# taz.de -- Experte über Bafög: „Eine WG-Garantie ist reine PR“
       
       > Die Zahl der Bafög-Empfänger:innen ist auf dem tiefsten Stand seit 25
       > Jahren. Matthias Anbuhl vom Studierendenwerk fordert ein zügiges Handeln.
       
 (IMG) Bild: Immer weniger Studierende beantragen Bafög
       
       taz: Herr Anbuhl, seit Jahren verspricht die jeweilige Bundesregierung eine
       „Trendwende“ beim Bafög. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache:
       [1][Nur noch 612.800 Menschen erhalten die Förderung] – der niedrigste
       Stand seit 25 Jahren. Warum greifen die Reformen nicht? 
       
       Matthias Anbuhl: Es ist eine Mischung aus verschiedenen Problemen. Zum
       einen ist das Bafög nach wie vor zu gering. Die aktuellen Sätze – 475 Euro
       Grundbedarf und 380 Euro Mietkostenpauschale – reichen kaum zum Leben. Dazu
       kommt, dass ein Bafög-Antrag sehr kompliziert ist und jedes Jahr neu
       gestellt werden muss. Offensichtlich steht der Aufwand für viele nicht im
       Verhältnis zum Ertrag.
       
       Eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte
       Informationstechnik legt das nahe: Würden alle Berechtigten tatsächlich
       auch Bafög beantragen, würde der Anteil der Empfänger:innen von 12 auf
       mindestens 27 Prozent steigen. Kurzum: Das Bafög muss höher, einfacher und
       digitaler werden.
       
       taz: Seit dem letzten Wintersemester gibt es die „Studienstarthilfe“ –
       [2][eine von der Ampelregierung eingeführte] Einmalzahlung von 1.000 Euro
       für ärmere Studierende. Doch nur 10.700 Menschen haben sie bisher
       beantragt. Wie erklären Sie sich die geringe Nachfrage, wo doch Inflation
       und steigende Lebenskosten Studierende besonders hart treffen? 
       
       Anbuhl: Die Studienstarthilfe ist grundsätzlich eine gute Idee, allerdings
       war sie von Haus aus für eine begrenzte Zahl an Personen vorgesehen. Und
       zwar nur für Studienanfänger:innen, deren Eltern Sozialleistungen beziehen.
       Wie beim Bafög selbst müssen Nachweise vorgelegt werden. Wer die
       „Studienstarthilfe“ beantragen will, hat also doppelten Aufwand. Das
       schreckt natürlich ab. Aus meiner Sicht wäre es auch besser gewesen, die
       Starthilfe auch gleich allen Bafög-berechtigten
       Studienanfänger:innen zu geben. Ihre Bedürftigkeit ist ja bereits
       nachgewiesen.
       
       taz: Die neue Bundesregierung sendet widersprüchliche Signale. Einerseits
       will sie die Bedarfssätze auf Grundsicherungsniveau heben und künftig
       regelmäßig anpassen – was ein wirklicher Fortschritt wäre. Auch soll die
       Mietkostenpauschale deutlich steigen. Andererseits haben Union und SPD
       soeben die Bafög-Mittel für das kommende Jahr um rund 250 Millionen Euro
       gekürzt. Wie passt das zusammen? 
       
       Anbuhl: Das passt überhaupt nicht zusammen. Das Minus im Haushaltsentwurf
       für 2026 geht wohl auf die Annahme zurück, dass die Zahl der
       Bafög-Empfänger:innen auch in diesem Jahr weiter zurückgeht. Wie aber aus
       einem stark gekürzten Bafög-Budget die versprochene Erhöhung der
       Wohnkostenpauschale möglich sein soll, ist völlig unklar. Aus Sicht der
       jungen Generation ist das ein verheerendes Signal. Zumal die
       Bundesregierung ja zeigt, dass sie schnell handeln kann, wie etwa beim
       Rentenpaket. Ich würde mir wünschen, dass sie beim Bafög nun ebenso zügig
       aktiv wird.
       
       taz: [3][Studierende kritisieren], dass die geplanten Erhöhungen erst zum
       Wintersemester 2028/29 voll in Kraft treten sollen. Müssen sie akzeptieren,
       dass ihre Nöte für die Politik schlicht keine Priorität haben? 
       
       Anbuhl: Die Priorität ist jedenfalls noch nicht erkennbar. Die Kritik der
       Studierenden an diesen gestuften Erhöhungen teile ich, sie kommen viel zu
       spät. Den Preis dafür zahlt die aktuelle Studiengeneration, die von den
       Erhöhungen nichts mehr haben wird, wenn erst zum Ende der Legislaturperiode
       alle im Koalitionsvertrag geplanten Bafög-Erhöhungen durch sind. Außerdem
       muss man davon ausgehen, dass die Mieten in den kommenden Jahren kräftig
       weiter steigen werden. Die Mietkostenpauschale soll aber erst 2026 auf 440
       Euro steigen – dabei wäre das heute schon zu wenig.
       
       taz: Laut Moses Mendelssohn Institut kostet ein WG-Zimmer [4][im
       Sommersemester durchschnittlich 493 Euro], in Städten wie Berlin, Köln oder
       Hamburg sogar über 600 Euro. Was schlagen Sie vor, um das Problem zu lösen?
       
       Anbuhl: Aus meiner Sicht muss die Bundesregierung an drei Stellen ansetzen.
       Erstens sollte sie Studierende auf dem privaten Markt besser schützen. Die
       Verlängerung der Mietpreisbremse ist zwar hier erst mal gut, leider enthält
       sie aber Ausnahmen, zum Beispiel für Kurzzeitvermietungen. Das hat jüngst
       der Mieterverein Hamburg kritisiert. Diese Lücke muss die Bundesregierung
       schließen.
       
       Zweitens brauchen wir generell mehr günstigen Wohnraum. Wir sehen, dass das
       Bundesprogramm „Junges Wohnen“ hier die richtigen Anreize setzt und manche
       Bundesländer hier schon sehr aktiv sind. Das wird uns aber erst
       mittelfristig helfen. Und drittens sollte die Bundesregierung über ein
       Sockelmodell bei der Bafög-Mietkostenpauschale nachdenken. Wenn man in
       München 800 Euro für ein Zimmer zahlt, sollte es einen extra Zuschuss
       geben. Natürlich muss der Sockel deutlich über den geplanten 440 Euro
       liegen.
       
       taz: Union und SPD versprechen im Koalitionsvertrag auch – etwas kryptisch
       – eine „WG-Garantie“ für Studierende und Auszubildende … 
       
       Anbuhl: Diesen Begriff sehe ich kritisch. Solange hier keine konkreten
       Maßnahmen genannt werden, ist eine „WG-Garantie“ aus meiner Sicht reine PR.
       Ehrlicherweise glaube ich auch nicht, dass sich so eine Garantie
       realistisch umsetzen ließe. Mit solchen Begriffen werden Hoffnungen
       geweckt, die bei Studierenden und Auszubildenden nur zu Enttäuschungen
       führen.
       
       taz: Viele klagen über lange Bearbeitungszeiten bei Bafög-Anträgen. Woran
       liegt das?
       
       Anbuhl: Das stimmt. Wir haben die paradoxe Situation, dass zwar die Zahl
       der Anträge sinkt, aber dennoch die Bearbeitungszeiten steigen. Das liegt
       am Personalmangel, aber auch an der stockenden Digitalisierung. Die Anträge
       können zwar digital gestellt werden. In dem Moment aber, in dem der Antrag
       im Postfach landet, muss alles ausgedruckt und wieder zu einer analogen
       Akte zusammengefasst werden. Erst an wenigen Standorten gibt es eine
       Bafög-eAkte. Es gibt aber keine Software, mit der die
       Mitarbeiter:innen in den Bafög-Ämtern der Studierendenwerke die
       eingehenden Informationen bearbeiten könnten, nicht mal eine Antwort per
       Mail ist momentan aus Datenschutzgründen möglich. Wir leben diesbezüglich
       immer noch in der Steinzeit.
       
       taz: Union und SPD versprechen, das Bafög weiter zu digitalisieren. 
       
       Anbuhl: Das müssen wir abwarten. Wichtig wäre aber, in dem Zug die
       Antragstellung insgesamt zu vereinfachen. Warum müssen Studierende die
       Einkommensbescheide ihrer Eltern einreichen, wenn die Daten beim Finanzamt
       liegen? Solche Schnittstellen muss ein digitales Bafög haben. Zudem sollte
       künftig auch ein einmaliger Antrag für das gesamte Bachelor-Studium
       reichen. Das würde den Studierenden auch mehr Planungssicherheit geben.
       
       taz: Was fehlt noch? 
       
       Anbuhl: Bessere Informationen. Die oben genannten Fraunhofer-Studie hat
       nicht nur gezeigt, dass über die Hälfte der Bafög-Berechtigten kein Bafög
       beantragt – viele sind auch schlecht informiert. So wissen viele
       Studierende gar nicht, dass sie nur einen Teil der Bafög-Förderung
       zurückzahlen müssen und dass der zinslose Bafög-Darlehensanteil bei 10.010
       Euro gedeckelt ist. Auch wird unterschätzt, wie viel Bafög sie selbst bei
       einem vergleichsweise hohen Elterneinkommen noch bekämen. Hier kann ein
       KI-gestützter Chatbot helfen, um schnell auf individuelle Fragen
       einzugehen.
       
       taz: Wie optimistisch sind Sie, dass die neue Bundesforschungsministerin
       Dorothee Bär (CSU) diese Themen angeht? 
       
       Anbuhl: Schwer zu sagen. Bei dem Chatbot haben wir immerhin die
       Rückmeldung, dass Frau Bär die Idee interessant findet und in ihrem Haus
       prüfen lassen will. Für so einen Bafög-Bot gibt es schon ein Konzept beim
       Fraunhofer-Institut, einer ist [5][live auf dem Portal „studis online“].
       Wir Studierendenwerke jedenfalls stehen bereit, wenn die Bundesregierung
       das Bafög vereinfachen will – wir beraten sehr gerne.
       
       5 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/08/PD25_283_214.html
 (DIR) [2] /Bafoeg-Erhoehung-fuer-Studierende/!5983033
 (DIR) [3] /Studentin-ueber-Koalitionsversprechen/!6080607
 (DIR) [4] https://moses-mendelssohn-institut.de/aktuelles/SoSe2025/
 (DIR) [5] https://www.bafoeg-rechner.de/bafoegchat.php
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Pauli
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bafög
 (DIR) Studium
 (DIR) Chancengleichheit
 (DIR) Finanzen
 (DIR) Schwarz-rote Koalition
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Wohnen
 (DIR) Schwarz-rote Koalition
 (DIR) Junge Menschen zur Bundestagswahl
 (DIR) Bafög
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) WG-Zimmerpreise auf Rekordhoch
       
       Eine neue Analyse eines Forschungsinstituts zeigt: Die
       BaföG-Wohnkostenpauschale deckt an immer mehr Orten längst nicht mehr die
       realen Wohnkosten ab.
       
 (DIR) Studentensprecherin über Koalitionspläne: „Studierende gehen in großer Zahl leer aus“
       
       Union und SPD wollen das Bafög bis 2028 auf Grundsicherungsniveau heben. Zu
       spät, findet Emmi Kraft vom Studierendenverband fzs.
       
 (DIR) Sozialer Ausgleich an den Universitäten: Das Studium als Klassenfrage
       
       Studierende aus Arbeiter*innenfamilien sind an Universitäten
       unterrepräsentiert. Eine Bafög-Reform ist überfällig.
       
 (DIR) Verfassungsgericht entscheidet: Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
       
       Klagen zwecklos: Das Bundesverfassungsgericht überlässt dem Gesetzgeber die
       Festsetzung der Bafög-Höhe. Ein individueller Anspruch bestehe nicht.