# taz.de -- Anti-Feminismus auf dem Land: „Schiefheilung“ bedrohter Männlichkeit
       
       > Die Ablehnung von Feminismus geht oft einher mit der Idealisierung
       > ländlicher Idylle. Über die Verbindungen von Autoritarismus und
       > „Provinzialität“.
       
 (IMG) Bild: Es ist immer noch nötig, für Feminismus auf die Straße zu gehen, wie am 14. Juni in Zürich
       
       Die jüngsten Wahlergebnisse der AfD haben deutliche Unterschiede zwischen
       Ost- und Westdeutschland gezeigt, es gab aber auch ein auffälliges Gefälle
       zwischen den großen Städten und der Provinz. In ländlich geprägten Gegenden
       sind konservative oder gar rechtsextreme Einstellungen sowie die dahinter
       stehenden autoritären Haltungen offenbar weiter verbreitet. Das gilt auch
       für das [1][Thema Antifeminismus]: Patriarchale Geschlechterbilder und
       feste Rollenzuschreibungen passen bestens zur Romantisierung der guten
       alten Zeit und eines harmonischen Landlebens – einer Welt, die (scheinbar)
       noch in Ordnung ist.
       
       Johanna Niendorf, Fiona Kalkstein, Henriette Rodemerk und Charlotte Höcker
       vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig behandeln in
       ihrem gerade erschienenen Buch ein bislang wenig untersuchtes
       Forschungsfeld. Den Begriff Provinzialität interpretieren sie nicht als
       rein räumliche Kategorie, sondern unter Bezug auf den Philosophen Theodor
       Adorno als Weltanschauung: als ein Denken in fixen Kategorien, das
       Reflexion und Ambivalenz ablehnt, statt dessen autoritäre Lösungen
       befürwortet und daher von der politischen Rechten mobilisierbar ist.
       
       In ländlichen Regionen findet diese Geisteshaltung bessere Voraussetzungen.
       Doch in den Metropolen und besonders an ihren peripheren, oft
       unterprivilegierten Rändern kann es ebenfalls große Ressentiments etwa
       gegen Geflüchtete oder gegen Feminismus und weibliche Emanzipation geben.
       Umgekehrt leben selbstverständlich auch in Kleinstädten und Dörfern
       Menschen, die diese Vorbehalte nicht teilen.
       
       Der britische Autor David Goodhart hat das Begriffspaar „Somewheres versus
       Anywheres“ in die soziologische Debatte eingeführt. Nach seinem plakativen
       Schema stehen sich heimatverbundene Bodenständigkeit auf der einen Seite
       und ein entwurzelter, international orientierter Kosmopolitismus auf der
       anderen Seite gegenüber. Die Deutungsmuster und Lebensstile dieser beiden
       Milieus sind zwar nicht immer klar voneinander abzugrenzen, dennoch zeigt
       sich eine klare geografische Verteilung: „Somewheres“, die Dagebliebenen,
       wohnen meist in der Provinz oder in kleinbürgerlich geprägten Vororten,
       „Anywheres“, die (N)Irgendwos, dagegen im Zentrum der großen Städte. Zu
       entsprechenden Schlussfolgerungen kommen dann Wahlanalysen ebenso wie
       wissenschaftliche Studien nach dem Motto: Der ländliche Raum tickt rechts.
       Doch wie stimmig ist dieses Klischee?
       
       ## Ergebnisse einer Untersuchung nicht besonders aufschlussreich
       
       Die Leipziger Forscherinnen sehen zumindest Anhaltspunkte dafür.
       Antifeminismus und Provinzialität verbinde die „Idealisierung einer
       Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, und die autoritäre Sehnsucht nach
       Eindeutigkeit“. Die dazu passenden Einstellungen und Verhaltensweisen sind
       klare Hierarchien, rigide Konventionen und der Verweis auf Sündenböcke.
       Zentraler Bezugspunkt sei „die Rückkehr zu einer vormodernen Ländlichkeit,
       mit tradierten patriarchalen Familienstrukturen und einer überschaubaren
       Gemeinschaft“. Die in diesem Umfeld praktizierten Herrschaftspraktiken
       lassen zugunsten von Zusammenhalt und Stabilität keine Differenzierung zu,
       abweichendes Verhalten wird streng geahndet.
       
       Die Wissenschaftlerinnen ziehen eine Verbindung zum deutschen Wort
       „Heimat“, das bezeichnenderweise in anderen Sprachen gar nicht existiert.
       Mit diesem Begriff wandten sich modernisierungskritische Strömungen schon
       Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Aufklärung, Demokratie
       und die Zumutungen der Industrialisierung. Anknüpfend an die Epoche der
       Romantik stilisierte man statt dessen die Natur und das bäuerliche Leben
       als unverdorben, moralisch höherwertig und in sich ruhend.
       
       Neben theoretischen Erklärungsversuchen stellen die Wissenschaftlerinnen
       auch eigene empirische Forschung vor. Die Ergebnisse des Projekts
       „Geschlechterdemokratie im Erzgebirge“, einer Region an der Grenze zu
       Tschechien mit besonders großen Wahlerfolgen der AfD, sind leider nicht
       besonders aufschlussreich. Der analytisch herausgestellte Sozialtypus „Die
       wachsame Nachbarschaft“ bleibt in seiner Beschreibung wenig konkret.
       Besonders fiel dem Forschungsteam auf, wie „Bekundungen eigener Toleranz
       gegenüber queeren Formen des Begehrens wiederholt untergraben werden“. Eine
       heteronormative Geschlechterordnung verschränke sich mit ländlicher
       Identität, so entstehe ein „rigides Normengefüge, welches durch
       Sanktionsandrohungen zum allgemeinen Bezugspunkt wird“.
       
       Rolf Pohl, Sozialpsychologe an der Universität Hannover, betrachtet
       Rechtsextremismus, Autoritarismus und Antifeminismus als Resultate einer
       gekränkten Männlichkeit. Ihm zufolge fühlen sich vor allem prekarisierte
       Männer in durch Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Lebenslagen durch
       Frauenemanzipation und Genderdebatten bedroht. Ähnlich argumentiert der
       US-amerikanische Männerforscher Michael Kimmel mit seiner These von den
       „Angry White Men“, deren Wahlentscheidungen wesentlich zu den Erfolgen von
       US-Präsident Donald Trump beigetragen hätten. Einen vorgeblichen
       Rettungsanker finden verunsicherte Männer in der maskulinistischen Berufung
       auf ein imaginäres „wahres“ Mannsein.
       
       Pohls Kollege Sebastian Winter glaubt, dass Ängste so fehlgeleitet ihren
       Ausdruck finden – und deutet das aus psychoanalytischer Perspektive: Die
       Betroffenen heilten „ihr Unbehagen schief, formen es unbewusst um, nehmen
       Sorgen das Leidvolle und entäußern sie dann als Hass und Ressentiment“.
       Verlusterfahrungen würden auf diese Weise verdrängt. Diese Haltung
       bezeichnet Winter als „provinziell“, schränkt aber ein: Provinzialität
       finde sich nicht „nur auf dem Dorf“, sie treffe dort nur auf besonders
       fruchtbaren Boden. Wo „jede jeden kennt“, könne mehr davon wuchern als in
       „anonymen, aber zugleich dem Fremden gegenüber offeneren, urbaneren
       Kontexten“.
       
       12 Aug 2025
       
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