# taz.de -- Strafgerichtshof gegen Joseph Kony: Brutale Verbrechen, umstrittenes Verfahren
       
       > In Abwesenheit verhandelt der Internationale Strafgerichtshof über
       > Ugandas früheren Warlord Joseph Kony. Der Haftbefehl umfasst 32
       > Anklagepunkte.
       
 (IMG) Bild: Joseph Kony, Chef der Lords Resistance Army und gesuchter Kriegsverbrecher, 2006. Heute ist er 64 Jahre alt
       
       Kampala taz | Fast genau 20 Jahre ist es her, dass der [1][Internationale
       Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag einen Haftbefehl ausstellte], der bis
       heute nicht vollstreckt wurde: gegen den ugandischen Rebellenführer Joseph
       Kony. Als militärischer und spiritueller Anführer der sogenannten
       Widerstandsarmee des Herren (LRA) gilt er bis heute als einer der
       meistgesuchten Kriegsherren des afrikanischen Kontinents.
       
       Jetzt soll gegen ihn in Den Haag ein Prozess beginnen, obwohl er noch immer
       auf der Flucht ist – eine historische Entscheidung des Weltgerichts. Drei
       Tage lang verhandelt der IStGH von Dienstag an, um die Anklage zu
       bestätigen.
       
       32 Anklagepunkte umfasste der Haftbefehl vom Juli 2005; darunter Verbrechen
       gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriffe auf die
       Zivilbevölkerung, sexuelle Versklavung, Raub und Plünderungen, Mord,
       Rekrutierung und Ausbildung von Kindersoldaten. Der Bürgerkrieg im Norden
       Ugandas, der fast 20 Jahre anhielt, gilt als einer der grausamsten in der
       jüngeren Geschichte des Kontinents.
       
       Mittlerweile ist Kony 64 Jahre alt, gebrechlich und nur noch umringt von
       einigen Dutzend seiner Anhänger, die meisten von ihnen seine eigenen
       Angehörigen. So berichtet es sein Sohn Ali Kony gegenüber der taz. Ali Kony
       war in der LRA zuletzt für die Sicherheit und Außenbeziehungen seines
       Vaters zuständig. Im September 2023 sagte er sich von ihm los und kehrte
       nach Uganda zurück, gemeinsam mit seiner Mutter – eine von rund 60 Frauen,
       die sich der Kriegsherr als Sexsklavinnen hielt und mit welchen er Hunderte
       Kinder zeugte.
       
       ## Rebellion nach den Zehn Geboten
       
       Seine zahlreichen Söhne sind wie Ali Kony in der Rebellengruppe geboren,
       haben von Kindheit an brutale Verbrechen begehen müssen. Ugandas Regierung
       gewährte dem heute 31-Jährigen nach seiner Rückkehr Amnestie – eine
       symbolische Geste. Bis heute betont Ugandas Regierung immer wieder, dass
       sich Joseph Kony ergeben solle. Dann würde sein Prozess [2][vor einem
       ugandischen Gericht] stattfinden – und er würde nicht nach Den Haag
       ausgeliefert.
       
       Als Dank ist Ali Kony mittlerweile in die ugandische Armee eingetreten, die
       sein Vater einst bekriegte und die bis heute Jagd auf ihn macht. Er gab
       auch Informationen preis, wo sich sein Vater versteckt hält: und zwar im
       äußersten Westen des Bürgerkriegslandes Sudan, in welchem der IStGH ihm
       nicht habhaft werden kann.
       
       Die LRA wurde 1986 im Norden Ugandas ins Leben gerufen, zunächst mit dem
       Ziel, gegen Ugandas Regierungsarmee zu kämpfen. Diese hatte unter der
       Führung des heutigen Präsidenten Yoweri Museveni 1986 das Land erobert und
       die Macht in der im Süden gelegenen Hauptstadt Kampala an sich gerissen.
       Jahrzehntelang lieferten sich die LRA und die Armee im Norden des Landes
       einen blutigen Krieg.
       
       Gegründet wurde die LRA zunächst von Alice Lakwena, die sich von Geistern
       berufen fühlte, eine Rebellion der Acholi-Ethnie auf Grundlage der zehn
       Gebote anzuführen. Nachdem ihre Truppen 1987 beim Marsch auf Ugandas
       Hauptstadt besiegt wurden, floh sie ins Nachbarland Kenia, wo sie 2007 in
       einem Flüchtlingslager starb.
       
       ## 1,7 Millionen Menschen flohen vor der LRA
       
       Ihr Nachfolger Kony führte den Kampf fort – wandte sich aber gegen die
       eigene Bevölkerung. Unter seiner Führung wurden gezielt Schulen
       angegriffen, um Kinder zu entführen und sie zu Kämpfern auszubilden. Die
       über 60.000 Kindersoldaten begingen extrem brutale Verbrechen: Sie
       schnitten Zivilisten die Zungen ab oder rammten ihnen Vorhängeschlösser
       durch die Lippen, um sie am Verrat zu hindern. Fast die ganze Bevölkerung
       des Nordens – über 1,7 Millionen Menschen – floh in die über 200
       Vertriebenenlager, die wiederum zu Angriffszielen der LRA wurden.
       
       2006 zog sich die LRA aus Uganda zurück: in die Grenzregion zwischen
       Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo. Unter Vermittlung von
       Politikern aus Südsudan kam es zu Verhandlungen mit Ugandas Regierung.
       [3][Ein Waffenstillstand wurde vereinbart]. Zwei Jahre lang zogen sich die
       Verhandlungen hin, letztlich beharrte Kony darauf, dass der 2005 erlassene
       Haftbefehl vom IStGH aufgehoben werde, was nicht geschah.
       
       Die [4][Gespräche platzten 2008], die LRA zog sich in das dichte Unterholz
       des Garamba-Nationalparks im Osten des Kongo zurück, wo sie Elefanten
       abschlachteten und mit Elfenbein handelten. Dort wurden sie Ende 2008 von
       Ugandas Armee bombardiert und flohen in den tiefen Dschungel der
       Zentralafrikanischen Republik. Seitdem jagen vier regionale Armeen unter
       einem Mandat der Afrikanischen Union nach Joseph Kony.
       
       Von 2011 bis 2017 bekamen sie [5][Hilfe von US-Spezialeinheiten], doch
       vergeblich – auch sie konnten Kony nicht schnappen. Seit 2017 versteckt
       sich Kony in der sudanesischen Region Darfur, wo seit 2023 Krieg herrscht.
       Die US-Regierung hat ein [6][Kopfgeld von fünf Millionen Dollar] auf ihn
       ausgesetzt.
       
       ## Entschädigungen als Wahlkampftrick?
       
       Mittlerweile haben die IStGH-Ermittler die Hoffnung aufgegeben, Kony lebend
       zu fassen, bestätigen sie gegenüber der taz. Laut Aussagen seines Sohnes
       Ali sei er krank und schwach und könne sich nur noch wenig bewegen. Sollte
       er bald sterben, wird es schwer für den IStGH, die Akte zu schließen. Dazu
       benötigen die Ermittler laut eigenen Angaben eine Leiche oder zumindest
       DNA-Proben, um das Verfahren offiziell einzustellen. Damit schrumpft auch
       die Chance, dass die Opfer je Gerechtigkeit erfahren – oder gar
       Entschädigung erhalten.
       
       Der IStGH hat für die Opferentschädigung bereits einen Trustfonds
       aufgesetzt. 2014 hatten US-Spezialeinheiten [7][LRA-Kommandant Dominic
       Ongwen] gefasst, er wurde nach Den Haag überstellt, angeklagt und 2021
       verurteilt. Anschließend ordneten die Richter an, dass die Gelder des
       Trustfonds, der mittlerweile mehr als 50 Millionen Dollar enthält,
       ausbezahlt werden. Seit April dieses Jahres werden die Gelder nun an lokale
       Organisationen vergeben, um den Opfern zu helfen: [8][psychologische
       Beratungen], Prothesen für die abgeschnittenen Gliedmaßen, ökonomische
       Hilfe.
       
       Viele betrachten diese Entschädigungszahlungen als Instrument von Musevenis
       Regierungspartei, um die Bevölkerung im Norden bei den Wahlen im Januar
       2026 auf ihrer Seite zu wissen. Denn das nun womöglich anstehende Verfahren
       gegen Kony könnte nach einem Urteil weitere Reparationszahlungen nach sich
       ziehen, stellt die Regierung in Aussicht.
       
       Doch dies erzeugt Unmut zwischen den verschiedenen Gemeinden und Ethnien im
       Norden. Denn die acht Tatorte, die in Konys Anklageschrift genannt werden,
       – alles Vertriebenenlager, die von der LRA überfallen wurden, – sind genau
       dieselben wie im Prozess gegen Ongwen, ebenso die Zeugen und die Beweise.
       Diese Gemeinden bekommen nun mehr Entschädigungen als diejenigen, die
       ebenso von der LRA angegriffen wurden aber im Prozess in Den Haag bislang
       nicht behandelt wurden.
       
       ## Hauptverfahren ginge nur in Anwesenheit
       
       Viele ehemalige Opfer und Kindersoldaten argumentieren stets, dass eine
       juristische Aufarbeitung des Bürgerkrieges vor den traditionellen örtlichen
       Dorfgerichten im Norden hätte stattfinden sollen, ähnlich wie es in Ruanda
       nach dem Völkermord 1994 geschehen ist. Dies würde viel nachhaltiger zur
       Versöhnung führen als langwierige Verfahren im mehr als 5.000 Kilometer
       entfernten Den Haag. Immerhin wird die Anhörung der Anklagepunkte in einer
       Schule in Gulu live per Video übertragen – und in die lokalen Sprachen
       übersetzt.
       
       Dennoch bleibt das ganze Verfahren umstritten. Das Rom-Statut, auf welchem
       die IStGH-Gerichtsbarkeit aufbaut, sieht zwar die Bestätigung der Anklage
       in Abwesenheit eines Angeklagten als legal an. Doch die Entscheidung des
       Gerichts sowie die Anklageschrift muss dann im Anschluss dem Angeklagten
       auch zugesandt werden – und das wird sich vor dem Hintergrund der
       Kriegswirren in Sudan als schwierig erweisen.
       
       Das Hauptverfahren kann nur in Anwesenheit Konys tatsächlich stattfinden.
       Und auch wenn die Ermittler genau wissen, wo dieser sich aufhält, bleibt es
       unwahrscheinlich, dass man seiner habhaft wird – außer er ergibt sich
       selbst.
       
       8 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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