDR und ihres Zerfalls. Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk
       kritisierte, sie ignoriere, dass die DDR „immer eine unfreiheitliche und
       antidemokratische Herrschaftsform einer Minderheit über eine Mehrheit
       meinte“.
       
       Und obwohl Erpenbeck den Vorwurf der „Ostdeutschtümelei“ bis heute von sich
       weist, erkennt sie an diesem Abend dann doch an, dass die Wahrnehmung und
       Bewertung derselben Dinge von Menschen völlig unterschiedlich sein kann.
       Wichtig sei ihr deshalb, „dass man auch mal den Standpunkt wechselt, sich
       auch mal in andere Leute reindenkt und vielleicht besser versteht, wo die
       Beweggründe liegen“. An ihrem nächsten Buch scheint sie jedenfalls schon zu
       arbeiten.
       
       25 Sep 2025
       
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