# taz.de -- Fachkräftemangel in Pflegeheimen: Das Pflege-Paradox
       
       > Während die Zahl der Pflegebedürftigen stetig wächst, sinkt in Hamburg
       > die Zahl der Heimplätze bereits seit Jahren. Warum lohnt der Betrieb
       > nicht?
       
 (IMG) Bild: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Hamburg steigt – doch Heimplätze gibt es für sie immer weniger
       
       Bremen taz | Die Zahl der Pflegeheimbetten in Hamburg sinkt rapide – obwohl
       die Zahl der Pflegebedürftigen zugleich zunimmt. Das ist das Ergebnis einer
       Kleinen Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion an den Hamburger Senat. Gab
       es 2020 noch 17.780 Pflegeheimbetten in der Freien Hansestadt, sind es
       dieses Jahr nur noch rund 15.500. Die Zahl der Pflegeheime ist
       währenddessen von 150 auf 134 gefallen.
       
       Verantwortlich für den Rückgang an Pflegeplätzen sind aber nicht nur
       Schließungen von Heimen, sondern auch der Abbau von Betten in einzelnen
       Einrichtungen. Die CDU spricht dabei von einer „schleichenden Schließung“.
       Rund 600 Plätze sind betroffen.
       
       Bei der Ursachenforschung bleibt der Senat etwas vage. „Die Kapazität der
       Pflegeeinrichtungen ist nicht statisch“, schreiben sie, es könne sein, dass
       Betten zeitweise aufgrund von Renovierungen oder Umstrukturierungen nicht
       belegt werden können. Der wichtigste Punkt dabei ist aber wohl der
       [1][Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal:] Den Heimen ist grundsätzlich
       eine Fachkraftquote von 50 Prozent vorgeschrieben. Wenn sie die nicht
       erfüllen können, dürfen sie einige Betten nicht belegen – langfristig
       werden solche Plätze dann ganz abgeschafft, um Kosten zu sparen.
       
       Das schrumpfende Angebot stößt auf einen wachsenden Markt: Der
       demografische Wandel, die weiter fortschreitende Alterung der Gesellschaft,
       vollzieht sich in Hamburg zwar ein bisschen langsamer als anderswo, weil
       mehr junge Leute nachziehen. Aber auch hier wird 2030 jede*r dritte
       Einwohner*in über 65 Jahre alt sein.
       
       ## Unbelegte Plätze – obwohl Zahl der Pflegebedürftigen steigt
       
       Bei der Zahl der Pflegebedürftigen gab es in den letzten paar Jahren einen
       krassen Anstieg; das zeigt die alle zwei Jahre erscheinende Pflegestatistik
       Hamburg, die diesen April mit Daten bis ins Jahr 2023 herausgekommen ist.
       2019, also kurz vor dem Referenzjahr für vorhandene Pflegeplätze 2020,
       waren 77.000 Menschen pflegebedürftig; 2023 waren es 96.000 (und damit mehr
       als doppelt so viele wie 2009). Während die Zahl der Heimplätze seit 2020
       um rund 13 Prozent geschrumpft ist, ist die Zahl der Pflegebedürftigen also
       um 25 Prozent gewachsen.
       
       Zugegeben: Den Hauptanstieg von Pflegebedürftigen gab es in den eher
       „leichten“ Pflegestufen 1 bis 3. Aber auch die schweren Fälle aus den
       Stufen 4 und 5, die noch häufiger in Heimen landen, haben zugenommen: Von
       rund 15.300 im Jahr 2019 auf 15.900. Eher eine dezente Zunahme also – mit
       einem Abbau an Plätzen geht auch sie allerdings nicht gut überein.
       
       Trotz dieses klaren Missverhältnisses bleibt unklar, wie gravierend das
       Problem momentan überhaupt ist: Wie viele Menschen suchen einen
       Pflegeheimplatz, ohne einen zu finden? Nur 88 Prozent der vorhandenen
       Plätze in den Hamburger Heimen gelten als belegt, zwölf Prozent sind frei.
       Das scheint nicht zu passen zu einem Markt, bei dem der Bedarf größer ist
       als das Angebot.
       
       Doch die Belegungsquote muss man anders lesen: Denn nicht alle „unbelegten“
       Plätze sind auch Plätze, die tatsächlich zur Verfügung stehen: Auch hier
       kann ein Personalmangel die Ursache sein; die unbelegten Betten wären dann
       zumindest kurzfristig gesperrte Betten – und damit eigentlich noch eine
       Verschärfung des Problems.
       
       ## Unbelegte Betten können zur Schließung führen
       
       Das gilt umso mehr, da die Heime laut Malte Habscheidt, Sprecher der
       Diakonie Hamburg eigentlich mit einer Auslastung von 96 Prozent rechnen.
       Bleibt die Zahl dauerhaft darunter, wird es wirtschaftlich schwierig: Die
       nächste Schließung könnte drohen. Die Belegungsquote wird in Hamburg erst
       seit Kurzem erfasst und kann immer nur einen (zufälligen) Status quo zu
       einem Zeitpunkt beleuchten. Doch auch im Vorjahr lag die Quote bei 87
       Prozent.
       
       Wie viele Menschen auf einen Pflegeplatz warten, weiß die Behörde nicht.
       Auch sonst werden statistische Zahlen dazu nicht erhoben. Ein Blick in die
       Praxis kann aber zumindest einen Eindruck verschaffen: „Letztes Jahr haben
       die Mitarbeiter eines Pflegeheims einen Tag lang eine Strichliste geführt“,
       erzählt Habscheidt. Das Ergebnis: 80 Anrufe gab es an jenem Tag, von
       Menschen die einen Platz für sich oder ihre Angehörigen suchen; kein
       einziger dieser Wünsche konnte von der Einrichtung erfüllt werden.
       
       Die Diakonie gehört zu den Anbietern, die im Verlaufe des letzten Jahres
       drei Einrichtungen geschlossen haben. Der Grund laut Sprecher Habscheidt
       auch hier: Weil nicht ausreichend Fachkräfte gefunden wurden und damit
       dauerhaft Stationen freistanden, lohnte sich der Betrieb nicht mehr. Das
       freigewordene Personal konnte in anderen Diakonieheimen Lücken stopfen und
       so wieder für mehr belegbare Betten sorgen, so bekam man auch viele
       Bewohner*innen noch in den eigenen Strukturen unter.
       
       Eines der aufgegebenen Diakonieheime wurde von der Stadt für ein spezielles
       Pflegeprojekt übernommen; zwei werden umgewandelt, in eine Art
       Service-Wohnen. Dort bekommen die Menschen eine Art Mietvertrag – und
       können dann entscheiden, ob sie irgendwelche ambulanten Leistungen
       dazubuchen. Der Vorteil für die Betreiber: Eine Fachkräftequote gibt es
       dort nicht.
       
       Heime haben weiterhin einen schlechten Ruf, [2][Service-Wohnen kommt sicher
       näher an das heran,] was viele Menschen sich für ihren Lebensabend
       vorstellen. Doch wer schwer pflegebedürftig ist, kann hier nicht betreut
       werden. Über 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden übrigens zu Hause
       gepflegt, meist von Angehörigen. Bis zu einem gewissen Grad geht das –
       unter Aufopferung. Für schwere Fälle aber heißt das laut Habscheidt: „Die
       führen da zu Hause eine Situation fort, die eigentlich nicht mehr gut ist.“
       
       Für die Heime der Diakonie gibt es eine Warteliste, Menschen bleiben ein
       halbes bis ein ganzes Jahr darauf. Dabei ist ihre Zeit naturgemäß begrenzt.
       Seit 2019 ist die Verweildauer in Pflegeheimen um drei Monate
       zurückgegangen. Im Bundesdurchschnitt liegt sie laut Angaben des
       Caritasverbandes bei rund 25 Monaten, über 30 Prozent der Pflegebedürftigen
       sterben bereits im ersten Jahr in der Einrichtung.
       
       ## Maßnahmen gegen die Personalnot
       
       Man versucht einiges gegen die Misere zu unternehmen: In Hamburg setzt man
       auf [3][einen Ausbildungsfonds für Pflegekräfte, der die Kosten der
       Ausbildung] von Ausbildungsbetrieben weg auf alle Einrichtungen verteilt.
       Auch einen Studiengang Pflege gibt es vielerorts mittlerweile, auch in
       Hamburg – zwei Maßnahmen, die auf mehr Nachwuchs hoffen lassen.
       
       Und: Im vergangenen Jahr hat die Stadt in Randzeiten eigenhändig die
       Fachkräftequote „flexibilisiert“ – in Heimen mit guter Pflegequalität kann
       künftig auch mit 40 statt 50 Prozent Fachkräften gearbeitet werden. Eine
       [4][Lösung, die selbst Kritik anzieht.]
       
       Auf einem guten Weg sieht sich die Stadt auch durch die [5][beschlossene
       Übernahme von „Pflegen und Wohnen“] zum Oktober hin, die Anfang des Jahres
       beschlossen wurde. „Pflegen und Wohnen“ ist der größte Pflegeanbieter in
       Hamburg; mit der Übernahme hofft man, die 2.338 Plätze dort dauerhaft zu
       erhalten. Der Bestandsschutz für die Immobilien endet 2026, theoretisch
       hätte Eigentümer Vonovia sie danach auch anderweitig vermieten oder
       verkaufen können.
       
       Das Grundproblem aber bleibt: Auch die Stadt muss als Betreiberin Personal
       finden. Und das bleibt rar, auch wenn mittlerweile flächendeckend nach
       Tarif gezahlt wird.
       
       30 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Pflegerinnenmangel-in-Heimen/!5700955
 (DIR) [2] /Seniorenwohnen/!5929280
 (DIR) [3] /Protest-gegen-Schulschliessung/!5702097
 (DIR) [4] /Fachkraeftequote-in-Hamburgs-Pflegeheimen/!6003272
 (DIR) [5] /Privatisierte-Pflegeheime-in-Hamburg/!6050155
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Pflege
 (DIR) Fachkräfte
 (DIR) Demografischer Wandel
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Demenz
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Pflegekräftemangel
 (DIR) Abschiebung
 (DIR) Pflege
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Demenz und plötzlich ist alles anders: Als das Lachen verstummte
       
       Unsere Autorin begleitet ihren demenzkranken Vater zwischen Pflegekrise,
       Sterbewunsch und der Frage, wie lang Abschiede sein können.
       
 (DIR) Leben mit Demenz: Gammeln kommt von Freude
       
       In der Gammeloase können die dementen Bewohner*innen ihre Tage
       weitgehend selbst gestalten. Routinen gibt es kaum. Wie klappt das?
       
 (DIR) Hamburgs Pflegekrise spitzt sich zu: Pflegeheime schließen, Personalnot bleibt
       
       In Hamburg schlossen 2024 sechs Heime, vier weitere folgen 2025. Als neue
       Eigentümerin des Trägers „Pflegen & Wohnen“ hat die Stadt wieder mehr
       Einfluss.
       
 (DIR) Abschiebung erstmal verhindert: Pflegeheim muss doch nicht schließen
       
       Ein Drittel der Belegschaft des „Haus Wilstedt“ sollte nach Kolumbien
       abgeschoben werden. Jetzt haben die Betreiber eine Lösung:
       Ausbildungsplätze.
       
 (DIR) Privatisierte Pflegeheime in Hamburg: Senat sondiert Möglichkeiten eines Rückkaufs
       
       Hamburgs rot-grüner Senat erwägt, die 2007 privatisierten Pflegeheime des
       Trägers „Pflegen und Wohnen“ zurückzukaufen. 2026 endet deren
       Bestandsschutz.