# taz.de -- Rock gegen rechts: Jamel rockt die Behörden
       
       > Seit April gibt es einen Streit zwischen dem Festival „Jamel rockt den
       > Förster“ und der Gemeinde Gägelow. Nun könnte die Veranstaltung doch
       > stattfinden.
       
 (IMG) Bild: Auftakt gegen rechts: Besucher:innen tanzen am ersten Tag des Festivals „Jamel rockt den Förster“, am 30. 8. 2024
       
       Am Freitag werden sie trotz alledem anreisen, die rund 3.500 Menschen, die
       bei der Verlosung der Tickets für „Jamel rockt den Förster“ das Glück
       hatten, aus mehr als 24.700 Interessenten ausgelost zu werden. Dabei haben
       sich die Gemeinde Gägelow, zu der Jamel gehört, und der Landkreis
       Nordwestmecklenburg wirklich viel Mühe gegeben, der zweitägigen
       Veranstaltung möglichst viele Steine in den Weg zu legen.
       
       Seit 2007 gibt es das [1][Festival gegen rechts], veranstaltet von dem
       ursprünglich aus Hamburg stammenden Künstlerpaar Horst und Birgit Lohmeyer.
       Die hatten sich den alten, denkmalgeschützten Forsthof als Altersruhesitz
       gekauft – obwohl das 40-Seelen-Dorf Jamel damals schon von bekennenden
       Neonazis und alten NPD-Kadern dominiert wurde. Seither haben sich weitere
       rechte Familien angesiedelt. Deren Angriffen auf alles, was anders tickt,
       sollte das Festival etwas entgegensetzen.
       
       Doch dieses Mal gibt es nicht nur mit den Dorfbewohnern Konflikte, sondern
       auch mit den Behörden, mit denen man sich einen langen und zähen Kleinkrieg
       vor Gericht liefert. Seit April ergehen in zunehmend engerer Taktung
       einstweilige Anordnungen und Beschlüsse vom Verwaltungsgericht Schwerin,
       die dann in schöner Regelmäßigkeit mit Beschwerden vor dem
       Oberverwaltungsgericht Greifswald angegriffen werden.
       
       Die gerichtliche Auseinandersetzung begann, als die Gemeinde Gägelow Anfang
       des Jahres wahr machte, was sie schon länger angedroht hatte. Die erst 2024
       gewählte Bürgermeisterin Christina Wandel von der Wählergemeinschaft „Wir
       für die Gemeinde Gägelow“ übersandte dem Künstlerpaar Horst und Birgit
       Lohmeyer Pachtverträge für die gemeindeeigenen Wiesen rund um den alten
       Forsthof der Lohmeyers. Rund 8.000 Euro wollte die Gemeinde dafür haben,
       dass diese Wiesen einen Monat lang als Rangierfläche beim Auf- und Abbau
       und als Park- und Campingplatz während des Festivals genutzt werden können.
       
       ## Die Lohmeyers ziehen also vor Gericht
       
       Die Lohmeyers wollten das nicht so recht einsehen. Schließlich hatte die
       Gemeinde die Flächen seit mehr als einem Jahrzehnt kostenlos zur Verfügung
       gestellt. Und auch der Preis schien unverhältnismäßig, immerhin hat man für
       die Teilfläche, die schon seit 2018 an einen der rechten Szene zugehörigen
       Dorfbewohner verpachtet wird, nur 65 Euro im Jahr verlangt. Auf welcher
       Grundlage die Pachtberechnung überhaupt erfolgt, wollte die Gemeinde
       Gägelow auf taz-Anfrage nicht erklären.
       
       Die Lohmeyers zogen also vor Gericht, und zwar mit einer zweigleisigen
       Strategie: Sie bezweifelten einerseits die Rechtmäßigkeit der plötzlichen
       Pachtforderung und erklärten andererseits ihr Festival zur politischen
       Versammlung. Immerhin, so argumentieren sie, geht es ja zuallererst um die
       politische Botschaft; welche Künstler auftreten, bleibt bis zum Schluss
       geheim. Hier standen schon viele auf der Bühne, die in Deutschland Rang und
       Namen haben.
       
       Das fing an mit den Toten Hosen, die hier ein
       Überraschungs-Solidaritätskonzert spielten, nachdem Unbekannte 2015 die
       alte Scheune abgefackelt hatten. [2][Seither gibt sich die Musikprominenz
       quer durch das gesamte musikalische Spektrum] die Klinke in die Hand:
       Herbert Grönemeyer, die Ärzte, Madsen, Fettes Brot, Kraftklub, Danger Dan,
       Igor Levit, Deichkind – um nur ein paar zu nennen.
       
       Damit ist das Festival auch international bekannt geworden, wird mit
       Preisen überhäuft, Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) ist
       Schirmherrin. Vor Ort haben sie sich damit aber natürlich nicht beliebt
       gemacht. Das gilt nicht nur für die Neonazis und völkischen Siedler, die
       anfangs versuchten, Festivalbesucher zu attackieren und einzuschüchtern,
       sondern auch für jene Bürger, die das vor allem als Nestbeschmutzung
       empfinden und als Veranstaltung für zugereiste Großstadtbewohner, die nach
       zwei, drei Tagen wieder verschwinden.
       
       Das Ganze nun auch offiziell als [3][politische Veranstaltung] zu
       deklarieren, hatte allerdings einen Haken: Plötzlich war der Landkreis als
       zuständige Versammlungsbehörde im Spiel. Und der erließ gleich einmal
       drakonische Auflagen: Alkoholverbot, keine Glasflaschen, mehr Ordner waren
       die wichtigsten. Außerdem wollte man die teilnehmenden Künstler vorab
       gemeldet bekommen, wegen des „unterschiedlich hohen
       Mobilisierungspotenzials“.
       
       Mit dem Vorgehen gegen die Pachtvereinbarung hatten die Lohmeyers zunächst
       keinen Erfolg. Zwar ließ das Verwaltungsgericht die Klage zu, fand aber den
       beantragten einstweiligen Rechtsschutz nicht so dringend. Die
       Festivalveranstalter hätten ja nicht nachweisen können, dass diese
       Forderung existenzbedrohend sei, befand es. Angesichts des Gesamtbudgets
       für die Veranstaltung fielen die Gebühren der Gemeinde nicht so sehr ins
       Gewicht, man könne ja auch die Eintrittspreise erhöhen.
       
       Wenn sich dann im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass die Forderung der
       Gemeinde unberechtigt war, könne man das Geld immer noch zurückfordern,
       argumentierte das Gericht. Das sah auch das Oberverwaltungsgericht
       weitgehend so, bei dem man Beschwerde eingelegt hatte. Die Lohmeyers
       entschieden sich also, zähneknirschend erst einmal zu zahlen.
       
       Doch – und spätestens hier wird es kurios – das stellte sich dann als gar
       nicht so einfach heraus. Schon der Abschluss und die Prüfung der Verträge
       zog sich ungewöhnlich lange hin. Dann überwies der Veranstalter den
       geforderten Betrag – und die Gemeinde buchte ihn am nächsten Tag zurück.
       Erst auf mehrfache Nachfrage der Anwaltskanzlei erklärte die Gemeinde,
       wieso: Sie war mit der Zahlung unter Vorbehalt nicht einverstanden. Die
       Lohmeyers sollten zahlen und auf eine mögliche Rückzahlung verzichten.
       
       Das, befand das Verwaltungsgericht Schwerin am 7. August, sei „treuwidrig
       und unzulässig“, es widerspreche dem Verbot des widersprüchlichen
       Verhaltens, an das Behördenhandeln nun einmal gebunden sei. Zumal der
       Verdacht, die Gemeinde nutze hier die zeitliche Bedrängnis aus, nicht vor
       der Hand zu weisen sei. Im Übrigen musste der Gemeinde ja bewusst sein,
       dass auch der Landkreis das Vorliegen eines gültigen Nutzungsvertrages zur
       Auflage für die Versammlung gemacht hatte.
       
       ## Eine deutliche Ansage
       
       Eine ziemlich deutliche Ansage – sollte man meinen. Die Bürgermeisterin
       unterzeichnete den Vertrag aber offensichtlich nur mit einigem Widerwillen.
       Neben ihrer Unterschrift fand sich der handschriftliche Vermerk „erpresst“
       – so hat es das Verwaltungsgericht festgehalten. Und weil die Unterschrift
       ihrer Stellvertreterin gleich ganz fehlte, war immer noch kein gültiger
       Vertrag zustande gekommen. Also musste das Verwaltungsgericht Schwerin am
       11. August erneut eine einstweilige Anordnung erlassen – damit endlich mit
       dem Mähen der Wiesen und dem Abtransport des Mähgutes begonnen werden
       konnte.
       
       Auch der Landkreis als Versammlungsbehörde hatte sich im ersten Durchgang
       eine Niederlage eingefangen. Das Verwaltungsgericht befand einen Großteil
       der angestrebten Auflagen für übertrieben. Es verwies auf die Erfahrungen
       der vergangenen Jahre und die Gefährdungsabschätzung der Polizei. Das
       wiederum brachte Landrat Tino Schomann (CDU) auf die Palme. Er behauptete,
       das Gericht habe die Erwiderungsschrift des Landkreises gar nicht zur
       Kenntnis genommen – eine Behauptung, die er später korrigieren musste,
       lediglich eine nachgereichte Akte war nicht rechtzeitig auf dem
       Schreibtisch des Richters gelandet.
       
       Sein Kreisvorsitzender Thomas Grote (CDU) suggerierte gar gleich, hier sei
       wohl eine politisch gelenkte Justiz am Werk und Ministerpräsidentin Manuela
       Schwesig (SPD) habe Einfluss genommen – eigentlich eine klassische
       AfD-Rhetorik, die in der Landespolitik auf entsprechenden Unmut und
       Widerspruch stieß.
       
       Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass Landrat Schomann deutlich
       rechts blinkt: Auch dem Flüchtlingsrat drohte er schon eine Klage an, weil
       ihm dessen Bewertung von Vorgängen in einer Flüchtlingsunterkunft des
       Kreises missfiel. Mit seiner Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht
       gegen die gekippten Auflagen hatte er aber zumindest teilweise Erfolg. Die
       höhere Anzahl an Ordnern und das Verbot von Glasflaschen wurde wieder
       eingesetzt. Neben Sicherheitsbedenken hatte der Landkreis in einer zweiten
       Ordnungsverfügung auch noch weitere „naturschutzrechtliche Bedenken“ ins
       Feld geführt – schon in der Begründung der ersten Fassung hatte man
       ausgiebig auf die Gefahren durch Wildpinkler und Waldbrände verwiesen.
       
       Mit dem ersehnten Alkoholverbot konnte er sich allerdings auch dieses Mal
       nicht durchsetzen, obwohl man sehr viel Mühe darauf verwandt hatte, aus dem
       vermuteten Alkohol- und Cannabiskonsum ein Sicherheitsrisiko zu
       konstruieren. Tatsächlich wird das Festival jedes Jahr von einem
       erheblichen Polizeiaufgebot begleitet – das dient aber weniger dazu, außer
       Rand und Band geratene Festivalteilnehmer im Zaum zu halten, als vielmehr
       dazu, Zusammenstöße mit den rechten Dorfbewohnern zu verhindern.
       
       Über die eigentlichen Fragen, also ob die Pachtforderung in dieser Höhe
       gerechtfertigt ist und ob es sich hier nun um eine politische Versammlung
       oder doch eher ein kommerzielles Festival handelt, ist immer noch nicht
       entschieden. Das Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht steht noch
       aus. Aber so lange wollten die zuständigen Behörden eben nicht warten.
       
       Und zumindest der Landkreis lässt sich die Angelegenheit richtig etwas
       kosten: Mit der Vertretung vor dem OVG hat man eigens eine externe
       Anwaltskanzlei beauftragt, die – sagen Branchenkenner – eher im oberen
       Preissegment angesiedelt ist. Den hauseigenen Juristen traute man dies wohl
       nicht zu.
       
       19 Aug 2025
       
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