# taz.de -- Schutz des brasilianischen Regenwaldes: Tödliche Suche nach Antworten
       
       > Vor drei Jahren wurden Dom Phillips und Bruno Pereira im Amazonasgebiet
       > ermordet. Nun ist Phillips' unvollendete Recherche erschienen. Ein
       > Auszug.
       
 (IMG) Bild: Indigene wissen, wie wir den Regenwald schützen können: Phillips interviewt eine Schamanin vom Volk der Macuxi
       
       Dom Phillips hinterließ uns eine große Frage: Wie können wir den Amazonas
       retten? In einer Skizze für das letzte Kapitel seines unvollendeten Buches
       schrieb er: [1][„Hört auf die indigenen Völker.“] Die Welt, ergänzte er,
       „ist keine unzusammenhängende, zufällige Aneinanderreihung von Nationen und
       Gesellschaften, sondern ein [2][miteinander verbundenes Ganzes]. Ihr
       Überleben hängt von Kooperation und nicht von Wettbewerb ab.“ Um das zu
       verstehen, argumentierte er, „sind die besten Lehrer die ursprünglichen
       Anwohner des Amazonas: seine indigenen Völker.“
       
       Den 5. Juni 2022, den letzten Tag ihres Lebens, verbrachten Dom Phillips
       und Bruno Pereira damit, von genau diesen Lehrern zu lernen. Bevor ich den
       Schluss des Buches schrieb, das Dom nicht mehr vollenden konnte, folgte ich
       den Spuren der beiden Kollegen und kehrte zurück ins Javari-Tal, wo sich
       Dom und Bruno angefreundet hatten.
       
       In Anbetracht seiner Lage an der Front eines tödlichen Konflikts wirkt der
       Lago do Jaburu im Tal wie ein überraschend ruhiger Ort. Ein paar typische
       Flusshäuser auf Stelzen, mit Holzwänden und Wellblechdächern, thronen über
       dem steilen Ufer des Flusses Itaquaí. Dom und Bruno waren hierher gekommen,
       um sich einem indigenen Beobachtungsteam anzuschließen, das an der Grenze
       zwischen dem hiesigen Schutzgebiet und seinem Hinterland patrouillierte.
       
       Am Morgen und Nachmittag dieses letzten Tages befragte Dom – sorgfältig wie
       immer – alle 13 Männer des Beobachtungsteams einzeln und stellte ihnen
       dieselben Fragen: Wie schützen sie ihr Gebiet? Für wen schützen sie die
       Natur? Wie sind sie von der politischen Situation betroffen?
       
       ## Bolsonaros Angriff auf den Regenwald
       
       Die politische Lage in Brasilien hatte sich nach der [3][Wahl von Jair
       Bolsonaro zum Präsidenten] im Jahr 2019 stark verändert. In Bolsonaros
       erstem vollen Jahr an der Macht erreichte die Abholzung des Amazonas das
       höchste Niveau seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Treibhausgasemissionen
       Brasiliens stiegen von 2020 bis 2021 um 12 Prozent und erreichten damit den
       höchsten Stand seit 19 Jahren.
       
       Gleichzeitig ging die Zahl der Bußgelder für Umweltverstöße um 38 Prozent
       zurück. Die rechtsextreme Regierung Bolsonaros ließ dies zu, wies dabei
       nicht nur jede Verantwortung von sich, sondern gab auch noch lautstark
       anderen die Schuld.
       
       Ich erfuhr von Doms Interviews mit dem Beobachtungsteam durch ein Gespräch
       mit einem Mitglied dieses Teams; Higson Dias Kanamari vom Volk der
       Kanamari.
       
       Higson erinnerte sich mit einer Mischung aus Zuneigung und Entsetzen an
       seine letzte Begegnung mit Dom. „Er war sehr glücklich, unter uns Indigenen
       zu sein“, sagte er. „Als er bei uns war, hatte er eine zweite Familie. Wir
       haben uns um ihn gekümmert. Ich habe gesehen, wie sehr er es genossen hat,
       bei uns zu sein. Wir konnten das Ausmaß des Bösen nicht vorhersehen, das
       andere Leute anrichten wollten.“
       
       ## Über Morde an Weißen wird intensiver berichtet
       
       Noch Wochen nach dem Tod von Dom und Bruno wurde die nächstgelegene Stadt
       Atalaia do Norte von Reportern überschwemmt. Die Einwohner stellten
       ironisch fest, dass die intensive [4][Berichterstattung über den Tod eines
       weißen ausländischen Journalisten] in krassem Gegensatz stand zu dem Mord
       an Maxciel Pereira dos Santos im Jahr 2019.
       
       Maxciel war Beamter der Nationalen Behörde für Indigene (Funai) gewesen und
       hatte eng mit Bruno zusammengearbeitet, um illegale Fischerei- und
       Jagdaktivitäten aufzuspüren. Maxciels Familie glaubt, dass der Mord von
       denselben Menschen begangen wurde, die auch Bruno und Dom getötet haben.
       Aber niemand wurde jemals angeklagt, und der Fall schlug außerhalb der
       Region kaum Wellen.
       
       Die unterschiedliche Behandlung der beiden Verbrechen sei aber nicht
       ausschließlich heuchlerisch, sagte Higson. Sie zeige die Macht von
       Geschichten, die ein globales Publikum anziehen. „Als sie Maxciel töteten,
       passierte nichts. Aber bei Dom und Bruno gab es ein enormes Interesse.“ Er
       wertete das positiv: „Durch die Medien erfuhr die Welt von den Verteidigern
       des Waldes.“
       
       Dom war ein ungewöhnlicher Amazonas-Märtyrer. Er war weiß und stammte aus
       einem reichen Land. Die meisten anderen Ermordeten waren Indigene,
       Nachfahren entflohener Sklaven, Kleinbauern – [5][Opfer von Morden, die nie
       untersucht oder von den Medien berichtet wurden], Menschen, deren Namen und
       Gesichter außerhalb ihrer Heimatstädte weitgehend unbekannt waren.
       
       Weltweit wurden seit 2012 mehr als 1.900 Menschen ermordet, weil sie
       versuchten, ihr Land und ihre Ressourcen zu schützen, durchschnittlich ein
       Mord alle zwei Tage.
       
       ## Eine indigene Umweltministerin
       
       Ich frage mich, wie Dom über [6][die Jahre nach Bolsonaro geschrieben
       hätte]. Seit seinem und Brunos Tod gab es einige positive Anzeichen für
       Veränderungen. Im Jahr 2023 versprach der neue brasilianische Präsident
       Luiz Inácio Lula da Silva, bis zum Ende des Jahrzehnts die Abholzung
       vollständig zu stoppen, ernannte mit Sônia Guajajara die erste indigene
       Ministerin Brasiliens, erkannte mehr als ein halbes Dutzend neue indigene
       Gebiete an, machte erste Schritte in Richtung einer Wirtschaft, die
       nachwachsende Rohstoffe ins Zentrum rückt.
       
       Seine Umweltministerin, die Amazonasbewohnerin Marina Silva, verlangsamte
       Genehmigungen für Ölbohrungen in der Nähe der Mündung des Amazonas und eine
       neue Lizenz für den im Bau befindlichen Belo-Monte-Staudamm, dessen
       Reservoir 668 Quadratkilometer des Amazonas überschwemmen würde.
       
       All das waren echte Fortschritte, wenn auch ungleichmäßig und bei Weitem
       nicht genug. Vor Ort im Javari-Tal, berichteten Indigene, habe sich die
       Situation hingegen nicht verbessert. Woanders verschärften sich einige
       Probleme sogar.
       
       Das von der Agrarindustrie dominierte Parlament beschloss, Indigenen Rechte
       an ihrem Land künftig seltener zu garantieren. Und versuchte, neue
       Megaprojekte voranzutreiben, darunter eine umfassende [7][Modernisierung
       der Autobahn BR-319] durch eines der letzten unberührten Regenwaldgebiete.
       
       Das erinnert uns daran, dass eine von der Regierung geführte Kommando- und
       Kontrollpolitik zwar wichtig, aber nur begrenzt wirksam ist. Die Abholzung
       wurde um beeindruckende 50 Prozent reduziert, aber das hat die Zerstörung
       lediglich verlangsamt. [8][Der Amazonas nähert sich weiterhin einem
       Kipppunkt.]
       
       ## Wie wir über den Wald nachdenken
       
       Wenn der Wald und seine Bewohner sich dagegen wehren und ihre Vielfalt,
       Unabhängigkeit und traditionelle Kultur bewahren sollen, ist eine
       tiefgreifendere Transformation erforderlich. Kern des Kampfes um den
       Amazonas ist der Kampf um die Herzen und Köpfe der Menschen.
       
       Natürlich: Das Territorium vor Ort zu verteidigen, ist ein entscheidender
       erster Schritt. Sich Unterstützung durch die Regierung zu sichern, könnte
       die Zerstörung verlangsamen. Auch Transparenz in den Lieferketten für
       Rindfleisch und Soja würde helfen. Und ein Umdenken bezüglich
       zerstörerischen Infrastrukturprojekten.
       
       Lebende Wälder toten Wäldern vorzuziehen, wäre ein entscheidender
       Wendepunkt. Die Sicherung internationaler Finanzmittel muss den Übergang zu
       einer nachhaltigen Zukunft beschleunigen.
       
       Ökotourismus und [9][CO₂-Steuern] könnten ebenfalls eine Rolle spielen.
       Globale Pharmakonzerne dazu zu zwingen, sich an den Vorteilen der
       biologischen Vielfalt zu beteiligen, würde Anreize für die Erhaltung der
       Wälder schaffen und Lebensgrundlagen schützen.
       
       Doch damit all diese Ideen umgesetzt werden können, müssen wir auf
       gesündere Weise über den Wald nachdenken. Es geht darum, zuzuhören und eine
       neue Beziehung zur Natur aufzubauen. Oder besser noch, den Wert einer alten
       Beziehung wiederzuentdecken.
       
       Das ist nicht kompliziert. Es kann ganz instinktiv das Vergnügen daran
       sein, die Welt so zu sehen, wie sie sein sollte. Es kann sogar mit dem
       einfachen Ausdruck von Freude beginnen, den Dom im letzten
       Social-Media-Beitrag seines Lebens geteilt hat: Amazônia, sua linda! –
       Amazonien, du Schönheit!
       
       Aus dem Englischen von Jonas Waack
       
       15 Jun 2025
       
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