# taz.de -- Dunja Hayali über Gesprächskultur: „Sie können gerne eine andere Meinung haben“
       
       > Die Journalistin Dunja Hayali redet mit allen, auch mit AfDlern. Warum
       > macht sie das? Ein Gespräch über Demokratie, Herkunft – und Boris Becker.
       
 (IMG) Bild: Beschreibt sich als mal links, mal mittig, mal liberal-konservativ: Dunja Hayali beim ZDF in Mainz
       
       taz: Frau Hayali, Sie sind dafür bekannt, dass Sie mit allen reden, auch
       mit der [1][AfD und ihren Wählern]. Das ist für manche Leute ja immer noch
       die Frage: Soll man mit denen überhaupt sprechen, und wenn ja, wie? 
       
       Dunja Hayali: Als Journalistin spreche ich mit allen, höre zu und versuche,
       durch Fragen zu verstehen, ohne automatisch Verständnis für die Position zu
       haben beziehungsweise zu entwickeln.
       
       taz: Und als Bürgerin? 
       
       Hayali: Auch. Allerdings ist die Schmerztoleranz im privaten Raum eine
       andere, ich halte meine Meinung weniger zurück. Im beruflichen Kontext
       zeige ich, wenn überhaupt, Haltung, aber keine Meinung. Zudem unterscheide
       ich zwischen Wählern und Abgeordneten.
       
       taz: Was ist Ihre Begründung für sprechen und sprechen lassen? 
       
       Hayali: Wenn eine Partei demokratisch gewählt wurde – ob sie demokratisch
       ist, steht auf einem anderen Blatt – und eine gewisse Prozentzahl X der
       Bevölkerung im deutschen Bundestag vertritt, dann müssen wir uns als
       [2][öffentlich-rechtlicher Rundfunk] mit ihr auseinandersetzen. Die Frage
       ist, wie. Und da gibt es immer wieder Diskussionsbedarf und eine
       Überprüfung der eigenen Maßstäbe. Spannend finde ich, dass offenbar immer
       mehr Zuschauende es extrem kritisch sehen, dass wir Vertreter*innen der
       AfD zu Interviews einladen. Das ist auch okay, aber mir zu unterstellen,
       ich mache diese Partei groß damit, finde ich schon ziemlich befremdlich.
       
       taz: Wenn Sie Interviews mit AfDlern führen, kriegen Sie sofort einen
       Shitstorm. 
       
       Hayali: Ja. Das ist mittlerweile erprobt und erlernt, und zwar von allen
       Seiten. Der Shitstorm kommt von denen, die die AfD ablehnen, verachten,
       hassen. Und auch von denen, die sie wählen oder Mitglieder dieser Partei
       sind. Diese Begleitmusik ist unangenehm, aber ich habe gelernt, damit
       umzugehen. Meistens jedenfalls. Auch, dass Aussagen aus dem Kontext
       gerissen oder mir Dinge unterstellt werden, die ich mal gesagt oder gemeint
       haben soll. Verwundert bin ich immer wieder über die Aussage, wir müssten
       die AfD stellen und entlarven. Das ist doch bereits passiert. Jeder, der es
       lesen, hören und wissen will, kommt an diesem Befund nicht vorbei. Da ist
       nichts mehr im Verborgenen. Deshalb auch der Zusatz: Wer sie wählt, wählt
       sie nicht trotz der Inhalte, sondern genau wegen der Inhalte.
       
       taz: Wie gesprächsbereit sind Sie als Privatperson wirklich? Ich habe
       gelesen, es geht auch bei Ihnen nur bis „zu einem gewissen Punkt“. 
       
       Hayali: Ja, und dieser gewisse Punkt ist ambivalent. Er hängt von der
       Tagesform ab und der damit verbundenen eigenen Souveränität. Und dann gibt
       es natürlich Aussagen, wo bei mir im Privaten früher als im
       Journalistischen Ende ist. Wo ich sage: bis hierher und nicht weiter. Wenn
       zum Beispiel jemand die Schoah leugnet, was mir bei Dreharbeiten schon
       passiert ist, ist halt im Privaten Schluss. Im Beruflichen versuche ich
       dagegen noch im allerletzten Winkel irgendetwas zu finden, anhand dessen
       ich verstehen kann, warum eine Person zu einer Position gekommen ist, warum
       jemand so geworden ist, wie er ist. Auch hier gilt: verstehen wollen, ohne
       Verständnis zu haben.
       
       taz: Ist das der Schlüsselsatz? 
       
       Hayali: So sehe ich meine Aufgabe als Journalistin. Das Gute ist: Ich bin
       beruflich wie privat neugierig genug, um Leuten auf die Nerven zu gehen,
       bis sie mit der Sprache rausrücken. Ich will nachvollziehen können, wieso
       jemand wie denkt, warum er was fordert, warum er sich von plumpen Antworten
       angezogen fühlt, oder, [3][im Fall von Alice Weidel], es zu lauter
       Widersprüchen kommt. Manchmal entwickeln sich Gedanken auch während eines
       Interviews. Das macht mir eigentlich fast am meisten Spaß, wenn durch meine
       Fragen beim Gegenüber ein Erkenntnisgewinn entsteht. Oder zumindest eine
       gewisse Nachdenklichkeit. Mir gefällt es jedenfalls andersherum sehr, wenn
       mich jemand ins Denken bringt.
       
       taz: Mit dieser differenzierten Position machen Sie sich gerade in
       Milieus, die sich als progressiv verstehen, nicht nur Freunde. 
       
       Hayali: Ist ja auch okay, dass das kritisch gesehen und kritisiert wird.
       Das muss ich aushalten. Es ist aber nun mal mein journalistischer Ansatz,
       und den müssen bitte andere aushalten. Außerdem geht es hier nicht darum,
       jedem zu gefallen, sondern darum, dass ich mich, meine Werte und mein
       Verständnis von gutem Journalismus wiedererkenne. Um es aber noch einmal
       deutlich zu sagen: Über den Umgang mit einer vom Verfassungsschutz als
       gesichert rechtsextremistischen Partei müssen wir immer wieder ringen,
       diskutieren, abwägen – in der Gesellschaft, aber auch innerhalb des
       Senders.
       
       taz: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat ein [4][wegweisendes
       Buch] geschrieben, „Zuhören“ heißt es. Er sagt: Sprechen können wir schon,
       aber zuhören können wir nicht. Jedenfalls nicht anderen Positionen. Wie
       sehen Sie das? 
       
       Hayali: Mein Eindruck ist, dass nicht wenige Menschen fast gar nicht mehr
       zuhören können. Sie wollen sich im Grunde nur in ihrer eigenen Meinung
       bestätigt sehen. Mal jemanden eine bis zwei Minuten reden lassen, fällt
       einigen schwer, selbst wenn sie zustimmen. Mir übrigens auch. Die
       journalistische Taktung färbt halt auch aufs Private ab.
       
       taz: Was ist mit sachlichem Widersprechen? 
       
       Hayali: Der Widerspruch ist doch ein probates und faires Mittel.
       Insbesondere in Form von Fakten, Argumenten und auch Eigenerfahrung.
       Meinungsfreiheit heißt ja auch die Freiheit, eine andere Meinung zu haben.
       Und manchmal hilft es sicherlich auch, vor dem Widerspruch noch mal
       nachzufragen. Ich erlebe häufig bei Vorträgen über Medien und Demokratie,
       dass der Hälfte im Saal die Kinnlade runterfällt, wenn ich sage: Unser
       parlamentarisches Spektrum geht von links bis rechts. Weil sie rechts
       gleichsetzen mit rechts außen.
       
       taz: Sie offenbar nicht? 
       
       Hayali: Nein. Rechts ist für mich konservativ. In Abgrenzung dazu sage ich
       rechts außen, rechtspopulistisch, rechtsradikal. Ich als Sprechende habe
       gelernt zu erklären, was ich meine. Aber wenn ich es mal vergesse, würde
       ich mir wünschen, dass das Gegenüber nachfragt, bevor es eskaliert. Und
       dann eventuell auch weiter nachfragt: Was ist denn für dich eigentlich
       genau konservativ oder liberal? Oder: Wie beschreibst du dich selbst?
       
       taz: Wie beschreiben Sie sich selbst? 
       
       Hayali: Ich bin das gesamte demokratische Parteienspektrum, je nachdem,
       worum es geht. Ich sehe in mir linke Ansätze, ich teile die Mitte und ich
       habe, durch die Eltern geprägt, auch liberal-konservative Ansätze. Ich bin
       froh, dass wir ein Parteienspektrum und somit die Wahl haben – von links
       bis rechts. Das Verächtlichmachen einer Partei liegt mir daher fern. Mir
       geht es aber eh weniger um Parteien als um Inhalte. Ich konzentriere mich
       lieber auf die Vorhaben, die angestrebten Lösungen. Und bei aller Kritik an
       gewissen Inhalten, die ich an jeder Partei habe, halte ich es für dumm wie
       gefährlich, die Union nach rechts außen zu schieben. Und auch für falsch.
       
       taz: Begründung? 
       
       Hayali: Ein Beispiel: Wenn Sie jeden als Nazi bezeichnen, der sich manchmal
       plump, unbedacht und unüberlegt äußert, dann verharmlosen sie die echten
       Nazis beziehungsweise Neonazis und Faschisten. Meine Meinung. Sie können
       gerne eine andere haben. Das nennt sich dann nicht nur Meinungsfreiheit,
       sondern auch Meinungsvielfalt.
       
       taz: Wie kommt Ihr Freundes- und Bekanntenkreis mit Ihren Positionen klar? 
       
       Hayali: Ich habe in meinem Freundeskreis das gesamte politische Spektrum.
       Ich schätze das sehr, denn es erweitert meinen Horizont.
       
       taz: Das klingt, als hätten Sie auch AfDler in Ihrem Freundeskreis. 
       
       Hayali: Zumindest teilen ein bis zwei manche Inhalte. Die Perspektiven von
       anderen und auch, andere Lebensumstände aus nächster Nähe zu sehen, zu
       hören, zu fühlen, ist für mich wichtig. Und so unterschiedlich unsere
       Meinungen auch manchmal sind, uns ist allen klar, dass es unbezahlbar ist,
       in einer Demokratie zu leben, in der wir Wahlmöglichkeiten haben. Das heißt
       natürlich auch, dass wir verdammt sind, den Konsens, den Kompromiss zu
       suchen, aber das ist immer noch besser als jede andere Staatsform, die ich
       kenne.
       
       taz: Sie wollen nicht, dass man Sie in Schubladen stecken kann. Aber schon
       mit den Zuweisungen Frau und Migrantin werden Sie gelabelt und müssen damit
       umgehen. Das taucht doch in Kommentaren und Hass-Postings sicher ständig
       auf, oder? 
       
       Hayali: Ich erweitere und ergänze das Bullshit-Bingo:
       öffentlich-rechtlicher Rundfunk, queer, tätowiert, meistens selbstbewusst
       und neugierig nervig. Was ich mittlerweile lustig finde, ist, dass man als
       links gilt, nur weil man sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Islam- und
       Queerfeindlichkeit einsetzt oder seine Stimme zum Beispiel für Pluralität,
       Humanität, Tierwohl, Naturschutz und Menschen in Not erhebt.
       
       taz: Als Sie 13 waren, sagte Ihr Vater zu Ihnen: Vergiss nie, wo du
       herkommst. 
       
       Hayali: … und ich dachte: Hä? Ich komme aus Datteln. Und da wir beide
       Dickköpfe waren, hat das natürlich zu einer Diskussion geführt. Damit kann
       man sich bildhaft meine Kindheit vorstellen, oder die Diskussion zwischen
       meinem Vater und mir. Vielleicht habe ich deswegen das Streiten gelernt.
       Der Streit um die Sache ist eh was Tolles. Gute Schule dafür sind Pro- und
       Contra-Artikel.
       
       taz: Ihr Vater stammt aus Mossul im Irak. Sie kommen aus Datteln in
       Nordrhein-Westfalen, und wenn Sie das sagen, sagen vermutlich ein paar
       Leute: Nein, nein, ich meine, wo kommen Sie wirklich her? 
       
       Hayali: Ich respektiere, dass viele die „Wo kommst du her?“-Frage ablehnen
       und dass sie sie sogar in Teilen verletzt und wütend macht. Bei mir ist das
       in der Regel nicht der Fall.
       
       taz: In der Regel? 
       
       Hayali: Es kommt darauf an, wie man mir die Frage stellt. Zugewandt und aus
       Interesse? Dann beantworte ich sie gerne. Aus Datteln, da sind manche etwas
       verunsichert, was dann nach einem verschämten Rumgeeier in den Satz mündet:
       Sie wissen doch, wie ich’s meine. Dann sag ich: Sie meinen sicher die
       Wurzeln meiner Eltern und auch meine.
       
       taz: Und dann? 
       
       Hayali: Daraus haben sich oftmals wirklich tolle Gespräche entwickelt. Ich
       habe dadurch gelernt, wie viele Menschen schon im Irak waren. Oder wie
       spannend die Menschen den Orient finden. Oder wie irritiert sie sind, dass
       wir Christen sind. Ich finde auch: Wenn ich nicht selbstbewusst mit den
       Wurzeln meiner Familie umgehe, wie kann ich dann von meinem Gegenüber
       erwarten, dass es akzeptiert, dass ich mindestens zwei Heimaten in mir
       trage?
       
       taz: Wie reagieren Sie, wenn die Frage doch eher abwertend gemeint ist? 
       
       Hayali: Dann beende ich das Gespräch. Es muss jeder selbst entscheiden, wie
       er mit dieser Frage umgeht. Ich persönlich stelle sie aber auch fast jedem
       und jeder. Aus wirklichem Interesse. Wenn das nicht als Mauer aufgebaut
       wird, kann das auch etwas wunderbar Horizonterweiterndes haben.
       
       taz: Wie genau fragen Sie? Sagen Sie: Wo kommen Sie her? 
       
       Hayali: Zu 99 Prozent: Wo liegen Ihre Wurzeln? Welche Landsfrau sind Sie?
       
       taz: Was andere Positionen angeht, so sagen Leute gern, dass sie
       „herausgefordert“ werden möchten, aber das stimmt nach meiner Erfahrung
       meistens leider nicht, sie wollen bestätigt werden. Wie erleben Sie das? 
       
       Hayali: Die meisten glauben ja, einen zu kennen. Bei Vorträgen erzähle ich
       lang und breit, wie das mit anderen Meinungen ist und dass man sie
       aushalten sollte. Da wird eifrig genickt. Aber wenn ich dann sage, ich bin
       übrigens gegen das [5][Tempolimit auf Autobahnen], dann fällt die Kinnlade
       runter und der Puls im Saal steigt.
       
       taz: Wie bitte? Frau Hayali, wie kann das sein? 
       
       Hayali: Bitte keinen Shitstorm. Ich weiß, dass das eine absurd-dumme
       Einstellung ist und fast alle Argumente dagegen sprechen, aber ich fahre
       nun mal gerne schnell Auto. Also habe ich meine Einstellung aus rein
       egoistischen Gründen. Aber sie ist ein guter Gradmesser, wie offen Menschen
       wirklich mit anderen Meinungen umgehen können, ohne gleich auszurasten.
       
       taz: Dann sind Sie ja ein normaler, also widersprüchlicher Mensch. 
       
       Hayali: Wer ist das nicht? Ich bin sogar einer, der seine Meinung auch mal
       ändern kann, der Fehler eingestehen kann, aber am Ende wollen wir doch
       immer alle Recht haben.
       
       taz: Sind Sie Patriotin? 
       
       Hayali: Ich bin Verfassungspatriotin. Ich wünschte mir wirklich, dass mehr
       Menschen unser Grundgesetz lesen. Man kann viel fürs Zusammenleben aus den
       ersten Artikeln mitnehmen. Und wenn ich sage, ich möchte, dass Menschen in
       Not geholfen wird aufgrund unserer Gesetze, des Asylgesetzes, der Genfer
       Flüchtlingskonvention, dann kann ich die andere Seite nicht einfach
       ausblenden, also die Regeln, die auch beinhalten, dass nicht jeder bleiben
       darf.
       
       taz: Was heißt das? 
       
       Hayali: Dass Abschiebungen nun mal leider zur Wahrheit gehören. Wer das
       ändern möchte, muss im Grunde das Grundgesetz ändern.
       
       taz: Leider? 
       
       Hayali: Wenn ich in einem Land lebe, das ausgebeutet wird, und in dem ich
       keine Zukunft sehe, dann würde ich doch auch irgendwo hingehen, wo es mir
       besser erscheint. Wem will man diesen Gedanken, diesen Wunsch verübeln? Ich
       glaube, dass manche in unserem Land wirklich keine Vorstellung davon haben,
       wie gut es uns – bei allen Problemen und Herausforderungen – im Großen und
       Ganzen geht. Oder sie sind so kalt, dass es ihnen einfach egal ist, was mit
       anderen ist. Aber natürlich – Achtung, es folgt eine Binse – kann nicht
       jeder hierherkommen, und will das übrigens auch nicht. Die meisten
       Geflüchteten sind Binnenflüchtlinge, die darauf hoffen, in ihre Heimat
       zurückzukehren. Zum Thema Abschiebungen nur noch ein Satz, weil ich lieber
       über Integration sprechen würde.
       
       taz: Ja? 
       
       Hayali: Wir schieben halt leider in Teilen die Falschen ab. Also die
       Integrierten, die Arbeitsstellen oder Ausbildungsplätze haben und die man
       leicht auffinden kann. Das ist per Gesetz richtig, aber doch sinnbefreit,
       oder nicht? Wir brauchen Fachkräfte und Kräfte. Und gleichzeitig tun wir
       uns bei Schwerkriminellen schwer, weil wir sie nicht finden. Ist doch
       absurd.
       
       taz: Ich bin dankbar, dass ich in dieser Zeit und in diesem Land mit dieser
       Verfassung leben darf. Sie? 
       
       Hayali: Meine Freunde können’s nicht mehr hören, aber ich sage es noch
       einmal: Wir haben mit Deutschland im Geburtslotto gewonnen. Und die, die es
       so nicht sehen, können gerne gehen – ich sage das mit aller Vorsicht, weil
       ich nicht so enden möchte wie [6][Walter Lübcke] –, sich was anderes
       angucken und dann wieder zurückkommen. Bei mir führt das Zurückkommen oft
       zu Dankbarkeit und Demut.
       
       taz: Vorsicht, nicht übertreiben. 
       
       Hayali: Womit? Kann ich nicht froh sein, hier geboren worden zu sein, und
       gleichzeitig all die Probleme sehen, die wir haben? Bildung, Pflege,
       Digitalisierung, Schere zwischen Arm und Reich, Infrastruktur, Wohnungsnot,
       steigende Kosten, Alters- und Kinderarmut, häusliche Gewalt und, und, und.
       Wie wir mittlerweile mit Migration umgehen. Wie wir mit Menschen umgehen,
       die sich ehrenamtlich einsetzen. Wie Polizist*innen und Feuerwehrleute
       angegriffen werden. Ich könnte eine Stunde erzählen, worüber ich mich
       aufrege. Aber ich kann doch das eine tun, ohne das andere zu lassen.
       
       taz: Jetzt kriegen Sie sofort den Vorwurf, privilegiert zu sein. 
       
       Hayali: Ja, das sage ich aus einer privilegierten Situation heraus. Aber
       ich habe das auch schon früher gesagt. Ich hatte das Glück, dass meine
       Eltern mir viel von der Welt gezeigt haben. Und als ich konnte, habe ich
       sie mir selber angeschaut und tue das immer noch.
       
       taz: Ein beliebter Vorwurf von Links- und Rechtsaußen: Leute wie wir sind
       privilegierte Arschlöcher, die groß daherreden und überhaupt nicht wissen,
       wie nicht privilegierte Menschen leben. 
       
       Hayali: Teilweise kann ich das auch verstehen. Dank meiner Eltern ging es
       mir finanziell immer gut, wobei ich schon von klein auf gern unabhängig
       war. Ich hab mit 12 angefangen, Hunde spazieren zu führen, Rasen zu mähen
       et cetera. Ich habe vier Jahre in einer Spülküche gearbeitet. Ich habe
       Handys verkauft, ich habe Schicht in Fabriken gearbeitet. Der Unterschied
       ist, dass ich es nicht musste. Wäre ich auf die Schnauze gefallen, hätten
       mir meine Eltern helfen können. Dieses Wissen, geschützt zu sein und
       aufgefangen zu werden, ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen. Aber ich
       weiß eben auch, was arbeiten bedeutet. Was es heißt, fließend Wasser zu
       haben, durchgängig Strom. Und wie wenig es kostet, einfach nett zu seinem
       Gegenüber zu sein.
       
       taz: Wie kamen Sie eigentlich darauf, Journalistin zu werden? 
       
       Hayali: Boris Becker. Ich fand den Tennis-Zirkus spannend und wollte da
       irgendwie dabei sein. Wenn schon nicht auf dem Platz, dann daneben. Plan B
       wäre die Polizei gewesen.
       
       taz: Auch das noch. 
       
       Hayali: Warum? Können wir bitte auch hier das Schwarz-Weiß-Denken gegen ein
       Sowohl-als-Auch eintauschen. Es gibt bei der Polizei solche und solche. Wie
       in allen Bereichen. Und wenn nur Idioten dort hingehen, dann wird das mit
       der Polizeigewalt und dem Racial Profiling nie besser. Aber klar, wir
       können einfach alles, was Schwachstellen hat beziehungsweise dysfunktional
       ist, abschaffen, anstatt zu verbessern. Nur, dann schaffen wir uns selbst
       ab.
       
       14 Sep 2025
       
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