# taz.de -- Zusammenbruch der Globalisierung: Eine Planetarisierung ist nötig
       
       > Staatlicher Egoismus und neues Wettrüsten haben die Globalisierung
       > zerstört. Doch eine Alternative für ein gemeinsames Überleben ist noch
       > nicht geboren.
       
 (IMG) Bild: Die Menschheit ist in einem Wettrüsten gefangen
       
       Im November 1985, während ihres ersten Gipfeltreffens in Genf, sprachen
       US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Präsident Michail
       Gorbatschow unter vier Augen. Erst Jahre später erfuhr die Welt, worüber
       sie sich austauschten.
       
       Reagan hatte Gorbatschow eine verblüffende Frage gestellt: „Was würden Sie
       tun, wenn die Vereinigten Staaten plötzlich von jemandem aus dem Weltall
       angegriffen würden? Würden Sie uns helfen?“ Gorbatschow antwortete: „Ohne
       Zweifel.“ Woraufhin Reagan antwortete: „Wir auch.“ Obwohl sich die beiden
       Supermächte in einem nuklearen Wettrüsten befanden, konnten sie sich
       vorstellen, sich gegen eine gemeinsame existenzielle Bedrohung
       zusammenzuschließen.
       
       Vier Jahrzehnte später ist die Menschheit in einem neuerlichen Wettrüsten
       gefangen, Dutzende Länder bauen ihre Streitkräfte aus. Die Gründe dafür
       sind vielfältig und verständlich. Neben dem Krieg Russlands in der Ukraine
       gibt es wachsende Spannungen in Ostasien, im Nahen Osten und Schwachstellen
       im Cyberspace und im Weltraum. Vor allem aber spiegelt diese Eskalation den
       Zusammenbruch der Globalisierung wider, wie wir sie kannten – also einer
       regelgestützten, auf Multilateralismus, offenem Handel und internationaler
       Zusammenarbeit beruhenden Ordnung.
       
       Man vergisst leicht, wie anders die Stimmung noch vor einem Jahrzehnt war.
       2015 – auf dem Höhepunkt der jüngsten Globalisierungswelle –
       verabschiedeten Staats- und Regierungschefs drei bahnbrechende Abkommen:
       die Addis Abeba Action Agenda zur Entwicklungsfinanzierung, die Ziele für
       nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und das Pariser
       Klimaabkommen. Der chinesische Präsident Xi Jinping und US-Präsident Barack
       Obama reichten sich in Washington die Hand und signalisierten damit den
       Anbruch einer neuen Ära nachhaltiger, inklusiver, resilienter
       Globalisierung.
       
       Doch der Optimismus erwies sich als kurzlebig. Innerhalb weniger Jahre
       untergruben Handelskriege, nationalistische Politik und geopolitische
       Rivalitäten diesen Konsens. Heute zeugen Zölle, Industriepolitik,
       Flüchtlingskrisen und das neue Wettrüsten von einer Welt, in der
       Zusammenarbeit ihren Glanz verloren hat. Wie der französische Historiker
       Arnaud Orain argumentiert, ist die These vom „Ende der Geschichte“ einer
       Welt gewichen, die wieder als endlich angesehen wird – als ein Kuchen, der
       aufgeteilt und nicht größer gemacht werden muss. [1][Nach dieser Denkweise
       ist, was mir gehört, meins und was dir gehört verhandelbar.]
       
       Künftige Historiker werden sich fragen, warum Homo sapiens Mitte der 2020er
       Jahre Ressourcen in den Kampf gegeneinander gesteckt hat, während er
       kollektive Maßnahmen gegen offensichtliche planetarische Bedrohungen
       vernachlässigte.
       
       Die Summen, um die es geht, sind schwindelerregend. Die fast drei Billionen
       Dollar, die jährlich für die Verteidigung aufgewendet werden, könnten einen
       beträchtlichen Teil der zur Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, zur
       [2][Anpassung an den Klimawandel und zur Erhaltung der Artenvielfalt]
       erforderlichen Investitionen abdecken. Statt die kooperative Logik der
       Globalisierung auf das Überleben des Planeten auszuweiten, gestalten wir
       sie mit Mauern, Zöllen und Waffen um – eine „Globalisierung mit
       Stacheldraht“.
       
       Wenn es irgendeine Hoffnung geben soll, müssen wir etwas Neues erfinden:
       nicht Globalisierung, sondern „Planetarisierung“ – die Erkenntnis, dass die
       Erhaltung unserer zerbrechlichen Welt die Voraussetzung für alles andere
       ist. Kommende [3][Treffen wie die Klimakonferenz der Vereinten Nationen
       (COP30)] im brasilianischen Belém bieten Gelegenheit, eine derartige
       Perspektive voranzutreiben – selbst nach den enttäuschenden Verhandlungen
       gegen die Plastikvermüllung in unseren Ozeanen. Aber das Zeitfenster
       schließt sich.
       
       Einige werden argumentieren, dass das Bild so düster nicht sei, weil die
       Menschheit gerade eine außergewöhnliche Zeit wissenschaftlicher und
       technologischer Innovation erlebe. Warum sollten wir angesichts der
       Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz, in der Biotechnologie, bei
       erneuerbaren Energien und bei fortschrittlichen Werkstoffen nicht darauf
       vertrauen, dass der menschliche Einfallsreichtum uns weiterbringt?
       
       Das Gegenargument ist ernüchternd. Vor einem Jahrhundert versprachen
       revolutionäre Entdeckungen in Physik, Chemie und Medizin ebenfalls eine
       goldene Zukunft, die schließlich zu dem führte, was die Franzosen die „30
       glorreichen Jahre“ nach dem Zweiten Weltkrieg nannten. Doch bevor es soweit
       war, musste die Welt eine verheerende Depression, den Faschismus und einen
       mit diesen neuen Technologien geführten Weltkrieg ertragen.
       
       Heute können die künstliche Intelligenz und andere Durchbrüche die
       Gesellschaft in ähnlicher Weise verändern. Aber wenn die Geschichte ein
       Wegweiser ist, wird die militärische Anwendung dem zivilen Einsatz
       enteilen. Wie immer sollten wir „dem Geld folgen“: Neben den
       Verteidigungsbudgets nehmen sich die Investitionen in den Klimaschutz
       zwergenhaft aus. Die Gefahr besteht nicht darin, dass die Technologie
       scheitert, sondern dass sie zunächst einmal für Konflikte genutzt wird.
       Anders als frühere historische Wendepunkte bietet dieser keine zweite
       Chance. Die [4][Ressourcen sind endlich,] wir stoßen an die Grenzen unseres
       Planeten.
       
       Die Alternativen sind krass: Die Globalisierung kann entweder zu einer
       militarisierten Ansammlung politischer Blöcke umgestaltet werden, wobei die
       Ressourcen durch Handels-, Kultur- und reale Kriege verbraucht werden. Oder
       wir können uns für die „Planetarisierung“ entscheiden und Strategien für
       ein gemeinsames Überleben in Würde entwickeln.
       
       Aus dem Englischen von Jan Doolan. 
       
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       ist eine Non-Profit-Organisation, die internationalen Medien Essays und
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       23 Sep 2025
       
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