# taz.de -- Kürzung der humanitären Hilfszahlungen: Mythos der Verschwendung
       
       > Die humanitäre Hilfe fällt jetzt auch in Deutschland massiven Kürzungen
       > zum Opfer. Der Aufschrei sollte größter sein, wenn es um Menschenleben
       > geht.
       
 (IMG) Bild: Überall auf der Welt wird die finanzielle Hilfe Deutschlands dringend gebraucht
       
       Die humanitäre Hilfe ist in der Krise. Fast 300 Millionen Menschen sind auf
       humanitäre Unterstützung angewiesen – aber die wichtigsten Geldgeber kürzen
       ihre Budgets drastisch. Die Folge: Nur noch 40 Prozent der von extremsten
       Notlagen Betroffenen erhalten Hilfe – das führt zu einer globalen Triage.
       
       Während sich die Öffentlichkeit noch über die Kürzungen der Trump-Regierung
       echauffiert, geht Deutschland jetzt einen ähnlichen Weg.
       
       Die Bundesregierung plant, die humanitäre Hilfe in den Haushalten von 2025
       und 2026 jeweils um [1][mehr als die Hälfte im Vergleich zum letzten Jahr
       zu kürzen].
       
       Als zweitgrößter Geldgeber der vergangenen Jahre trägt Deutschland damit
       maßgeblich zur Finanzierungskrise des humanitären Systems bei. Doch [2][der
       Widerspruch] in der deutschen Öffentlichkeit bleibt aus. Warum?
       
       ## Wenn Kürzungen kaum Widerspruch hervorrufen
       
       Ein Blick in die USA zeigt, wie die amerikanische Behörde USAID, zuständig
       für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, nahezu widerstandslos
       demontiert werden konnte: Obwohl die Bevölkerung prinzipiell nicht gegen
       Auslandshilfe ist, konnten Gegner erfolgreich den Mythos der für unsinnige
       Projekte verschwendeten Mittel in den Köpfen verankern.
       
       Daraus sollte Deutschland lernen. Denn auch hierzulande befürworten circa
       drei von vier Menschen humanitäre Hilfe – und doch regt sich kaum
       Widerstand gegen die Kürzungen. Weniger steht infrage, ob Deutschland Hilfe
       leisten sollte, als in welcher Höhe. Grundsätzlich richtet sich in Zeiten
       gefühlter Haushaltsknappheit der Blick nach innen und erscheinen
       Verteidigungsausgaben dringlicher.
       
       Wie in den USA schafft es auch hier eher populistische Kritik an
       Hilfsgeldern in die Schlagzeilen als die Erfolgsgeschichten – man denke an
       den Mythos vermeintlicher Verschwendung von Steuergeldern für Radwege in
       Peru, der immer wieder aufkommt. Das beeinflusst letztlich auch das Bild
       der gesamten Auslandshilfe, und am Ende bleibt eine Kosten-Nutzen-Abwägung
       hängen. Eine, die nicht stimmt.
       
       ## Mit wenig Mitteln viel Gutes erreichen
       
       Dabei ist es höchste Zeit für einen Realitätscheck: Humanitäre Hilfe
       erreicht mit wenig Mitteln viel Gutes.
       
       Der Blick in den Haushalt für humanitäre Hilfe macht deutlich, wie gering
       der Posten ist. Für 2025 und 2026 ist jeweils etwa eine Milliarde Euro
       vorgesehen, das entspricht 0,2 Prozent der gesamten Staatsausgaben. Selbst
       im Rekordjahr 2022 waren es nur 0,7 Prozent.
       
       Evidenz, dass diese Mittel gut investiert sind, gibt es zuhauf. Unzählige
       Studien und Evaluierungen weisen nach, wie viel mit vergleichsweise wenig
       Mitteln bewirkt wird.
       
       Eine jüngst im Wissenschaftsmagazin Lancet veröffentlichte
       Impact-Evaluierung berechnet, dass die US-Finanzierung zwischen 2001 und
       2021 mehr als 90 Millionen [3][Todesfälle verhindert] hat – also mehr
       Menschen rettete als heute in Deutschland leben.
       
       Eine Evaluierung der Reaktion des humanitären Systems auf die drohende
       Hungersnot in Somalia 2022 und 2023 zeigt: Die Organisationen konnten
       mehrere Zehntausend Menschen vor der drohenden Hungersnot retten, 96
       Prozent der wegen Mangelernährung behandelten Kinder erholten sich dank der
       Hilfe. Die Kosten für Deutschland: rund 230 Millionen Euro – auf die
       gesamten Staatsausgaben bezogen ist das etwa die Summe, die Deutschland
       alle vier Stunden ausgab.
       
       In Äthiopien erholten sich während der von 2015 bis 2018 anhaltenden Dürre
       dank Unterstützung drei Viertel der mangelernährten Kinder. Die Kosten für
       Deutschland: 86 Millionen Euro im Jahr mit den höchsten Mitteln, 2016 – das
       entspricht den Staatsausgaben, die alle zweieinhalb Stunden ausgegeben
       wurden. Die Liste ließe sich fortsetzen.
       
       ## Humanitäre Hilfe muss alle überzeugen
       
       Erfahrungen aus den USA und Deutschland zeigen: Den gesellschaftlichen
       Rückhalt für humanitäre Hilfe gibt es nicht umsonst. Es braucht mehr als
       Expertenmeinungen, um zu verhindern, dass sich Deutschland in der
       humanitären Hilfe noch verzwergt.
       
       Man sollte den [4][Mythos der Verschwendung widerlegen] und die Wirkung
       nachdrücklich kommunizieren. Umfragen zeigen seit Jahren, dass vor allem
       das Motiv „Mit wenigen Mitteln viel Gutes bewirken„ überzeugt. Mit weniger
       als 1 Prozent des Haushalts rettet Deutschland abertausende Leben. Dieser
       Fakt sollte vor anderen Argumentationen – Appelle an die Menschlichkeit,
       globale Solidarität oder das nationale Interesse, für Geflüchtete auch nahe
       ihrer Heimat Perspektiven zu schaffen – priorisiert werden.
       
       [5][Humanitäre Akteure dürfen Belege aus Evaluierungen] nicht in Schubladen
       verschwinden lassen, Medienschaffende können Erfolgen mehr Raum geben.
       Gleichzeitig liegt es auch an jeder und jedem Einzelnen, positive Beispiele
       der humanitären Hilfe weiterzutragen – sei es beim Familienessen oder im
       Gespräch mit Freunden und Freundinnen.
       
       Das humanitäre System kennt seine Schwächen und steht zugleich unter dem
       Druck der Finanzierungskrise. Reformen sind dringend nötig – und vielerorts
       in vollem Gange. Auch dafür müssen Belege aus Evaluierungen genutzt werden.
       
       Debatten darüber finden fast ausschließlich innerhalb einer Blase von
       Fachleuten statt. Es braucht mehr offene Gesprächsangebote zwischen
       Fachleuten, Politiker*innen und Bürger*innen nicht nur über
       Wirkung, sondern auch über Effizienz und Reformbedarf.
       
       ## Hebel nutzen, Haltung zeigen
       
       Wer von der Wirkung humanitärer Hilfe überzeugt ist, hat es auch selbst in
       der Hand, aktiv zu werden: durch private Spenden und Engagement oder klare
       politische Haltung. Vor allem aber müssen Abgeordnete wie auch Bürgerinnen
       und Bürger die Regierung an denselben Maßstäben messen wie die
       Trump-Regierung.
       
       Denn sie macht hier dasselbe. Deutschland trägt zur Finanzierungskrise des
       Systems und damit zur globalen Triage bei. [6][Echte Befürwortung
       humanitärer Hilfe] wird erst glaubwürdig, wenn den Kürzungen entschieden
       widersprochen wird.
       
       8 Sep 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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