# taz.de -- Sprache in Zeiten des Kriegs: Soll man das Wort „kriegstüchtig“ verwenden?
       
       > Wer kein Voll-Pazifist ist, sollte semantische Vermeidungsstrategien
       > abstellen: „Kriegstüchtig“ sagt, worum es geht: einen Krieg führen zu
       > können.
       
 (IMG) Bild: Boris Pistorius (SPD, Verteidigungsminister, beim Besuch eines Panzerbataillon: das Wort „kriegstüchtig“ erstmals offensive benutzt
       
       Die Beschäftigung mit sicherheitspolitischen Fragen gilt bei Teilen von
       unsereins als moralisch verwerflich. Wer realisiert hat, dass die
       gemütlichen Jahre vorbei sind, und über militärische Verteidigung ernsthaft
       sprechen will, wird häufig keine argumentativ orientierte
       Auseinandersetzung auslösen, sondern kurz und knapp als „Bellizist“
       eingestuft, der seine und unsere „Ideale“ verrät. Sehr schön zu sehen an
       Reaktionen auf den [1][sich militärisch weiterbildenden
       Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter] („Panzer-Toni“).
       
       Diese etablierte Kultur war eine notwendige Reaktion auf zwei angefangene
       Weltkriege, den Holocaust und die unauslöschliche Schuld der Deutschen und
       trug vermutlich zur Zivilisierung und Demokratisierung der Bundesrepublik
       bei. Sie folgt zugespitzt der Nachkriegslogik, dass der Deutsche halt
       genetisch oder ethnokulturell kriegsgeil ist.
       
       Wenn er aber niemand überfallen kann, kann auch keinem was passieren. Durch
       Putins [2][Angriffskrieg auf Europa] ist diese illusionistische
       Einschätzung in einem Wandlungsprozess, in dem von den Bewahrern jedes Wort
       vehement abgelehnt wird, das ebenjenen Prozess unterstützen könnte.
       
       Das betrifft ganz besonders das Wort „kriegstüchtig“, das laut dem
       Potsdamer Militärexperten Sönke Neitzel lange Zeit allenfalls in internen
       Bundeswehrzirkeln benutzt wurde. Selbst Verteidigungsminister hätten die
       Begriffe „Krieg“ und „Kampf“ viele Jahrzehnte gemieden. Auch ich habe als
       Redakteur „kriegstüchtig“ stets aus Texten rausgestrichen und durch
       „verteidigungsfähig“ ersetzt, weil ich das Gefühl hatte, das Wort sei uns
       nicht zuzumuten und könne Abokündigungen zur Folge haben.
       
       ## Sich dem „Zeitenbruch“ stellen
       
       Es war Boris Pistorius, der aktuelle Verteidigungsminister (SPD), der
       „kriegstüchtig“ erstmals offensiv benutzt hat und damit einen Kulturwandel
       der Deutschen semantisch voranbringen will, der ihm angesichts des
       russischen Angriffskrieges und des unsicher gewordenen Schutzes durch die
       USA notwendig erscheint. Es geht dabei nicht darum, wieder andere Länder zu
       überfallen (es ist bezeichnend, dass man das sagen muss!), sondern, sich
       dem „Zeitenbruch“ ([3][Joschka Fischer]) zu stellen. Es ist allerspätestens
       seit 2022 nicht mehr alles gut, solange der Deutsche keine richtige Armee
       hat.
       
       Die Entwicklung eines feinen und emanzipatorisch grundierten Sprechens
       markiert einen Fortschritt der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Gerade
       in Zeiten einer teilweisen Verrohung ist sprachliche Sensibilität
       essentiell. Gleichzeitig ist aber das verdruckste und euphemistische
       Sprechen nicht angemessen, wo es um Klarheit geht und nicht mehr prioritär
       um Rücksichtnahme auf kulturell geprägte Empfindsamkeit, die moralische
       Exzellenz mit Realitätsverweigerung verwechselt.
       
       „Kriegstüchtig“ sagt unverbrämt, worum es geht und was Sache ist, nämlich
       mit zeitgemäß ausgebildeten Soldaten und Waffen einen militärischen Angriff
       tatsächlich abwehren zu können, also einen Krieg führen zu können. Wer kein
       Voll-Pazifist ist, der sollte in der Lage sein, seine semantischen
       Vermeidungsstrategien nicht als Tugend zu verstehen, sondern abzustellen.
       Das heißt alles nicht, dass man für Wehrpflicht sein muss und für einen
       jährlichen Wehretat von 153 Milliarden Euro, aber man muss in der Lage
       sein, den Dingen ins Auge zu sehen. Im Moment, sagt Sönke Neitzel, bliebe
       deutschen Soldaten bei einem ernsthaften Angriff nur eine Option: „Mit
       Anstand zu sterben.“
       
       Ob das so bleiben soll oder wie genau man das ändert, darüber müssen wir
       sachlich sprechen können. Und doch zögere ich immer noch, das Wort
       „kriegstüchtig“ zu benutzen.
       
       3 Aug 2025
       
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