# taz.de -- Lebenslange Haft für syrischen Arzt: Deutschland muss Syriens Justiz unterstützen
       
       > Ein internationales Tribunal bleibt Utopie. Aber es gibt Mittelwege
       > zwischen einer illusorischen internationalen und überforderten nationalen
       > Justiz
       
 (IMG) Bild: Frankfurt am Main, 16. Juni 2025: der Angeklagte Alaa M. vor der Urteilsverkündung im Oberlandesgericht
       
       Lebenslang für den syrischen Arzt Alaa M., der im Dienst der Assad-Diktatur
       Menschen zu Tode folterte – das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom
       Montag reiht sich ein in eine Serie ähnlicher deutscher Urteile seit 2022.
       
       Es ist das erste seit Assads Sturz, ein eindrucksvolles Zeugnis der
       Beharrlichkeit der deutschen Ermittler und ihrer syrischen Zeugen. Mit
       solchen Urteilen ist die Wahrheitsfindung für Syrien nicht beendet. Sie
       beginnt erst. Der Regimewechsel in Syrien ist gerade etwas über ein halbes
       Jahr her. Wie die Täter der Schreckensherrschaft zur Rechenschaft zu
       ziehen sind, ist nach wie vor völlig unklar. Der Aufbau rechtsstaatlicher
       Institutionen in Syrien steht noch ganz am Anfang.
       
       ## Aufarbeitung übersteigt Kapazitäten jeder Justiz
       
       Die Gesamtaufarbeitung der Ära Assad übersteigt die Kapazitäten jeder
       Justiz. Das syrische Menschenrechtsnetzwerk SNHR (Syrian Network for Human
       Rights), auf dessen Arbeit sich die bestehenden UN-Untersuchungen zu Syrien
       stützen, hat in einem [1][Bericht] vorgerechnet, worum es geht: 231.000
       außergerichtliche Tötungen an Zivilisten, mindestens 157.000 Verschwundene,
       mindestens 15.395 Foltertote, der Einsatz von Chemiewaffen, Streubomben und
       Brandbomben. Immer noch werden Leichen aus Massengräbern geborgen.
       
       An Initiativen mangelt es nicht. Syriens Regierung hat vor vier Wochen eine
       Behörde für „Transitional Justice“ ins Leben gerufen. Eine neue UN-Agentur
       für Verschwundene in Syrien erstattete erst vergangene Woche erstmals
       Bericht. Doch das Grundproblem bleibt: Assad sitzt unter Putins Schutz in
       Moskau, manche seiner Schergen sind auf der Flucht, andere sind in Syrien
       untergetaucht und destabilisieren die neue Regierung, dessen Stabilität
       wiederum vom Stillhalten übergelaufener Verbrecher abhängt – eine schier
       unlösbare Konstellation.
       
       Ein internationales Syrien-Tribunal, wie es manche fordern, dürfte eine
       Utopie bleiben. Aber es gibt Mittelwege zwischen einer illusorischen
       internationalen und einer überforderten nationalen Justiz. So könnten
       ausländische Gerichte relevante Urteile, Ermittlungsergebnisse und
       Zeugenaussagen der syrischen Justiz zur Verfügung stellen. Und warum
       sollten mit Syrien befasste deutsche Ermittler Spuren nicht in Syrien
       weiterverfolgen?
       
       Das sind nicht nur Gedankenspiele. Wenn einmal Syrien Haftbefehle gegen
       flüchtige Täter im Ausland erlässt, wird eine juristische Zusammenarbeit
       zwingend, um dem „neuen Syrien“ unter die Arme zu greifen. Deutschland, das
       vor drei Jahren mit seinem ersten Syrien-Folterurteil in Koblenz weltweite
       Rechtsgeschichte schrieb, könnte jetzt auch hier Vorreiter spielen.
       
       16 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://snhr.org/wp-content/uploads/2025/04/R250303E-2.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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