# taz.de -- LGBTIQ+ in der Ukraine: Unter Beschuss von außen und innen
       
       > Nicht nur Russlands Angriffe gefährden die Kyjiwer Regenbogen-Gemeinde,
       > sondern auch Queerfeindlichkeit innerhalb der geschundenen Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: Auch Queers kämpfen an der Front: Ein Soldat läuft bei der Kyjiv Pride am 14. Juni 2025 mit
       
       Kyjiw taz | An einem grauen Kyjiwer Samstagmorgen werden die Zahlenfolgen
       5488 und 9103 zu Sprechchören. Sie beziffern Gesetzentwürfe, für die in der
       Ukraine demonstriert wird: gegen Hassverbrechen und für eine eheähnliche
       Partnerschaft für queere Paare.
       
       Eingeklemmt zwischen Polizeiautos und Gefangenentransportern und umringt
       von Hunderten Polizisten versammeln sich an einem Vormittag Mitte Juni mehr
       als 1.000 Menschen auf der Kreuzung über der U-Bahn-Station „Teatralna“.
       Ein Banner begrüßt die bunte Menge mit dem diesjährigen Motto der
       Pride-Parade „Einheit durch Vielfalt“. In wenigen Minuten formieren sich
       Blöcke. Die Organisator:innen und der Verein LGBTQ military führen
       den Marsch für queere Gleichberechtigung an.
       
       Dass Militärs die Queers unterstützen, ist für die Bewegung im Krieg
       besonders wichtig. Nach Russlands Invasion 2022 hatte sie schnell viel
       Zuspruch erfahren. Dass auch lesbische, schwule, bisexuelle und trans
       Personen in den Reihen der Armee gegen den Aggressor kämpfen, hatte
       beispielsweise einer Petition für die Ehe für alle überraschend Millionen
       von Unterstützungsunterschriften gebracht.
       
       Der Umzug ist laut und politisch. Wechselnde Sprechchöre fordern
       Gleichbehandlung und Sicherheit für LGBTQ+ im Allgemeinen sowie gleiche
       Rechte für queere Soldat:innen im Besonderen. Denn wer unverheiratet
       seine:n Partner:in im Krieg verliert, hat bis jetzt keinerlei Recht auf
       Informationen, Beerdigung und Entschädigungszahlungen. Doch die Ehe steht
       als „freiwillige Verbindung von Mann und Frau“ in Artikel 51 der
       ukrainischen Verfassung, und die kann während des Kriegszustandes nicht
       verändert werden. Also bleibt eine zivile Partnerschaft, ein Gesetzentwurf
       dafür liegt seit 2023 vor.
       
       ## Schwierige Absprachen mit der Polizei
       
       Dass die Parade in Kyjiw stattfinden kann, ist keine
       Selbstverständlichkeit. Die Organisator:innen erleben heftigen
       Widerstand. Nicht nur wegen der seit Monaten zahlenmäßig zunehmenden
       russischen Luftangriffe mit Drohnen und Raketen. Sondern auch wegen der
       brutal auftretenden Pride-Gegner, mobilisiert von der
       nationalistisch-christlichen, wegen früherer prorussischer Umtriebe
       umstrittenen Partei Bratstwo, Bruderschaft, unter Dmytro Kortschynsky sowie
       der „Prawa Molod“, der Jugendorganisation des extremistischen „Rechten
       Sektor“. Offiziell positionieren diese sich für „Familie und traditionelle
       Werte“ und drohen damit, dass die Ukraine wegen LGBTQ+-Events keine
       militärische Unterstützung mehr von Trumps republikanischer US-Regierung
       bekommen könnte. Kortschynsky behauptet in einem Video gar, die Queers
       seien von Russlands Geheimdienst bezahlt.
       
       Polizei und Militärverwaltung der Hauptstadt beriefen sich auf
       Sicherheitsbedenken, bauten Druck auf und drängten zur Absage der
       Veranstaltungen, erklärt Projektmanager Mychajlo Jurow von KyjiwPride. „Die
       Absprachen mit der Polizei im Vorhinein sind immer sehr schwierig. Während
       der Veranstaltung dagegen verhalten sich die Beamt:innen sehr gut und
       freundlich, einige sagten diesmal zu uns: ‚Wir schützen hier die
       Menschenrechte.‘“
       
       Eine Woche vor der Pride-Demo hatte bereits die Kulturveranstaltung
       KyjiwPride Park starkem Druck standhalten müssen. Geplant war ursprünglich
       ein Event mit Diskussionen, Infoständen, Kreativecken und Konzerten in
       einem Pavillon des glamourösen Messegeländes WDNH. Doch zwei Tage vorher
       meldete die Polizei, es sei ein Terroranschlag angedroht worden. Wenn das
       WDNH auf die Veranstaltung bestehe, müsse die Polizei sämtliche Ein- und
       Ausgänge für jenen warmen Juni-Samstag absichern. Das Messegelände knickte
       ein, KyjiwPride Park stand kurz vor der Absage.
       
       Bis sich überraschend das ukrainische Außenministerium bereit erklärte,
       seinen Hof − malerisch und zentral gelegen − zur Verfügung zu stellen. Das
       Programm fand zwar um Stände und Konzerte gekürzt statt. Trotz Drohungen,
       Hitze, Ortswechsel und heftigster russischer Nachtbeschüsse kamen dennoch
       rund 1.200 Menschen, um über queere Rechte, EU-Integration und russische
       Desinformation zu diskutieren. Dabei sammelte KyjiwPride 140.000 Hrywnja
       für die Armee ein.
       
       ## Auch queere Menschen kämpfen an der Front
       
       Auch gegen Pride Park protestierten Rechtsnationale: Die Aggressivsten nahm
       die Polizei vor Veranstaltungsbeginn fest, übrig blieben einige Dutzend
       Jugendliche der Prawa Molod, die den Queers zubrüllten: „Kraft der
       Tradition, Gräber den Schwuchteln“ und „Wir sorgen für Ordnung.“
       
       Seitdem der Gesetzentwurf für die zivile Partnerschaft eingebracht wurde,
       stagniert die Initiative. „Momentan scheint es realistischer, dass wir
       zuerst ein Gesetz gegen Hassverbrechen durchbekommen“, erklärt Mychajlo
       Jurow von KyjiwPride. Darum konzentriere man sich in der politischen Arbeit
       aktuell darauf. Auf den Pride-Events bleibt die zivile Partnerschaft aber
       ein Kernanliegen der Community: „Mein Partner kämpft an der Front“, wendet
       sich ein junger Mann an die Sprecher der Pride-Park-Diskussion zum Thema
       [1][Queers und Armee]. „Er könnte jeden Tag sterben. Wann bekomme ich
       endlich mein Recht, ihn im Ernstfall begraben zu dürfen?“
       
       [2][Leicht haben es die Queers nicht]: Einerseits liegt der
       gesellschaftliche Fokus in der Ukraine auf der Unterstützung der Armee,
       damit diese möglichst erfolgreich die vorrückenden russischen Truppen im
       Osten des Landes abwehren und die Zivilbevölkerung vor Russlands massiven
       Luftangriffswellen mit regelmäßig Hunderten Kamikaze-Drohnen schützen kann.
       Gleichzeitig kämpft die Zivilgesellschaft für Verbesserungen für
       Veteran:innen, Kinder und Jugendliche, Frauen und Mädchen, Queers,
       Minderheiten. Und das unter anhaltenden russischen
       Desinformationskampagnen, die die Gesellschaft an strittigen, emotionalen
       Themen spalten und ermüden wollen.
       
       „Homophobie ist noch immer weit verbreitet in der Gesellschaft“, räumt auch
       Mychajlo Jurow von KyjiwPride ein. „Wir sehen das an den Gegenprotesten
       oder auch daran, wenn manche Brigaden unsere gesammelten Spendengelder
       nicht annehmen wollen.“ Trotzdem zeigt er sich zuversichtlich: Trotz aller
       Rückschritte in Menschenrechtsfragen, die man aktuell ja auch in
       westeuropäischen Gesellschaften sehe, schaut er zuversichtlich auf die
       nächsten Jahrzehnte. „Langfristig gesehen, denke ich, alles wird gut.“
       
       ## Nazisymbolik und Queerhass im Stadtzentrum
       
       Mit der KyjiwPride 2025 sind Jurow und seine Mitstreitenden jedenfalls
       zufrieden: Die Aktion war dreimal größer und länger als 2024. Nach gut 45
       Minuten und etwa 300 Metern Demostrecke begleitet die Polizei sämtliche
       Teilnehmende freundlich, aber bestimmt in die für das Event gesperrte
       U-Bahn-Station. Spätestens dort sollen alle ihre Plakate und Fahnen
       einpacken, Regenbögen und LGBTQ+-Symbolik verstecken, und mindestens eine
       Station wegfahren.
       
       Denn nahezu zeitgleich starten etwa 500 Meter entfernt die rund 200
       protestierenden Gegner in Richtung Pride-Treffpunkt. Mit Klatschchören,
       Fahnenstöcken aus Holz, Handschuhen, Skimasken und martialischem Auftreten.
       Die Queers bekommen sie nicht mehr zu fassen, dafür sorgt das große
       Polizeiaufgebot. Einige Beamte tragen „Tolerance“-Pins an der Kleidung.
       
       Die Rechten können dennoch mit Nazi-Symbolik und Queerhass durchs
       Stadtzentrum demonstrieren. Niemand bedroht deren Veranstaltungen mit
       Anschlägen, also muss die Polizei sie nicht besonders schützen. Ihr Zug
       endet auf dem Maidan. Neben den Gedenkfähnchen für die Gefallenen des
       Krieges singen sie die ukrainische Hymne. In der Medienberichterstattung
       überwiegt zwar im Nachhinein die Pride, doch das Straßenbild bestimmten die
       Rechtsextremen.
       
       Den Lautsprecherwagen der Rechten sieht man zwei Stunden später wieder auf
       der Straße: Er begleitet den Trauerzug für eine junge, feministische
       Drohnenpilotin, die Anfang Juni bei Pokrowsk im Kampf gefallen war.
       
       27 Jun 2025
       
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       Wadim Jakowlew ist queer und Autor*in. Ein Gespräch, wie Queers den Krieg
       in der Ukraine erleben und wie eine Zukunft aussehen könnte.