# taz.de -- Krise der Entwicklungszusammenarbeit: Senegal allein gelassen
       
       > Im Senegal spürt man, was die Auflösung von USAID bedeutet. Sie trifft
       > die Marginalisierten, langfristig könnte das ganze Gesundheitssystem
       > wanken.
       
 (IMG) Bild: Madame Ndiaye kümmert sich im senegalesischen Matam um junge Mutter und Schwangere, unterstützt durch Entwicklungsgelder
       
       Dakar taz | Erreichbar ist er fast rund um die Uhr. „Mein Handy ist
       eigentlich immer auf laut“, sagt Mamadou, der in Wirklichkeit anders heißt.
       „Dann kann ich sofort reagieren, wenn etwas ist.“ Angerufen wird er von
       Menschen, die medizinische Hilfe und Unterstützung brauchen. Mamadou ist
       médiateur en santé – Gesundheitsvermittler. In Senegals Hauptstadt Dakar
       hilft er denen, die keinen oder nur schwierigen Zugang zur medizinischen
       Versorgung haben. Sei es aus finanziellen Gründen, aus Scham oder wegen
       Stigmatisierung.
       
       „Es geht bei unserer Arbeit vor allem darum, vulnerable Gruppen zu
       unterstützen und aufzuklären“, sagt er. Dazu gehören ungewollt schwangere,
       alleinstehende junge Frauen oder HIV-Infizierte. „Was die Gruppen eint, ist
       das gesellschaftliche Stigma. Der Zugang zu Gesundheitsdiensten kann für
       diese Menschen sehr kompliziert sein“, erzählt Mamadou. Und auch für ihn
       birgt die Arbeit mit vulnerablen Gruppen das Risiko, stigmatisiert zu
       werden, deshalb bevorzugt er es, anonym zu bleiben.
       
       Das senegalesische Gesundheitssystem gilt zwar im regionalen Vergleich als
       relativ gut ausgebaut, leidet aber unter chronischer Unterfinanzierung. In
       vielen öffentlichen Kliniken fehlt es an Personal, Ausstattung oder
       Medikamenten. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen stellt selbst
       die Grundversorgung eine große finanzielle Hürde wegen der Arztkosten, der
       Anreise oder der Medikamentenpreise dar.
       
       Zwar gibt es staatliche Programme für Mütter und Kinder oder chronisch
       Kranke, doch nicht alle profitieren davon. Viele suchen sich notgedrungen
       erst Hilfe, wenn es nicht mehr anders geht. Ein Beispiel dafür ist der
       Umgang mit HIV. Zwar hat Senegal im Vergleich zu anderen Ländern der Region
       eine relativ niedrige Infektionsrate, doch das gesellschaftliche Klima ist
       von Stigmatisierung geprägt. Wer HIV-positiv ist, muss oft mit
       Diskriminierung im sozialen Umfeld, in der Familie und sogar im
       Gesundheitssystem rechnen. Die Folge: Viele Betroffene vermeiden Tests oder
       nehmen keine Medikamente, obwohl gerade eine frühe Diagnose und konsequente
       Behandlung entscheidend wären.
       
       ## Mit sofortiger Wirkung eingestellt
       
       Es gibt zwar Therapien, die durchaus von Senegals Regierung finanziell
       unterstützt werden, doch die Tests, die drumherum anfallen, sind
       kostenpflichtig. Für viele – aber insbesondere für Menschen aus
       marginalisierten Gruppen – ist das eine große Barriere. „Es passiert immer
       wieder, dass ich Geld aus meiner eigenen Tasche für Behandlungen oder Tests
       da zuschieße“, sagt Mamadou. Entlohnt wird seine Arbeit mit Zuschüssen bei
       den Telefon- oder Transportkosten. Und das ohnehin knapp bemessene Geld ist
       in den letzten Monaten noch knapper geworden.
       
       „Die Kürzungen durch USAID haben wir stark zu spüren bekommen“, sagt auch
       Adama Gueye. „Allein in dem Gesundheitszentrum, in dem ich arbeite,
       betreuen wir mehr als 700 Menschen, die mit HIV leben“, erzählt sie. Ohne
       finanzielle Mittel sei es schwer, die schnelle und unbürokratische Hilfe zu
       leisten, die sonst das Aushängeschild der Vermittler gewesen sei. „Momentan
       pausieren zum Beispiel die Aktivitäten zur Sensibilisierung der
       Schlüsselpopulationen“, berichtet sie. Es geht dabei um Menschen, die ein
       höheres Risiko für eine HIV-Infektion haben.
       
       Die [1][Budgetkürzungen der US-Entwicklungsagentur USAID] treffen nicht nur
       einzelne Gesundheitszentren, sondern gefährden landesweit bewährte
       Unterstützungsstrukturen. Über Jahre [2][hatte die US-Regierung Programme
       finanziert, die unter anderem gezielt HIV-Aufklärung betrieben] und
       marginalisierte Gruppen mit medizinischer Grundversorgung erreichten – so
       wie die Gesundheitsvermittler. Mit dem Rückzug eines der wichtigsten
       Geldgeber droht nun ein Rückschritt im gesamten Gesundheitssektor in
       Senegal, ist sich eine ehemalige USAID-Mitarbeiterin sicher. Denn mit der
       Auflösung der US-Entwicklungsagentur Anfang Februar sind auch in Senegal
       fast alle Projekte mit sofortiger Wirkung eingestellt worden: Malarianetze
       werden nicht mehr ausgeteilt, Finanzierungsprogramme für Medikamente sind
       ebenso eingestellt wie HIV-Aufklärungskampagnen, um nur ein paar Punkte zu
       nennen.
       
       Die Auswirkungen gehen noch über den unmittelbaren Wegfall von
       Hilfeleistungen hinaus. Weniger im Fokus der Aufmerksamkeit, aber nicht
       minder entscheidend sind die Beiträge zur strukturellen Stärkung, die nun
       plötzlich wegfallen. In den vergangenen Jahren habe USAID maßgeblich zum
       Aufbau und zur Stärkung des senegalesischen Gesundheitssystems beigetragen,
       berichtet die frühere Mitarbeiterin, die namentlich nicht genannt werden
       möchte. Auch sie erhielt Anfang Februar kurzfristig die Kündigung.
       
       ## Gesundheit ist politisch nicht „sexy“
       
       Die Unterstützung in Senegal habe sich in großen Teilen auf die
       Systemstärkung konzentriert, etwa durch die Finanzierung regionaler
       Gesundheitsbehörden, den Aufbau von Verwaltungskapazitäten, die Ausbildung
       von Gesundheitspersonal oder die Verbesserung von Informationssystemen.
       Dadurch sollte das bestehende System befähigt werden, eigenständig auf die
       Gesundheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu reagieren. Diese Fortschritte
       seien nun in Gefahr, Bereiche wie die Kinderernährung, Impfraten oder die
       Müttergesundheit hätten sich bereits verschlechtert. „Die Kombination aus
       dem Rückzug von USAID und der angespannten Finanzlage könnte das
       Gesundheitssystem ernsthaft gefährden“, sagt sie mit Blick auf die
       langfristigen Folgen.
       
       Nach der Aufdeckung von etlichen aufsehenerregenden
       [3][Hinterziehungsskandalen] ist Senegals Staatshaushalt momentan in einem
       desolaten Zustand. So bestätigte der Internationale Währungsfonds (IWF) im
       März, dass rund 7 Milliarden US-Dollar an Staatsschulden gar nicht in
       offiziellen Haushaltszahlen ausgewiesen worden waren, um die Finanzlage
       besser aussehen zu lassen und bessere Konditionen für Kredite zu bekommen.
       Das Haushaltsdefizit für 2023, das ursprünglich mit 4,9 Prozent des BIP
       angegeben wurde, lag demnach in Wirklichkeit bei rund 12 Prozent, die
       Staatsverschuldung beträgt 99,67 statt 76 Prozent des BIP.
       
       Infolge der Enthüllungen setzte der IWF sein Kreditprogramm in Höhe von 1,8
       Milliarden US-Dollar aus, forderte umfassende Reformen sowie eine
       vollständige Offenlegung der tatsächlichen Schulden. Entsprechend fehlt es
       finanziell an allen Ecken und Enden. Ganz zu schweigen von der Schließung
       neu entstandener Lücken: „Ich befürchte, dass es den Gesundheitssektor
       besonders hart treffen wird“, sagt die ehemalige Mitarbeiterin. „Obwohl der
       Sektor so wichtig ist für Fortschritt und Entwicklung, gilt er nicht als
       politisch sexy. Diese Kürzungen und Diskussionen über die Finanzierung
       und die Zukunft der Entwicklungsarbeit betreffen echte Menschen, auf die es
       unmittelbare Auswirkungen geben wird. Kinder, schwangere Frauen,
       HIV-Infizierte – sie können sich keine monatelangen oder jahrelangen
       strategischen Diskussionen leisten. Sie brauchen jetzt Dienstleistungen.“
       
       Stattdessen aber müssen vor allem die Länder des Globalen Südens künftig
       mit noch weniger Geld nicht nur langfristige Entwicklung finanzieren,
       sondern auch akute Krisen bewältigen. Und das, obwohl viele Länder ohnehin
       schon mehr Geld für Schuldendienste – also Zins- und Tilgungszahlungen –
       ausgeben als für Gesundheit oder Bildung.
       
       Während der Rückzug internationaler Geber wie USAID bereits heute
       Versorgungslücken schafft, stehen weitere Einschnitte erst noch bevor.
       Neben den USA sind auch Deutschland, Großbritannien und Frankreich dabei,
       ihre Entwicklungsfinanzierung drastisch zu reduzieren. Experten sehen darin
       auch das Risiko für Staaten, in der Abwärtsspirale von Armut und
       Verschuldung gefangen zu bleiben.
       
       Für Mamadou und seine Kolleginnen und Kollegen hat dies konkrete Folgen.
       Seit knapp vier Jahren ist Mamadou Gesundheitsvermittler, er hat sich ein
       großes Netzwerk aufgebaut. „In dem Job kommt es darauf an, dass die
       Menschen dir vertrauen“, sagt er. Doch um vor allem vulnerablen Gruppen den
       Zugang zur Gesundheitsversorgung überhaupt ermöglichen zu können, braucht
       es neben persönlichen Beziehungen finanzielle Mittel und Kontinuität.
       
       30 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helena Kreiensiek
       
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