# taz.de -- BSW nach der Wahlniederlage im Bund: Wer zieht künftig den Wagenknecht-Wagen?
       
       > Nach anfänglichen Erfolgen ist die Zukunft des Wagenknecht-Bündnisses
       > ungewiss. Stimmungsbilder aus dem sächsischen Landesverband zeigen: Das
       > Profil fehlt.
       
 (IMG) Bild: Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht nach der Bundestagswahl Ende Februar in Berlin
       
       Dresden taz | Ein BSW-Fanblock, einschließlich der eigenen Landesspitze,
       bildet sich am Donnerstag im Dresdner Penck-Hotel. Er ist unüberhörbar. Zu
       einer der früher gewohnten Wagenknecht-Huldigungen gerät die Veranstaltung
       trotzdem nicht: Die Leipziger Volkszeitung und die Sächsische Zeitung haben
       zum Polit-Talk geladen, Sahra Wagenknecht sitzt nicht alleine auf der
       Bühne, und unter den 200 Zuhörern, die nach dem Windhundprinzip Karten
       ergattert haben, applaudieren auch viele ihrem Kontrahenten: dem
       sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
       
       „Wann haben Sie denn mal einen Kompromiss gemacht?“, fragt er Wagenknecht
       in der ersten Hälfte der Diskussion. Und als es im zweiten Teil um den
       russischen Überfall auf die Ukraine geht, verlieren zwischenzeitlich sowohl
       er als auch Teile des Publikums ihre Contenance.
       
       Die Schuldzuweisungen Wagenknechts an Europa und die USA und ihre
       Liebesbekundungen an den Kreml münden in den Satz: „Wir sollten nicht so
       tun, als ob in Moskau ein wahnsinniger Diktator am Werk sei!“ Worauf
       Kretschmer konterte: „Es gibt auch keinen vorgeschobenen Grund für den
       Angriff auf ein anderes Land!“
       
       Den inneren Zustand des BSW erhellen dagegen Wagenknecht-Äußerungen zum
       [1][Abbruch der Sondierungen für eine sächsische Brombeer-Koalition im
       vorigen Herbst] und zum knappen Scheitern bei der Bundestagswahl. Im
       Vergleich zu den drei erfolgreichen Landtagswahlen 2024 verlor das Bündnis
       im Februar ein Viertel bis ein Drittel der Stimmen. Feierstimmung herrscht
       nicht mehr. Im Gegenteil, [2][in Thüringen hat ein Landesparteitag Ende
       April] gerade noch eine offene Spaltung in linientreue Wagenknechte und
       Landesautonome abwenden können.
       
       ## Ob in Regierung oder Opposition – wofür steht das BSW?
       
       Sahra Wagenknecht ist intelligent genug zu erkennen, dass es um die
       Identität ihres zusammengewürfelten Bündnisses geht. Diese drohe bei zu
       frühen Regierungsbeteiligungen verloren zu gehen. Deshalb der Abbruch von
       Koalitionsgesprächen wie in Sachsen, wenn nicht alle Maximalforderungen
       erfüllt sind. Als warnendes Beispiel gilt Wagenknecht dagegen der interne
       BSW-Konflikt um die Regierungsbeteiligung in Thüringen. Dort machte die
       Landesspitze gegen ihren Willen Kompromisse mit CDU und SPD.
       
       Die Parteichefin macht die Thüringer sogar für das Scheitern an der
       Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl verantwortlich. „Vielleicht hätte
       ich noch mehr darauf achten müssen, dass unser Profil erkennbar bleibt“,
       antwortete Wagenknecht auf die Schlussfrage nach ihrem größten Fehler.
       
       In Sachsen und Dresden lässt sich dieses Dilemma illustrieren. Kaum ein
       BSW-Mitglied will aber namentlich zitierbar auf die Frage antworten, ob die
       junge Partei ihren Zenit bereits überschritten habe. Intern kursiert auch
       hier hinsichtlich des Bundestagswahlergebnisses der Vorwurf: „Der Osten
       hat´s verkackt“.
       
       ## Warten auf den nächsten Schritt
       
       Ein Teil schiebt wie die Große Vorsitzende [3][die ausgebliebene
       Planerfüllung auf wahlorganisatorische Pannen] und eine Verschwörung von
       Meinungsforschungsinstituten und Medien. Andere machen es sich weniger
       leicht. Wenn vor einem Jahr noch Einigkeit bestand, dass das BSW eine so
       genannte Repräsentationslücke im Empfinden der Wählerschaft fülle, so
       räumen manche inzwischen Unklarheit über diese Lückenfüllung ein.
       
       „Konservatismus gepaart mit sozialen Gerechtigkeitsidealen,
       wirtschaftsliberal, aber kritisch gegen Großkonzerne, familienorientiert,
       pazifistisch“, ist auf die Frage nach Schlagworten zum eigenen Profil zu
       hören. Viele Gegensatzpaare, die ausbalanciert werden müssen.
       
       Auslöser der Erfolgswelle 2024 waren unbestritten die persönliche
       Ausstrahlung von Sahra Wagenknecht und das Friedensthema. „Aber diese
       Wirkung schwindet“, konstatiert der Landtagsabgeordnete und Quereinsteiger
       Ralf Böhme, der auch der BSW-Fraktion im Dresdner Stadtrat vorsitzt. „Der
       nachfolgende Schritt ist uns noch nicht gelungen, dass Leute uns wegen
       unseres Profils wählen.“
       
       ## Erst mal als selbständige Partei konstituieren
       
       Wie genau das eigene Profil aussehen soll, ist eben schwer erkennbar. Wenig
       greifbar sprechen Wagenknecht und die sächsische Landesvorsitzende Sabine
       Zimmermann meist nur von allgemeiner „Veränderung“. Ein sympathisierender
       sächsischer Beobachter diagnostiziert daher, dass die
       Wagenknecht-Sturzgeburt einen „Selbstfindungsprozess“ brauche: Bernd Rump,
       der zu PDS-Zeiten bis 2008 als Oberstratege galt. Rump ist formal noch
       Mitglied der Linken. Er beteiligt sich aber rege an den lokalen
       Gesprächszirkeln, die das Vorfeld der wenigen offiziell zugelassenen
       BSW-Mitglieder sind und das eigentliche Parteileben ausmachen. Viele
       Anfangssympathisanten seien schon nicht mehr dabei, registriert er.
       
       „Es war alles zu viel“, blicken Rump und andere auf ein turbulentes und
       durch viele Wahlen auch sehr anstrengendes erstes BSW-Jahr zurück. Interne
       Probleme bremsten die überzeugende öffentliche Ausstrahlung. Rump teilt die
       Mitglieder in zwei Gruppen, nämlich „ganz normale, aber sehr engagierte
       Leute“ und eine „Kadertruppe“, die westlich dominiert werde von Akteuren
       wie Klaus Ernst oder Sevim Dagdelen. Überhaupt sei nach wie vor die
       Parteiabspaltung von der Linken evident. Das BSW müsse sich erst einmal als
       selbstständige Partei konstituieren und nicht als modifizierte Linke.
       
       Das heterogene BSW-Klientel erleichtert diesen Prozess nicht gerade. Von
       ehrlichen Politikeinsteigern oder Wechslern von der Linken über
       Karrieristen bis hin zum Altstalinisten mit dem Mitgliedsbuch der
       Deutsch-Sowjetischen Freundschaft ist beim BSW alles zu finden. „1989 war
       der Anfang vom Ende“, erklärte ein betagter Ordner bei einer
       Wahlveranstaltung auf dem Dresdner Schlossplatz.
       
       [4][Das straff limitierte Aufnahmeverfahren], das Trojaner und
       Trittbrettfahrer gleichermaßen fernhalten sollte, hat diese teils skurrile
       Mischung nicht verhindert. In ihr fehlt allerdings eine stürmische Jugend,
       wie sie jetzt zu Tausenden in die Linke drängt. Das Verfahren soll, ja muss
       sich ändern, hört man auch in Sachsen, wo die organisierte Basis gerade mal
       aus 90 Mitgliedern besteht. Im Erzgebirge zum Beispiel gibt es nur drei
       bestätigte Mitglieder, aber bis zu 50 potenzielle Unterstützer. Eine
       nichtöffentliche Parteikonferenz in Glauchau befasste sich im April ohne
       erkennbares Ergebnis auch damit.
       
       ## Was bleibt von den großen Zielen?
       
       Die weitere Profilierung mit dem Friedens- und Verhandlungsthema erscheint
       angesichts des offenkundigen Friedensunwillens im Kreml wenig
       aussichtsreich. Mit steigender Tendenz befürworten inzwischen mehr als drei
       Viertel der Deutschen höhere Verteidigungsausgaben. Bei der Bedienung der
       Massenhysterie gegen angebliche Überfremdung wird das BSW die Originale von
       AfD und CDU/CSU kaum rechts überholen können. Und die Sehnsucht nach mehr
       sozialer Gerechtigkeit bedient inzwischen eher die wiedererstarkte Linke.
       
       Worin aber bestünde dann eine originelle Marke? Wo sind die Initiativen, zu
       denen sich andere positionieren müssen? In der sächsischen Oppositionsrolle
       ist eher das Gegenteil der Fall. Seit der eitlen Verweigerung einer
       mehrheitsfähigen sächsischen Brombeere mit CDU und SPD fühlen sich manche
       geradezu „verhöhnt“ im Parlament. Die Minderheitskoalition wird
       wahrscheinlich eher versuchen, den anstehenden Krisenhaushalt 2025/26 mit
       Grünen und Linken durchzubringen, als mit dem Sahra-Bündnis.
       
       Diesen Eindruck bestätigt die Fraktionsvorsitzende Sabine Zimmermann zwar
       nicht. Ob das BSW mit seiner „Doppelstrategie“ aber ernst genommen wird,
       steht dahin. Die verlangt einerseits eine Zukunfts-Zusatzmilliarde in dem
       ohnehin mit zehn Prozent unterfinanzierten Haushalt, setzt aber zugleich
       auf die üblichen kosmetischen Korrekturen beim Reparaturbonus, den
       Dorfkümmerern oder einigen Sportmillionen.
       
       Bislang waren die „Neuen“ im Landtag seit Oktober eher durch gemeinsame
       Abstimmungen mit der AfD aufgefallen. Schon in der zweiten Sitzung stimmten
       sie dem AfD-Antrag auf Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses zu.
       Im November befürworteten 14 der 15 Abgeordneten einen AfD-Antrag gegen die
       geplante US-Raketenstationierung in Deutschland. Der Kreisverband Görlitz
       scheute sich nicht, gemeinsam mit den rechtsextremen „Freien Sachsen“ zu
       demonstrieren. Im Februar stimmte wiederum nur die AfD-Landtagsfraktion
       einem BSW-Antrag zur diplomatischen Beendigung des Krieges gegen die
       Ukraine zu. Breitere Resonanz könnte eine Initiative vom März zur
       deutlichen Senkung der Quoren bei Volksanträgen finden, ein uraltes Thema.
       
       ## Trockenbrot nach Gründungsrausch
       
       Verspricht eine zumindest mittelfristige Abnabelung von der Parteigründerin
       und Namensgeberin Erholung für die Partei? „Eigentlich nicht“, wiegen die
       meisten bedächtig den Kopf, ohne unterwürfig zu wirken. Mit ihr stehe und
       falle das Projekt, der Unterschied wäre „gigantisch“, der intellektuelle
       Hauptinput komme von ihr. Früher oder später müsse die Partei aber sich
       selbst tragen, hört man dann leise.
       
       Der Gründungsrausch ist zwar verflogen, aber ganz auf die Brechtschen Mühen
       der Ebene will man sich noch nicht herunterziehen lassen. Manche ziehen
       Vergleiche mit den Startproblemen der Grünen vor mehr als 40 Jahren. „Wir
       haben keine Krise, wir sind nur in einem Entwicklungsprozess“, beschreibt
       Ralf Böhme den gegenwärtigen Zustand.
       
       16 May 2025
       
       ## LINKS
       
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