# taz.de -- Linke sucht Basis: Kampf um den Kiez
       
       > Immer mehr linke Gruppen machen Stadtteilarbeit. In Bremen engagiert sich
       > die Linke, um dem Rechtsruck in der Gesellschaft entgegenzutreten.
       
 (IMG) Bild: Linke vor Ort: Ayke Chmielewski und Max Petermann vor der ehemligen Wurstfabrik in Hemelingen
       
       Bremen taz | Die Sonne scheint auf die ehemalige Wurstfabrik Könecke in
       Bremen-Hemelingen. Am Fenster des alten Verwaltungsgebäudes hängt ein
       Fanschal mit der Aufschrift „Mietendeckel-Ultras“. Die Linke Hemelingen hat
       hier ihre Räume. Rund ein Dutzend Mitglieder der Partei sind mit der
       Vorbereitung für das heutige Grillfest beschäftigt. Während ein Genosse den
       Grill reinigt, decken andere das Buffet und stellen Getränke bereit. Rechts
       daneben steht eine große Tafel, auf der die Genoss*innen Probleme
       aufschreiben wollen.
       
       Das Grillfest ist die Auftaktveranstaltung einer längeren Aktionsphase, um
       die Präsenz zu erhöhen. Eingeladen sind neben den Anwohner*innen vor
       allem Parteimitglieder. Die Linke will auf dem Fest mit den Leuten ins
       Gespräch kommen, über Probleme vor Ort reden und Neumitglieder für die
       Parteiarbeit begeistern.
       
       Immer mehr Linke kommen über den sonnenbeschienen Platz zur Wurstfabrik.
       Ein großer Mann in kurzer Hose und mit breitem Lächeln begrüßt sie. Max
       Petermann kennt hier jeden, das Projekt war seine Idee. „Im
       Haustürwahlkampf hat es total Spaß gemacht, mit den Menschen zu sprechen,
       die konkret von der Politik, die wir bekämpfen, betroffen sind“, sagt er.
       Um auch außerhalb des Wahlkampfes in Kontakt zu bleiben, hat er sich „die
       Linke vor Ort“ ausgedacht.
       
       Ein halbes Jahr – von Mai bis Oktober – will Petermann mit seinem Projekt
       in Hemelingen arbeiten und danach in andere Stadtteile weiterziehen. Die
       Partei will ihre Strukturen ausbauen, auch um die zahlreichen Neumitglieder
       einzubinden. In der Stadt Bremen sind es seit Jahresbeginn etwa 820, etwa
       110 davon alleine in Hemelingen.
       
       Außerdem will die Partei auch mehr im Stadtteil wahrgenommen werden.
       Geplant sind neben weiteren Festen Haustüraktionen, um den Menschen näher
       zu kommen, zuzuhören und die kostenlose Sozialsprechstunde der Partei zu
       bewerben. Diese steht künftig jeden Mittwoch allen Hemelinger*innen von
       17 bis 18.30 Uhr offen.
       
       ## Hilfe zur Selbsthilfe
       
       Die Sozialsprechstunde leitet Ayke Chmielewski. Der 36-Jährige Hemelinger
       steht am Rand des Grillfestes und raucht. Er sieht seine Aufgabe darin,
       Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, „um sich gegen Vermieter*innen,
       Arbeitgeber*innen oder das Jobcenter zu wehren“, wie er sagt. „Wenn
       man beispielsweise Sanktionen vom Jobcenter bekommt, können wir erklären,
       wie man Widerspruch dagegen einlegt. Das können wir auch gemeinsam machen,
       optimal wäre aber, der Person zu helfen, solche Widersprüche selbst zu
       formulieren.“
       
       Wenn er von Hemelingen erzählt, merkt man, dass er sich hier zu Hause
       fühlt. „Es ist ein Stadtteil, den man gerne durchstreift, aber es ist
       traurig, dass auch hier die Spaltung so groß ist“, sagt er. Bei der
       Bundestagswahl erzielte die Linke in Hemelingen mit 13,6 Prozent zwar ein
       Ergebnis, das über dem Bundesdurchschnitt lag, aber sie landete deutlich
       hinter der AfD, die auf 20,0 Prozent kam, hinter der SPD (23,9), aber noch
       vor der CDU (19,3).
       
       Chmielewski begründet sein Engagement mit dem Rechtsruck. Als die CDU Ende
       Januar mit Stimmen der AfD eine Abstimmung im Bundestag über einen Antrag
       zur Migrationspolitik gewann, war das für ihn ein Alarmzeichen. „Mir war
       klar, dass ich nicht mehr sicher bin, wenn das so weitergeht. Ich habe
       Angst, dass mir aufgrund meines Migrationshintergrunds Gewalt angetan
       wird.“ Der Rechtsruck ist auch der Grund, weswegen er die Sozialberatung
       machen nöchte: „Wir leben hier alle miteinander und die Probleme im
       Stadtteil können wir nur gemeinsam lösen“, sagt er.
       
       Die Sozialberatungen werden immer von zwei Menschen durchgeführt, laut
       Chmielewski zum einen wegen der Sicherheit, zum anderen, um möglichst viele
       Themen abzudecken. Im Mietrecht zum Beispiel kenne er sich nicht aus, „in
       dem Fall wäre es gut, wenn jemand anderes dabei wäre“. Sonst könne man sich
       ja immer noch an den Mieterschutzbund wenden.
       
       Probleme, deren sich die Linke annehmen kann, gibt es in Hemelingen genug.
       Der am östlichen Stadtrand von Bremen gelegene Stadtteil ist von
       Gewerbegebieten und Industrie geprägt. Mercedes-Benz ist hier der größte
       Arbeitgeber. Allerdings sind auch große Firmen weggezogen. Die Wurstfabrik
       Könecke schloss 2012 ihre Tore, fünf Jahre später folgte das Abfüllwerk von
       Coca-Cola.
       
       11,1 Prozent der Hemelinger*innen waren 2023 arbeitslos. Die Quote
       liegt zwar etwas niedriger als im Bremer Durchschnitt von 12,2 Prozent,
       aber das liegt daran, dass sich die fünf Ortsteile, aus denen sich der
       Stadtteil zusammensetzt, stark voneinander unterscheiden. So waren im gut
       situierten Arbergen nur 5,9 Prozent arbeitslos. Rund um die Wurstfabrik, im
       Ortsteil Hemelingen selbst, lag die Arbeitslosenquote hingegen bei 15,2
       Prozent. Sozialsprechstunden der Linken gibt es bereits in anderen Bremer
       Stadtteilen, etwa im Viertel und in der Neustadt. Sie werden von der
       Parteiorganisation „Linke hilft“ organisiert, die bundesweit mit 120
       Beratungsangeboten am Start ist.
       
       ## Lust auf Stadtteilarbeit
       
       Die Linke will so als „Kümmererpartei“ wahrgenommen werden, die die
       konkreten Probleme vor Ort angeht. Diesen Status hatte die Partei nach der
       Wende lange Zeit im Osten inne, nun will sie wieder so gesehen werden, auch
       im Westen. Dieser praktische Ansatz könnte viele der zahlreichen
       Neumitglieder motivieren, die vermutlich mehr Lust auf Stadtteilarbeit als
       auf langwierige Parteigremien haben.
       
       Die Sozialberatung der Linken ist innerhalb der Parteienlandschaft relativ
       einzigartig. Vergleichbare Angebote gibt es bei anderen Parteien kaum. Zwar
       bieten alle Parteien sogenannte Bürgersprechstunden bei den jeweiligen
       Abgeordneten an, konkrete Hilfe bei Problemen gibt es dort aber nicht.
       
       Das Basisarbeit erfolgreich sein kann und sogar Wahlen gewinnt, hat die
       Linke spätestens bei der letzten Bundestagswahl gelernt: In Berlin-Neukölln
       [1][klingelten etwa 2.000 Unterstützer*innen an 139.000 Haustüren, um
       Werbung für den Linken-Kandidaten Ferat Koçak zu machen]. Der gewann dann
       auch das Mandat.
       
       Das immer mehr politisch links denkende Menschen konkrete Hilfe leisten
       wollen, sieht man auch an der Zunahme zivilgesellschaftlicher
       Stadtteilarbeit. In Bremen steht beispielsweise die Initiative
       „Solidarisch in Gröpelingen“ kurz davor, in einen weiteren Stadtteil zu
       expandieren und auch dort eine Beratungsstelle aufzumachen. Die hierfür
       nötigen Spenden hat die seit 2016 bestehende Stadtteilarbeitsgruppe bereits
       zusammen.
       
       „Solidarisch in Gröpelingen“ hilft wie die Sozialbereatung der Linken bei
       konkreten Problemen mit Jobcenter, Arbeit, Miete oder Aufenthaltsstatus,
       aber sie will noch mehr. „Wir schreiben Briefe, gehen mit vor Gericht,
       begleiten zum Jobcenter, aber halten auch Kundgebungen ab. Wir kombinieren
       also verschiedene Ansätze, die weit über eine Beratungsstelle hinausgehen“,
       sagt Arwed Junglas von „Solidarisch in Gröpelingen“.
       
       ## Veränderung der Verhältnisse
       
       Langfristig hofft die Gruppe auf diese Weise, die gesellschaftlichen
       Verhältnisse zu verändern. „Solidarisch in Gröpelingen“ ist eine Art
       Pionierorganisation im Bereich der Stadtteilarbeit. „Wir haben viele
       Erfahrungen gesammelt im Verlauf der Jahre und gesehen, was funktioniert
       und was nicht“, sagt Junglas. Diese Erfahrungen habe man in Vorträgen und
       Veröffentlichungen weitergegeben. „Mittlerweile gibt es viele andere
       Gruppen in anderen Städten, sodass wir auch von den anderen lernen können“,
       sagt er. Unter anderem haben sich in Erfurt, Jena, Münster, Wilhelmsburg,
       Frankfurt, Hamburg, Potsdam, Kiel, Oldenburg und Bremen in den letzten
       Jahren neue Stadtteilgewerkschaften gebildet.
       
       Junglas sieht die Linke nicht als Konkurrenz. Er erhofft sich sogar, dass
       die eigene Arbeit leichter wird, wenn es eine starke linke politische Kraft
       gibt. Eine Zusammenarbeit sieht er trotzdem kritisch. „Die Geschichte
       linker Bewegungen hat gezeigt, dass Parteien, die an die Macht kommen,
       häufig die Basisorganisationen entmachten, welche sie dorthin gebracht
       haben. Wir wollen kein Vorfeld sein und unabhängig bleiben.“
       
       Beim Grillfest der Linken in Hemelingen ist es mittlerweile gut voll. Ein
       Genosse ruft: „Will noch jemand eine richtige Wurst?“ Er hält kurz inne und
       erklärt: „Also eine mit Fleisch meine ich.“ Wieder eine kurze Pause, und
       dann, nur um es klarzustellen: „Also ich esse die selber nicht.“
       Tatsächlich werden sowohl die „richtigen Würste“ als auch die veganen
       gegessen.
       
       Eines der Neumitglieder der Partei ist Rene Breuning. Der 24-jährige
       Informatikstudent wohnt in Hemelingen, eingetreten ist er kurz nach dem
       Bruch der Ampelkoalition im November 2024. Die Entscheidung sei aber schon
       nach dem Rechtsruck bei der letzten Europawahl gereift. „Weil ich keiner
       kleinen Partei beitreten wollte, habe ich gedacht, dass die Linke
       eigentlich die beste Option ist“, sagt Breuning.
       
       Er befürchtet wie Chmielewski, dass die AfD immer stärker wird. Er selbst
       erlebe zwar wenig Rassismus in Hemelingen, glaubt aber, dass das nicht für
       alle gilt. „Ich bin nicht so dunkel und mein Deutsch ist gut. Ich vermute
       ich werde häufiger als ‚guter Ausländer‘ abgestempelt“, sagt er.
       
       In der Linken sieht er auch einen Zufluchtsort. „Man fühlt sich bei der
       Linken in einer Gruppe, die versucht, einen zu verstehen, und die sich über
       Rassismus austauscht.“ Allerdings könnte die Sensibilisierung noch deutlich
       weiter gehen. „Die Linke ist schon noch sehr weiß. Ich glaube, man könnte
       noch mehr für Menschen mit Migrationshintergrund machen.“
       
       Breuning glaubt, dass ein Dialog Menschen davon abhalten kann, die Rechten
       zu wählen. „Eine AfD-Wählerin hat mir im Wahlkampf gesagt, dass die Politik
       eh nicht auf sie hört. Ich glaube, dieses Gefühl – wir sind von der Politik
       verlassen –, das kann man mit der Linken vor Ort gut angehen.“
       
       ## Nach der AfD
       
       Bei der Bundestagswahl war die Linke in Hemelingen die Partei mit den
       zweitstärksten Zuwächsen (plus 7,5 Prozent) – nach der AfD (plus 10
       Prozent). „An einem Infostand habe ich mit einer Frau gesprochen, die
       meinte, dass die Linke die beste Partei wäre und auf Platz zwei die AfD“,
       sagt der Linke-Bürgerschaftsabgeordnete aus Hemelingen, Tim Sültenfuß. „Sie
       wusste gar nicht, dass die AfD Politik vor allem für Reiche macht. Sie war
       total überrascht, aber hat mir geglaubt. Es gibt hier echt einige Leute,
       die man davon überzeugen kann, nicht die AfD zu wählen.“
       
       Dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, ist auch für „Solidarisch in
       Gröpelingen“ wichtig: „Die Rechten haben im Osten schon viele Jahre
       erfolgreich Basisarbeit geleistet und die Linken nicht. Das Ergebnis sieht
       man jetzt. Die Idee, eine bessere linke Parallelgesellschaft aufzubauen,
       ist gescheitert“, sagt Junglas. „Wir müssen in die Gesellschaft
       hineintreten und uns organisieren. Wir müssen verstehen, dass wir als Linke
       auch Teil der Ausgebeuteten sind.“
       
       Mit Menschen, die die AfD wählen, diskutiert „Solidarisch in Gröpelingen“,
       solange sie nicht für die Partei kandidieren. „Oft geht es nicht ums
       Inhaltliche, sondern um im Vorhinein aufgebautes Vertrauen. Das nutzen wir
       in solchen Gesprächen“, erklärt Junglas.
       
       Zu dem Grillfest kommen auch eine Handvoll interessierter Anwohner*innen.
       Zwei von ihnen sind Thomas und Insa. Die beiden 58-Jährigen sitzen am Rand
       der Veranstaltung auf einer Bierbank und sind im Gespräch mit Mitgliedern
       der Linken. Vom Fest erfahren haben die beiden über einen Flyer in einem
       der beiden Sozialkaufhäuser im Stadtteil.
       
       Thomas lebt nach einer Reha vom Bürgergeld, möchte aber bald wieder
       arbeiten gehen. Er beschwert sich über teuren Leerstand in Hemelingen. „In
       der Christenstraße sind drei wirklich schöne Wohnungen. Ich bin seit 2019
       hier, seitdem stehen die leer“, sagt er. „Nagelneu, der Rasen wird
       gepflegt, aber da wohnt keiner drinnen“, sagt er fassungslos. Der Grund für
       den Leerstand sei die hohe Miete. Seine Wut merkt man deutlich, wenn er
       jedes Wort betont: „1.700 Euro! Der Wahnsinn! Wer soll sich das leisten
       können?“
       
       Der Leerstand ist besonders für Insa ärgerlich. Die ebenfalls 58-jährige
       Physiotherapeutin ist zu Besuch aus dem ostfriesischen Leer und würde gerne
       hierher ziehen. „Meine Tochter ist aus dem Haus, und ich würde mich gerne
       noch mal verändern.“ Das Problem ist nur, dass sie keine Wohnung findet.
       „Es ist ganz schwierig, in Bremen Fuß zu fassen. Ich habe bisher kein
       einziges Wohnungsangebot bekommen“, sagt sie.
       
       Ina findet es „super, dass die Linke hier Sprechstunden anbietet“. Thomas
       pflichtet ihr bei: „Seit 2019 ist hier noch keine Partei vorbeigekommen,
       das ist richtig gut, dass die das machen.“
       
       Trotz dieses positiven Feedbacks bewertet die Linke das Grillfest durchaus
       gemischt. Auf einem Evaluationschart hält die Partei fest, dass man zwar
       Neumitglieder aus dem Stadtteil erreicht habe, aber keine neuen Leute für
       Haustüraktionen gewinnen konnte. Positiv sei aber, dass das Event der
       Sichtbarkeit des Projektes innerhalb der Partei gefördert habe. Für
       zukünftige Events wird angeregt, mehr Angebote für Familien zu schaffen.
       
       Wenige Tage später sammeln die Genoss*innen bei Haustürgesprächen
       Eindrücke von den Problemen im Stadtteil. Lärmschutz, schlechte
       Parkmöglichkeiten, Bauschutt auf den Straßen und fehlende
       Aufenthaltsmöglichkeiten für Jugendliche wurden häufig genannt. Gut
       angekommen seien der Heizkostencheck und die Sozialberatung. „Ganz viele
       haben aber auch gesagt, dass sie keine Probleme haben“, sagt Chmielewski.
       „Wir waren aber auch in Hastedt unterwegs, wo du noch relativ viele
       ökonomisch starke Anwohner*innen hast“, so seine Erklärung.
       
       Auch die Sozialsprechstunde läuft langsam an. Am ersten Termin kommt keine
       Hemelinger*in vorbei, und auch in der Woche drauf bleibt die
       Sprechstunde leer. Chmielewski zeigt sich unbeeindruckt: „Ich bin mir
       sicher, dass dauert noch bis Leute kommen, dafür müssen wir erst noch
       bekannter werden.“ Seine Prognose: In etwa ein bis zwei Monaten beginnt das
       Angebot zu laufen.
       
       Auch Junglas von „Solidarisch in Gröpelingen“ plädiert für Optimismus: „Das
       höre ich auch aus anderen Städten. Erst kommt niemand, und dann wird man
       überrannt, wenn es sich herumgesprochen hat und weiterempfohlen wird.“
       
       17 Jun 2025
       
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