# taz.de -- Tagebuch aus Lettland: Zum Shoppen ausgerechnet nach Belarus
       
       > In vielen lettischen Städten liegen belarussische Waren ganz normal in
       > den Auslagen – trotz Sanktionen. Der Handel mit dem Minsker Regime läuft
       > gut.
       
 (IMG) Bild: Regelmäßig fahren Busse vom lettischen Riga nach Belarus
       
       Der Bürgermeister der lettischen Stadt [1][Daugavpils], die nur 35
       Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt liegt, hat ganz
       offensichtlich eine besondere Schwäche für belarussische Quarkriegel.
       Selbst vor dem Hintergrund des Krieges Russlands gegen die Ukraine, in dem
       mein Heimatland [2][Belarus] mitbeschuldigt wird, zögert er nicht, in
       seinem Büro Fotos von sich und seinen Quarkriegeln zu machen.
       
       Ja, das schmeckt tatsächlich, das weiß er. Aber was der lettische
       Spitzenbeamte anscheinend nicht weiß – oder so tut, als wisse er es nicht
       -, ist, dass er mit dem Kauf belarussischer Waren das Regime der
       Unterdrückung und des Krieges unterstützt.
       
       In einigen Geschäften in Riga sind tatsächlich belarussische Waren
       erhältlich: Süßigkeit, Schuhe, Bettwäsche, Socken, Kosmetika und sogar
       traditionelle Filzstiefel. Bei manchen Dingen ist allerdings das Jahr der
       Herstellung angegeben: 2025.
       
       Wie kommen diese Produkte in die EU? Für uns Geflüchtete ist der Anblick
       einheimischer Waren in einem fremden Land eine Art therapeutischer Moment.
       Wenn wir sie in den Schaufenstern betrachten, ist es, als würden wir in
       dieses vergangene Leben eintauchen, das uns doch nicht zurückgegeben werden
       kann.
       
       ## Busse fahren regelmäßig, Tickets sind begehrt
       
       Auch viele Letten sind nicht dagegen. Sie kaufen gerne belarussische Waren,
       auch heute noch. Sie fahren sogar selbst nach Belarus zum Einkaufen. Und
       manchmal kaufen sie zu viel ein.
       
       Schon vor dem großen Krieg in der Ukraine hatten geschäftstüchtige
       Einwohner von Daugavpils und Umgebung einen inoffiziellen „Grenzhandel“
       betrieben: Waschpulver und Zahnpasta wurden nach Belarus gebracht, Benzin
       und Zigaretten nach Lettland. Noch heute sind Zigaretten in Minsk fast
       viermal billiger als in Riga, und Benzin ist doppelt so billig.
       
       Mit dem Ausbruch des [3][Krieges] änderten sich die Spielregeln. Die
       lettischen Behörden schlossen die Grenze für Privatfahrzeuge mit
       belarussischen Kennzeichen. Doch die belarussischen „Pendelhändler“ wurden
       sofort durch lettische ersetzt. Das Geschäft duldet keine Pausen – vor
       allem nicht, wenn es in der Grauzone stattfindet.
       
       So fahren Menschen aus Lettland in komfortablen Bussen mit lettischen
       Kennzeichen nach Belarus. Im Internet lassen sich sowohl Angebote für
       eintägige Einkaufstouren ab 47 Euro als auch Ausflugsprogramme für vier
       oder fünf Tage finden. Ich habe bei einem Unternehmen angerufen: Es gibt
       keine freien Plätze bis nächsten Monat.
       
       ## Lukaschenka lockt Shopping-Touristen
       
       Natürlich werden viele einwenden, dass die Menschen auch die Gräber ihrer
       Verwandten besuchen. Schließlich sind wir Nachbarländer und haben einen
       Teil der Geschichte gemeinsam. Aber eine Shoppingtour zu den
       Einkaufszentren von belarusischen Polotsk hat nichts mit Familienbanden zu
       tun.
       
       Der gerissene Staatspräsident Lukaschenka erlässt jedes Jahr ein Dekret zur
       Abschaffung von Visa für EU-Bürger und lockt so immer mehr Touristen nach
       Belarus. Daraufhin warnen die lettischen Behörden: Reisen nach Belarus sind
       gefährlich. Es gibt sogar ein paar Fälle, in denen Letten in meinem
       Heimatland festgenommen wurden. Aber die Menschen reisen weiter dort hin.
       
       Welche Worte sollte ich für Menschen wählen, die von der Folter in
       belarussischen Gefängnissen, meinem Weg als Flüchtling und der
       Unterstützung des belarussischen Regimes für den Krieg Russlands gegen die
       Ukraine wissen – und trotzdem nach Balarus zur Wurst fahren?
       
       [4][Kirill Turowski] ist ein Journalist aus Belarus, er lebt derzeit im
       Exil in Lettland. Er war Teilnehmer eines [5][Osteuropa-Workshops der taz
       Panter Stiftung]. 
       
       Aus dem Russischen von [6][Tigran Petrosyan]. 
       
       Durch Spenden an [7][die taz Panter Stiftung] werden unabhängige und
       kritische Journalist:innen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts
       „Tagebuch Krieg und Frieden“ finanziell unterstützt.
       
       8 Aug 2025
       
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