# taz.de -- Merkwürdiger Reiz des Evangelikalen: Don’t stay, be gay
       
       > Die Zeiten sind unsicher, da verspricht Religiöses Halt. Dass unsere
       > Kolumnistin mit dem Kalender einer Freikirche liebäugelt, hat aber andere
       > Gründe.
       
 (IMG) Bild: Und während ich mir halt die Seele aus dem Leib boxe, beten andere – und finden darin Gemeinschaft und Halt
       
       Seit ein paar Wochen versuche ich, kostenlos an einen Kalender zu kommen.
       Der kostet eigentlich 12,34 Euro und darin zu finden gibt es eine geballte
       Ladung [1][Schwarzweißfotos], ein ästhetisch kuratiertes Sammelsurium an
       Graffiti und Anschlägen.
       
       Warum ich keinen Cent dafür ausgeben will, ist auch der Haken an der ganzen
       Sache: Man bekommt ihn nicht im Umsonstladen, linken Zentrum oder in einer
       Bücherstube, sondern im fundamentalistisch-christlichen „Stay Café“ im
       Leipziger Osten. Der Kalender dokumentiert [2][sämtliche Anschläge], die
       2024 auf das Café stattgefunden haben. Wir finden darin Fotos von
       eingeschlagenen Scheiben oder den Schriftzug „Don’t stay, be gay“.
       
       [3][So wie der Fundamentalismus im Allgemeinen] kommt das „Stay“ in
       harmlosem Gewand daher, es schaut aus wie ein üblich teures Café, in das
       man zum Co-Worken geht. Hier allerdings chillt man mit den „Churchies“ (um
       die christlichen Rapper „O’Bros“ zu zitieren): [4][Das Café gehört der
       Zeal Church], einer Freikirche, die schon länger in der Kritik steht.
       
       ## Triggernde Predigten
       
       Weil ich für einen literarischen Text gerade viel recherchiere, verbringe
       ich Nachmittage damit, mir die Predigten von René Wagner, dem geistlichen
       Leiter der Zeal Church, [5][auf deren Youtube-Kanal reinzuziehen]. Ich
       lasse mich jeden Tag zwei gottlose Stunden lang von ihm anschreien: Über
       „BeReal. mit deinem Gott“. Über die Hölle und keinen Sex vor der Ehe.
       Darüber, warum Christentum = Gnade ist, Gnade = Genuss und Genuss = Steak.
       Meist fängt Wagner mit dem Satz an: „Wenn dich das schon getriggert hat,
       dann ist diese Predigt für dich.“
       
       Das wäre auch alles ganz lustig, wenn es nicht so gefährlich wäre.
       Charismatisch sind diese „Curchies“ leider ganz schön doll. Ich kann
       nachvollziehen, dass Menschen in meinem weiteren Umfeld gerade [6][zu
       Freikirchen] finden: Die momentane Krisendichte ist schwer auszuhalten,
       viele fühlen sich orientierungslos. Und während ich mir halt die Seele aus
       dem Leib boxe, beten andere – und finden darin Gemeinschaft und Halt.
       
       Auf der anderen Seite allerdings stehen [7][Aussteiger*innen]
       ebendieser Kirche und der „International Christian Fellowship“, kurz: ICF,
       aus welcher die Zeal Church hervorgegangen ist. Freund*innen, die nach
       Jahren noch mit sich kämpfen, weil dafür gebetet wurde, dass sie von ihrer
       Queerness geheilt werden. Durch den starken Fokus auf das Thema Familie und
       Geschlecht und [8][Abtreibung] besteht eine ideologische Nähe zum
       rechtspolitischen Spektrum, und bei ICF-Events treten auch Vertreter der
       [9][Konversionstherapien] auf.
       
       Die Zeal Church will keine queeren Paare trauen, spricht sich aber für Sex
       nur nach der Eheschließung aus. Wir Queers sind eingeladen, an den
       Gottesdiensten teilzuhaben, aber große Verantwortung übernehmen, wie
       predigen, sollen wir nicht, dieser Lifestyle war schließlich nicht Gottes
       Plan. Jesus liebt den Sünder, aber hasst die Sünde und so.
       
       In einer Predigt zu „Relationship“ sagt René Wagner, dass Gott uns als
       Mann und Frau geschaffen hat, die ihn nur gemeinsam vollständig abbilden.
       Sein Schluss ist, dass wir die entsprechende Ehe schließen sollen, in
       meinem Kopf klingt es eher, als ob Gott ein Genderqueer Icon ist – wenn
       dieser Satz dich triggert, dann ist diese Kolumne für dich.
       
       ## Vorgeblich liberal
       
       Das Café inszeniert sich als Nachbarschaftstreff und hält das Christliche
       gut geheim. Das ist [10][Teil der Strategie]: Wer vorgibt, unpolitisch und
       offen zu sein, verringert die Wachsamkeit der Besucher*innen. Umso
       effektiver lassen sich Ideologien normalisieren, die unter anderen
       Umständen auf Widerstand stoßen würden.
       
       Die Angriffe auf das „Café Stay“ versuchen diese Illusion aktiv zu
       durchbrechen. Der Kalender, die eingeschlagenen Scheiben, das Graffito sind
       eine Reaktion auf eine Ordnung, durchgesetzt hinter [11][Latte Art] und
       Bibelversen: eine, in der Abweichung keinen Platz hat.
       
       13 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fotografie/!t5008544
 (DIR) [2] https://www.radioleipzig.de/beitrag/kirchencafe-schon-wieder-verwuestet-847399/
 (DIR) [3] /Christliche-Ideologie-im-Internet/!5981335
 (DIR) [4] https://www.zealchurch.de/leipzig
 (DIR) [5] https://www.youtube.com/@ZealChurchLive
 (DIR) [6] /Christliche-Orte-in-Marzahn-Hellersdorf/!6091179
 (DIR) [7] /Ausstieg-bei-den-Evangelikalen/!5786685
 (DIR) [8] /Schwerpunkt-Abtreibung/!t5008434
 (DIR) [9] /Mehr-Schutz-fuer-Queers/!5999797
 (DIR) [10] /Evangelische-Gratis-Hotspots/!5302954
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