# taz.de -- Junge Inder in Deutschland: Das Geschäft mit den Studis
       
       > Ritik Yadav und Shivam Kumar kamen zum Studium an einer Privat-Uni nach
       > Deutschland. Jetzt arbeiten sie beim Lieferdienst und in der Gastro.
       
 (IMG) Bild: Ritik Yadav fühlt sich betrogen: Er wünschte sich eine gute Ausbildung, jetzt ist nicht mal klar, wie viel sein Abschluss wert ist
       
       Ritik Yadav sitzt im Sommer 2022 mit seiner Mutter in Kanpur im Nordosten
       von Indien vor dem Fernseher. Gemeinsam sehen sie sich einen Werbespot für
       Universitäten im Ausland an. Seine Mutter fragt ihn: „Wäre das nicht auch
       etwas für dich?“ Ritik Yadav ist zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt und hat
       einen Bachelor-Abschluss in Business Administration, aber er weiß nicht so
       recht, wie es für ihn weitergeht. Er hat zwar eine eigene kleine Firma
       aufgebaut, in der er Kurkuma verarbeitet und an Kosmetikhersteller
       verkauft, aber das läuft nicht so gut.
       
       Die wirtschaftliche Situation in Kanpur ist schwierig. Die Stadt, die einst
       ein Zentrum für Textilverarbeitung war, sei mittlerweile deindustrialisiert
       worden, viele gut bezahlte Jobs gebe es dort nicht mehr. Das alles erzählt
       der junge Inder an einem Tag im Januar in einem Café in der Nähe des
       S-Bahnhofs Lichtenberg in Berlin. Ritik Yadav ist ein ruhiger Mann, der
       leise und mit Bedacht spricht. Er heißt eigentlich anders. Um ihn vor
       möglichen Konsequenzen zu schützen, wird hier ein Pseudonym verwendet.
       
       An jenem Tag vor drei Jahren rief er zusammen mit seiner Mutter die
       Telefonnummer aus dem Werbespot an und vereinbarte einen Termin mit einem
       Berufsberater von Up-Grad, einem erfolgreichen indischen Start-up für
       Online- und Auslandsstudienvermittlung. „Er hat mir vorgeschlagen, dass ich
       einen Master in Internationalem Management in Berlin mache“, erzählt Yadav.
       Er habe zugesagt. Denn er und seine Familie hoffen, dass sich so sein Traum
       von einer Karriere und einem gut bezahlten Job erfüllt. Ein deutscher
       Masterabschluss könnte seine Chancen auf dem indischen Arbeitsmarkt
       erhöhen. Yadav wünscht sich aber eigentlich, in Europa leben und arbeiten
       zu können.
       
       Ritik Yadav ist nicht der einzige indische Student, der den Schritt nach
       Deutschland gewagt hat. Mittlerweile leben 43.000 indische Studierende
       hier. Damit stellen sie die größte Gruppe internationaler Studierender an
       deutschen Universitäten. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren
       mehr als verzehnfacht – kein anderes Herkunftsland hatte ein so starkes
       Plus. Seit dem [1][Migrationsabkommen zwischen Indien und Deutschland], das
       im März 2023 in Kraft trat, erleichtert Deutschland Inderinnen und Indern
       die Einreise.
       
       Die damalige [2][Bundesinnenministerin Nancy Faeser] warb in diesem Rahmen
       bereits 2022 dafür, dass Studierende aus Indien nach Deutschland kommen.
       Sie begrüßte das als wichtigen Schritt, um die hierzulande so dringend
       benötigten Fachkräfte ins Land zu holen. Denn die werden mittlerweile
       branchenübergreifend benötigt. In den Pflege- und Erziehungsberufen, der
       Bau- und IT-Wirtschaft sind die Lücken aktuell besonders groß.
       
       Faeser sagte damals: „Wir stellen die Weichen dafür, dass qualifizierte
       junge Inderinnen und Inder in Deutschland (…) studieren (…) können.“ Aber
       stimmt das wirklich? Hat sich Deutschland auf die Studierenden aus Indien
       und damit auf die potenziellen neuen Arbeitskräfte vorbereitet?
       
       Ritik Yadav jedenfalls wird nach seiner Ankunft zahlreiche Hürden und
       Enttäuschungen erleben. Das Studium wird anders verlaufen, als er es sich
       vorgestellt hat. Er wird von Wohnung zu Wohnung ziehen, Geldprobleme
       bekommen. Und er wird einer von den vielen indischen Kurierfahrern werden,
       die mittlerweile in Berlin das Stadtbild bestimmen. Sein Kommilitone Shivam
       Kumar hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch er, dessen Name aus denselben
       Gründen anonymisiert wurde, wird Teil dieser Geschichte sein. Sie steht
       exemplarisch für das Schicksal vieler indischer Studierender in
       Deutschland.
       
       Doch bevor es für Ritik Yadav nach Berlin geht, wird es noch ein ganzes
       Jahr dauern. Die ersten beiden Semester seines Masterstudiums bestehen nur
       aus Online-Seminaren, die er von der Wohnung seiner Eltern aus besucht. So
       sieht es das Studienmodell der [3][International University (IU)] mit
       Standort in Berlin vor. Das Studium ist eine große Investition für Yadav
       und seine Familie. Er hat Indien noch nicht verlassen, da hat er bereits
       über 22.000 Euro dafür ausgegeben.
       
       Rund 3.000 Euro kostet allein das erste Studienjahr, 18 Prozent
       Vermittlungsgebühr gehen einmalig an Up-Grad. Hinzu kommen 7.268 Euro
       Studiengebühren für ein weiteres Jahr an der IU und 354 Euro für das
       Flugticket nach Berlin. Obendrein 11.208 Euro, die er auf ein Sperrkonto
       überweisen muss. Dies ist im Rahmen eines Visumverfahrens für ausländische
       Studierende Pflicht, so das Auswärtige Amt auf seiner Website. In Indien
       hat Yadav deswegen einen Kredit von umgerechnet 17.700 Euro aufgenommen.
       Den Rest habe ihm sein Vater dazugegeben, erzählt er. „Meine Eltern wollen,
       dass ich ein gutes Leben habe. In Indien wird das schwer.“ Diese Schulden
       lasten auf Yadav.
       
       ## Das soll eine Hochschule sein?
       
       Im Oktober 2023 sei es für ihn dann endlich nach Berlin gegangen, berichtet
       Yadav weiter. Doch seine Studienzeit in der Hauptstadt verläuft anders, als
       er sich das erhofft hat. Yadav ist enttäuscht, als er das Gebäude seiner
       Hochschule zum ersten Mal betritt. „Das ist doch keine richtige Uni“, habe
       er gedacht.
       
       Die Internationale Hochschule IU ist mit 130.000 Studierenden die größte
       Hochschule Deutschlands und sie ist privat. Hierzulande hat sie neben
       Berlin noch 38 weitere Standorte und bietet darüber hinaus auch ein
       Fernstudium an. Gegründet wurde die IU 1998 in Bad Honnef in
       Nordrhein-Westfalen, mittlerweile ist der Firmenhauptsitz in Erfurt in
       Thüringen.
       
       Die Räume des Berliner Standorts befinden sich im Plaza-Gebäude, einer
       schmucklosen Mall, die Mitte der 1990er in der Frankfurter Allee in
       Berlin-Friedrichshain eröffnet wurde. Im Plaza hat die IU mehrere
       Büroetagen gemietet, in denen sich vor allem Seminarräume und Kaffeenischen
       befinden. Ansonsten gibt es im Gebäude einen asiatischen Imbiss, einen
       Supermarkt, eine Post, einen Zeitungskiosk und ein paar andere Geschäfte,
       aber nichts, was wirklich an einen Uni-Campus erinnert. Haben die Bilder in
       der Werbung, die er mit seiner Mutter im Fernsehen gesehen hat, etwas
       anderes suggeriert?
       
       Yadav sagt: ja. Die Enttäuschung ist ihm anzumerken. Aber ist er wirklich
       betrogen worden? Auf der Instagram-Seite von Up-Grad finden sich auch heute
       noch Videos, die das Studieren in Deutschland anpreisen: Karriereoptionen
       bei Firmen wie Siemens, BMW und „Volkswagon“ (sic), Musikfestivals,
       bayerische Volksfeste und Brezeln werden dort eingeblendet. Hinzu kommen
       Youtube-Videos, in denen es heißt: „Deutschland ist die Heimat der besten
       technischen Universitäten der Welt.“ In den Videos sieht man Ausschnitte
       von Berlin, die den Fernsehturm oder das Rote Rathaus zeigen, ohne sie
       einzuordnen.
       
       Die Räumlichkeiten der IU bleiben aber nicht die einzige Enttäuschung für
       Yadav. Die meisten seiner Studienkollegen kämen, genau wie er, aus
       Südasien, erzählt der junge Mann. Dabei sei er nach Deutschland gekommen,
       um die Kultur besser kennenzulernen und sich hier ein Leben aufzubauen, so
       wie die Werbung es versprochen hat. „Aber wie soll ich das machen, wenn
       meine Kommilitonen aus Indien, Bangladesch und Pakistan kommen? Wenn wir
       hier unter uns bleiben?“, fragt er. Yadavs Kurse sind in Englisch, ein
       Deutschkurs sei bislang nicht angeboten worden.
       
       Am Berliner IU-Standort kommen 40,6 Prozent aller Studierenden aus Indien
       und 36,9 Prozent aus Deutschland, so die Hochschule. In den Räumlichkeiten
       der IU ergibt sich ebenfalls ein gemischtes Bild: Man trifft hier auf viele
       Studierende aus Südasien, aber auch auf deutsche Studierende. Es entsteht
       jedoch der Eindruck, dass die Gruppen lieber unter sich bleiben. Zumindest
       auf den Fluren scheint es keinen großen Kontakt zwischen ihnen zu geben.
       
       Es wirkt, als habe sich die IU mit den indischen Studierenden ein neues
       Geschäftsfeld erschlossen. Ihre Zahl ist am Berliner Standort stark
       gestiegen: 2020 studierten dort nur 234 Inderinnen und Inder, heute sind es
       insgesamt 4.842 Inderinnen und Inder, inklusive derer, die die Onlinekurse
       besuchen und nicht in der Stadt sind.
       
       Aber auch die Studierenden in Berlin müssen Onlinekurse besuchen, berichtet
       Ritik Yadav. „Von den 18 Fächern, die ich belegt habe, fanden nur zwei auf
       dem Campus statt, alle anderen waren online.“ Seine Dozenten würden oft gar
       nicht in Berlin leben, sagt er. Kurse würden manchmal ausfallen, weil die
       Internetverbindung schlecht sei. Für einen Kurs habe es nicht mal einen
       Dozenten gegeben, nur Onlinevideos. Ein anderes Mal sei ihm ein Kurs
       zugeteilt worden, der gar nicht zu seinem Studium gehören würde. Die IU
       widerspricht: „Lediglich in Ausnahmefällen, aufgrund kurzfristiger
       Krankheit und ohne Möglichkeit eines Ersatztermins, werden einzelne
       Live-Tutorien online angeboten.“
       
       Das größte Problem für Ritik Yadav ist aber, dass er, im Gegensatz zu
       seinem ersten Studienjahr in Indien, keinen Ort hat, an dem er in Ruhe an
       den Onlinekursen teilnehmen kann. Die IU habe keine richtige Bibliothek und
       kaum Räumlichkeiten zum Lernen, die sie den Studierenden zur Verfügung
       stellt. Für Yadav ist das ein großes Problem, denn seine Wohnsituation ist
       von Anfang an schwierig.
       
       Er hatte bereits von Indien aus versucht, ein Zimmer oder eine Wohnung zu
       finden, ohne Erfolg, es gab kaum Auswahl, [4][die Mieten waren zu hoch],
       erzählt Ritik Yadav. In Berlin angekommen, ist die Situation nicht besser,
       aber die Zeit drängt. Innerhalb von zwei Wochen braucht er eine
       Meldeadresse, die er dem Einwohnermeldeamt mitteilen kann. Nur so kann er
       einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen. Die ersten Tage wohnt er in einem
       Hostel, dann geben ihm andere indische Studierende, die er dort trifft,
       eine Nummer von jemandem, der ihm ein möbliertes Zimmer vermitteln kann.
       Dort ruft Ritik Yadav an. „Er hat 1.000 Euro Vermittlungsgebühr, 1.200 Euro
       Kaution und 1.800 Euro Miete verlangt. Die sollten wir jeden Monat in bar
       bezahlen.“ Belege gibt es nicht.
       
       Die Wohnung von Bilal – ein Mann, von dem Ritik Yadav bis heute nur den
       Vornamen weiß – liegt in Moabit. Laut Yadav bietet Bilal in seinem
       Whatsapp-Status täglich mehrere solcher möblierten Apartments überall in
       Berlin an. Yadavs erste Wohnung ist klein, 40 Quadratmeter. Gemeinsam mit
       drei anderen indischen Studierenden mietet er sie an, sie teilen sich die
       Kosten. Zwei seiner Mitbewohner schlafen in der Wohnküche, Yadav und ein
       weiterer Mitbewohner teilen sich ein kleines Zimmer. „Es gab keinen Platz
       zum Aufhängen der Kleidung, ich musste den Koffer öffnen und meine Sachen
       herausnehmen und wieder hineinlegen. Niemand von uns hatte einen
       Schreibtisch zum Lernen.“ Also zieht Ritik Yadav damals mit seinem Laptop
       von Café zu Café, von öffentlicher Bibliothek zu öffentlicher Bibliothek,
       um seine Onlinekurse zu besuchen. Er wirkt müde und traurig, als er fragt:
       „Wie soll man unter diesen Bedingungen lernen?“
       
       Der Zustand der Wohnung sei ebenfalls schlecht gewesen. „Es war ständig
       etwas kaputt und der Vermieter hat sich nicht gekümmert.“ Ritik Yadav zeigt
       Bilder von verdreckten Rohren, von Schimmel, von renovierungsbedürftigen
       Räumen. Immer wieder wechselt er die Wohnung, insgesamt sieben Mal, seit er
       in Berlin angekommen ist. Und seine Wohnsituation bleibt schlecht. Mal
       mietet er bei privaten Vermietern, die die Miete bar einsammeln, erzählt
       er, mal wohnt er zur Untermiete, mal ist er der Hauptmieter, schließt einen
       Vertrag bei einer Wohnungsvermittlung für möbliertes Wohnen ab und
       vermietet unter. Er sucht seine Wohnungen im Internet, findet sie über
       andere indische Studierende und über eine Whatsapp-Gruppe.
       
       Die Gruppe hat knapp 800 Mitglieder, viele indische Namen finden sich dort.
       Angeboten werden Kurzzeitvermietungen für zwei, drei, vier Studierende pro
       Zimmer. Die Mieten liegen selten unter 600 Euro pro Mieter. Oft wird die
       Entfernung zur Internationalen Hochschule (IU) gleich mit angegeben.
       Mittlerweile wohnt Ritik Yadav in einem Studierendenwohnheim im Berliner
       Bezirk Marzahn. Er hat dort zum ersten Mal ein Zimmer für sich allein. „Ich
       habe Glück gehabt“, sagt er. Allerdings sei das Zimmer auch wieder nur
       befristet.
       
       Ritik Yadav und seinen Kommilitonen bleibt kaum etwas anderes übrig, als
       sich die teuren, möblierten Wohnungen zu teilen. „Die Studierenden aus
       Südasien suchen erst mal nur eine kurzfristige Bleibe. Sie wollen nur ein,
       zwei Jahre hier studieren und wissen nicht, wie es dann für sie
       weitergeht“, erklärt Aju John in einem Café in Berlin-Schöneberg. John war
       in Indien als Anwalt tätig, bevor er 2020 ebenfalls nach Deutschland kam.
       Derzeit forscht er für seine Doktorarbeit am Institut für Europäische
       Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin über indische Studierende
       aus Südasien. Deren Wohnsituation sei oft deshalb so schlecht, weil sie
       unter Zeitdruck stünden, sagt Aju John, und weil sie einen ausländischen
       Namen hätten, mit dem man häufig benachteiligt wird.
       
       Gleichzeitig wächst der Wohnungsmarkt für möbliertes Wohnen. In Berlin sei
       im Schnitt inzwischen bereits [5][jedes dritte Mietangebot eine möblierte
       Wohnung], heißt es beim Vermittlungsportal Immobilienscout 24, und für die
       gelten Regularien wie die Mietpreisbremse nicht. Im Durchschnitt werden
       möblierte Wohnungen in Berlin für 25,45 Euro pro Quadratmeter angeboten,
       unmöblierte Wohnungen liegen bei 15,74 Euro. So hat es die Investitionsbank
       Berlin 2024 ermittelt.
       
       Ritik Yadav bekommt aber noch ein weiteres Problem: Ihm geht das Geld aus.
       Sein monatliches Budget von 700 Euro reicht irgendwann nicht mehr. Im
       Dezember 2023 fängt er als Kurierfahrer bei einer Schnellrestaurantkette in
       Prenzlauer Berg an. Er ist jetzt einer der vielen Kurierfahrer aus
       Südasien. „Sie machen mittlerweile den Großteil der Beschäftigten der
       Lieferdienste aus“, sagt Aju John.
       
       Yadav berichtet, dass seine Arbeitstage oft von langen Wartezeiten geprägt
       gewesen seien. Er habe dann vor dem Laden gesessen und darauf gewartet,
       dass eine Bestellung reinkommt. Die zusätzlichen Stunden, die er damit auf
       der Arbeit verbracht hätte, habe er aber nicht entlohnt bekommen. Hinzu
       kam, dass er länger eingesetzt wurde, als es rechtlich zulässig ist. 20
       Stunden darf er wöchentlich arbeiten. Das regelt das
       Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Manchmal hätte aber schon ein einziger
       Arbeitstag 12 Stunden gedauert, sagt Ritik Yadav. Oft habe er Angst gehabt,
       dass er wegen der langen Schichten die Onlinekurse nicht besuchen kann,
       dass er sein Visum verliert.
       
       Im März 2023 habe er seinen ersten Job aber bereits wieder verloren. „Ich
       bin im Schnee ausgerutscht und habe mich verletzt“, erzählt Ritik Yadav. Er
       meldet sich krank – und wird entlassen. Bis heute habe er für die Zeit
       seiner Krankmeldung kein Gehalt bekommen.
       
       ## Ihre Notsituation wird ausgenutzt
       
       Auch mit dieser Erfahrung steht Yadav nicht allein da. „Die Studierenden
       aus Indien, Pakistan und Bangladesch müssen, nachdem sie hier angekommen
       sind, meist schnell Arbeit finden“, sagt Aju John. In Indien kläre sie
       niemand darüber auf, was für Kosten auf sie zukommen, wie ihre
       Lebenssituation hier sein wird. „Die Arbeitgeber nutzen aus, dass die
       internationalen Studierenden unter finanziellem Druck stehen.“ Das führe zu
       einer Machtasymmetrie: „Der Arbeitgeber ist in einer viel stärkeren
       Position als der indische Studierende, der seine Wohnung nicht verlieren
       darf, weil er dann Visa-Probleme bekommt.“ Die Studierenden aus Südasien
       würden aber nicht nur bei Lieferdiensten arbeiten, sagt John, sondern auch
       in Gastroküchen, in Logistikzentren oder als Paketauslieferer.
       Entscheidend für ihre Anstellung sei meist nur, dass sie Englisch sprechen.
       Aber gerade diese Sprachbarriere und die Unkenntnis über ihre Arbeitsrechte
       machten sie anfällig für Ausbeutung.
       
       „Was diese Branchen gemeinsam haben, sind die Probleme, die die
       Beschäftigten damit haben, ihre Arbeitsrechte durchzusetzen“, sagt
       Ver.di-Pressesprecher Kalle Kunkel. Es gebe nur selten Betriebsräte, fast
       nie Tarifverträge, stattdessen viele kurzfristige Verträge, mehrsprachige
       Belegschaften und Beschäftigte, die Angst vor den Arbeitgebern hätten. Dies
       sei auch eine Herausforderung für die Gewerkschaft.
       
       Lange Arbeitszeiten, Wohnungs- und Jobwechsel, kaum Privatsphäre,
       Onlinekurse, ein fremdes Land – all das hält Ritik Yadav nicht vom
       Studieren ab. Im Winter 2024 habe er alle notwendigen Kurse abgeschlossen,
       sagt er, aber im März 2025 in drei Fächern immer noch auf seine Noten
       gewartet. Er habe mehrfach versucht, die IU zu kontaktieren, sowohl per
       E-Mail als auch telefonisch, allerdings ohne Erfolg. Es habe dann acht
       Monate gedauert, bis er in einem Fach seine Noten bekommen habe. Die
       Studiengebühren habe er zunächst weiterzahlen müssen. Auch andere indische
       Studierende der IU berichten von langen Wartezeiten auf E-Mails, wenn sie
       Probleme mit ihrem Studium hatten. Die IU widerspricht: „Die übliche
       Reaktionszeit bei schriftlichen Anfragen liegt bei wenigen Tagen, aber
       nicht mehreren Wochen.“
       
       Anfang des Jahres spitzt sich die Lage für viele indische IU-Studierende
       dann aber noch mal dramatisch zu, als das [6][Berliner Landesamt für
       Einwanderung (LEA)] mehrere Anträge auf Visa-Verlängerung ablehnt. Einer
       von ihnen ist Shivam Kumar. Sein Antrag ist am 18. März 2025 abgelehnt
       worden. Die Begründung: Aus seinen Studienbescheinigungen würde nicht
       ersichtlich, dass er ein Präsenzstudium bestreitet. „Es ist durchaus
       möglich, dass Sie (…) ein Fernstudium absolvieren“, heißt es dort.
       Eigentlich sollte die Verlängerung reine Routine sein, so dachte er
       zumindest.
       
       Shivam Kumar ist 30 Jahre alt und genau wie Ritik Yadav über die
       Vermittlung von Up-Grad an die Berliner IU gekommen. Bevor er nach
       Deutschland gezogen ist, hat er in Indien bereits fünf Jahre in der
       IT-Branche und sieben Jahre als Kampfpilot in der indischen Luftwaffe
       gearbeitet, erzählt er. Auch er wohnt in Berlin in einer engen Wohnung, er
       arbeitet in der Gastro. Als er den Brief bekommt, in dem steht, dass sein
       Visum nicht verlängert wird und er Deutschland verlassen soll, hat er nur
       noch ein halbes Jahr bis zum Masterabschluss vor sich. Im Gegensatz zu
       Yadav habe er die meiste Zeit am Campus studiert, sagt Kumar. Sein Vertrag
       weist ein Präsenzstudium aus.
       
       Seit der Ablehnung des LEA ist die Situation für ihn und 450 seiner
       Kommilitonen – so viele Studierende sind laut IU ebenfalls betroffen –
       unübersichtlich. „Wir haben der Uni mehrmals geschrieben, wir haben dem LEA
       geschrieben, aber von beiden mehrere Wochen nichts gehört.“
       
       Shivam Kumar ist zu diesem Zeitpunkt wütend. Er überlegt mit anderen
       Betroffenen, einen Protest zu organisieren. „Aber wir wollen auch nicht als
       Ruhestörer gelten. Wir wollen schließlich hier bleiben und
       weiterstudieren.“
       
       Warum hat das Landesamt für Einwanderung die Visa-Anträge überhaupt
       überprüft? Warum hat es die Visa erst bewilligt und später widerrufen? Ein
       Sprecher des Landesamtes für Einwanderung bestätigt auf Anfrage der taz
       lediglich, „dass das LEA regelmäßig im Zusammenhang mit Anträgen auf
       Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen (…) prüft, ob die allgemeinen und
       besonderen gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen“ vorlägen.
       Migrationsanwalt Stanislaw Stroh, der Kontakt zu den Studierenden hat,
       argumentiert im Telefongespräch mit der taz, dass das Landesamt für
       Einwanderung mit den Ablehnungen formal juristisch sogar richtig handele:
       „Sobald ein Studium im Fernstudium absolviert werden kann, gibt es keinen
       Bedarf für einen langfristigen Aufenthalt in Deutschland.“ Dies sei ein
       Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz.
       
       Das erklärt aber nicht, warum das LEA die Visa-Anträge der indischen
       Studierenden vor ihrer Einreise nach Deutschland genehmigte und warum es
       jetzt plötzlich ein Problem darin sieht. Hat das LEA mitbekommen, dass die
       IU eventuell mehr Kurse online als in Präsenz anbietet? Eine Vermutung, die
       sich nicht beweisen lässt.
       
       Die IU sucht im Hintergrund ihrerseits den Kontakt zum Landesamt für
       Einwanderung. Bereits am 6. März 2025 hatte sich die „Prorektorin
       Internationales“ der IU, Regina Cordes, in einem Brief an das LEA gewandt,
       der der taz vorliegt. Ein Sprecher der Hochschule gibt an, die IU habe
       „sofort reagiert und das Gespräch mit dem LEA gesucht, um gemeinsam eine
       Lösung im Sinne der Studierenden zu finden“. Allerdings würde die neue, mit
       dem LEA abgestimmte Studienordnung erst ab Herbst gelten: „Damit sind alle
       internationalen Studierenden der IU in Berlin ab Oktober 2025 von der
       geänderten Visavergabe des LEA nicht mehr betroffen“, so die IU. Ab Oktober
       2025 wird das Blended-Learning-Programm der IU mit der Mischung aus Online-
       und Präsenzlehre wohl zu einem reinen Präsenzstudium.
       
       Für Shivam Kumar und seine 450 ebenfalls von den Visa-Ablehnungen
       betroffenen Mitstudierenden könnte diese Änderung aber zu spät kommen. Sie
       müssten sich dann wohl erneut auf ein Studium bewerben, vielleicht auch die
       Studiengebühren erneut bezahlen. Wie hilft die IU den Studierenden, die
       jetzt aktuell von den Ablehnungen betroffen sind und Angst haben? Die IU
       gibt an, dass sie eine Taskforce zur Beratung der Studierenden eingerichtet
       habe, außerdem habe es Informationsveranstaltungen gegeben und bis zur
       Einigung mit dem LEA am 25. Mai 2025 auch juristischen Beistand für die
       Studierenden.
       
       Kumar schildert das anders: Es gebe zwar Beratung, aber kaum konkrete
       Hilfe. Die Studierenden würden Standardantworten erhalten, er fühle sich
       vertröstet. Die Verunsicherung sei allgemein groß unter den indischen
       Studierenden am Berliner IU-Standort. „Es kursieren viele Gerüchte“, sagt
       er.
       
       Mittlerweile hat Kumar vom LEA eine Fiktionsbescheinigung bekommen, eine
       Art Übergangsvisum. Ein weiterer Termin mit dem Amt findet erst nach
       Redaktionsschluss statt. Kumar macht sich große Sorgen: Was, wenn all die
       Zeit und vor allem das viele Geld, das er investiert hat, umsonst waren?
       Völlig offen sei, ob er seine Studiengebühren zurückbekommen würde, wenn er
       nach Indien ausreisen müsste. „Allen Studierenden im Blended-Studienformat
       wurde bereits versichert, dass sie auf jeden Fall online weiterstudieren
       können, falls es in Zukunft zu einer finalen Ablehnung kommen sollte“,
       antwortet die IU auf diese Frage.
       
       Kein Wort zu möglichen Erstattungen. Immerhin hat Shivam Kumar im Voraus
       Studiengebühren für ein Studium vor Ort in Berlin bezahlt – nicht für ein
       reines Fernstudium, das günstiger gewesen wäre. Für die IU geht ab dem
       Wintersemester 2025 das Geschäft mit den Studiengängen für indische
       Studierende also weiter. Kumar und seine Kommilitonen hängen aber weiter in
       der Luft.
       
       Migrationsanwalt Stroh sagt, es gebe auch noch eine andere Möglichkeit für
       sie. Da es sich bei diesen Vorgängen um einen Präzedenzfall handele, es zu
       diesem Fall also bisher keine Rechtsprechung und keine juristischen
       Kommentare gebe, rät er den indischen Studierenden, sich einen Anwalt zu
       nehmen. „Das lohnt sich unbedingt, wenn sie in Deutschland bleiben wollen.“
       Shivam Kumar sagt, er könne sich keinen Anwalt für so einen Prozess
       leisten. Er will stattdessen schnell seinen Abschluss machen. „Vielleicht
       kann ich dann einen Job finden und mich auf ein Arbeitsvisum bewerben, wenn
       mein Studentenvisum abgelehnt wird.“
       
       Ob der Abschluss von der IU aber so viel auf dem Arbeitsmarkt wert ist, wie
       Yadav und Kumar hoffen, ist fraglich. Der Hessische Rundfunk (HR)
       berichtete im Oktober 2024 über eine ehemalige Studentin, die in Frankfurt
       die IU verklagt hat. Das duale Bachelor-Studium Architektur an der IU
       entspräche nicht den Anforderungen, um sich überhaupt Architektin nennen zu
       dürfen. Auch diese Studentin hatte viel Geld in ein Studium investiert. Der
       HR berichtete weiter, dass in Frankfurt weitere sieben Fälle verhandelt
       werden, in denen Studierende eine finanzielle Entschädigung von der IU
       fordern. In Düsseldorf liefen zudem fünf solcher Verfahren, in München
       sechs, in Stuttgart eins; allein in Erfurt würden 30 Parteien klagen.
       
       Mittlerweile warnen sich Inderinnen und Inder auch auf
       Social-Media-Plattformen davor, ein Studium an der Berliner IU zu beginnen.
       „Avoid this university in Germany“, rät der Account „Mylingual_Visa“ seinen
       Followern. Auch der Youtube-Account „Rare Overseas Education“ weist
       indische Studierende darauf hin, dass es in Berlin Probleme mit den
       Visa-Verlängerungen der Studierenden der IU gegeben habe.
       
       ## Sie sollen kommen, aber Hilfe gibt es nicht
       
       Sollte mit dem Anwerben der indischen Studierenden nicht auch eine
       Verantwortung des Bundesinnenministeriums (BMI) einhergehen? Ein Sprecher
       des Ministeriums antwortet auf Anfrage der taz jedoch, dass das
       Migrationsabkommen zwischen Indien und Deutschland die Bundesregierung
       nicht dazu verpflichte, „Schritte zu unternehmen, um indischen Studierenden
       dabei zu helfen, die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zur
       Erwerbstätigkeit zu schaffen“.
       
       Am ursprünglichen Ziel, mehr ausländische Studierende nach Deutschland zu
       holen, halte man aber fest: „Gleichwohl ist die Erhöhung der Zahl
       ausländischer Studierender (…) ein Ziel der Bundesregierung.“ Der Sprecher
       erklärt allerdings auch, dass das BMI für die Umsetzung dieser Maßnahmen
       nicht zuständig sei und verweist auf andere Ministerien.
       
       Aber müsste Deutschland nicht wenigstens sicherstellen, dass die Visa der
       potenziellen Fachkräfte verlängert werden? Nein, sagt das BMI: „Für die
       Prüfung, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines
       Aufenthaltstitels vorliegen, sind die nach Landesrecht zuständigen Behörden
       verantwortlich.“
       
       Die IU und Up-Grad haben mit dem Migrationsabkommen jedenfalls eine
       lukrative Geschäftslücke für sich entdeckt und profitieren davon, dass die
       indischen Studierenden bereit sind, viel Geld zu investieren, um ihre
       Position auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ritik Yadav, Shivam Kumar und
       ihre Kommilitonen sind derweil in Deutschland weiter auf sich allein
       gestellt und haben Angst davor, dass sie bald wieder ausreisen müssen.
       
       Währenddessen liefern sie Essen aus, ziehen von Wohnung zu Wohnung und
       versuchen, zwischendurch auch noch gute Noten zu schreiben. Kein Wunder
       also, dass Ritik Yadav enttäuscht von Deutschland ist: „Wir kommen hierher,
       um zu studieren und einen guten Job zu finden. Dafür verschulden wir uns,
       aber am Ende arbeiten wir hier als Kurierfahrer und man behandelt uns wie
       Sklaven.“
       
       1 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/12/abkommen-indien.html
 (DIR) [2] /Nancy-Faeser/!t5582481
 (DIR) [3] https://www.iu.de/en/
 (DIR) [4] /Mieten/!t5007873
 (DIR) [5] https://www.immobilienscout24.de/unternehmen/news-medien/news/default-title/wie-moebel-die-mietpreisbremse-aushebeln/
 (DIR) [6] https://www.berlin.de/einwanderung/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Scholz
       
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