# taz.de -- Rechte und Linke auf der Bühne: Schuldkult kommt in den besten Familien vor
       
       > Im Ehebett mit einer Rechten: Bei den Wiener Festwochen läuft Neues von
       > der Hufeisentheorie. Und ein Reenactment von Elfriede Jelineks
       > „Burgtheater“.
       
 (IMG) Bild: Hier streitet sich ein rechts-links Ehepaar. Szene aus „Three Times Left is Right“
       
       Die Übertitelung liefert gleich zu Beginn die Pointe. Sie warnt vor
       triggernden Triggerwarnungen. Inwieweit sind die Namen der Dinge schon die
       Dinge selbst? Verändert sich Wirklichkeit allein durch ihre Benennung? Der
       in Utrecht lebende deutsche Regisseur Julian Hetzel unternimmt mit „Three
       Times Left Is Right“, einer Produktion für die Wiener Festwochen und das
       Schauspiel Leipzig, eine Art Selbstversuch in politischer Geometrie. Er
       folgt der Spur zu verborgenen Abzweigungen in linken Denkwegen, die
       unvermittelt nach rechts führen.
       
       Dafür hat er ausgiebig die Ideologieproduktion einer neuen Rechten studiert
       und ist dabei dem eigenen Unbehagen an den blinden Flecken im
       linksliberalen Konsens begegnet, der die Kritik der Verhältnisse zugunsten
       einer Kritik der Repräsentation längst aufgegeben hat. Verwundert stellen
       Linke fest, wie die Rechten vor allem ihr Sentiment gekapert haben, die
       Gesten einer Selbstbefreiung, die Auflehnung gegen als falsch erkannte
       Autoritäten.
       
       Aber kann man mit Rechten überhaupt darüber reden und wenn ja, wie? Dass
       die Frage über das Sprachspiel hinaus buchstäblichen Fleisch bekommt,
       sorgen die beiden belgischen Schauspieler:innen Josse De Pauw und
       Kristien De Proost. Im Leben ein Paar, spielen sie auf der Bühne ein Paar,
       das wiederum als Modell einem Paar in der Wirklichkeit nachgeformt ist: er,
       der renommierte Hochschullehrer mit linker Vita; sie, die promovierte
       Kulturwissenschaftlerin, Mutter dreier gemeinsamer Kinder, die sich
       inzwischen als publizistische Stimme der neuen Rechten profiliert hat.
       
       ## Mit Linken leben
       
       Die Vorbilder werden in der Aufführung nicht genannt, das Modellhafte der
       Inszenierung wie das Zivilrecht sprechen wohl dagegen. Aber wiederholte
       Home Stories in den Feuilletons weisen darauf hin, dass hier an den
       Literaturwissenschaftler [1][Helmut Lethen] („Verhaltenslehren der Kälte“)
       und seine Ehefrau Caroline Sommerfeld („Mit Linken leben“) gedacht ist.
       
       De Pauw und De Proost führen zwischen Tisch, Bett, Tennisplatz und der
       Waldorfschule, von den die Kinder [2][der Mutter wegen geflogen] sind, Rede
       und Gegenrede. Er versucht die Wirklichkeit durch verantwortliche Sprache
       zu bannen, sie wirft dem Linksliberalen „Schuldkult“ vor.
       
       Es wäre interessant, mehr über das Sacrificium Intellectus zu erfahren, das
       neurechte Intellektuelle zwangsläufig erbringen – epistemologisch für ihr
       falsches Ursprungsdenken, ästhetisch für ihre verquaste Sprache und ethisch
       für die Aufkündigung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Doch es folgt
       die Wendung zum Mythos.
       
       Im Ehebett zerreißt die wildgewordene Mänade ihren angetrauten Gutmenschen,
       der alles verständnisvoll kommentiert, und verarbeitet sein
       Requisitenfleisch in der Wurstmaschine. Die rechte Frau als linke
       Männerphantasie? Die Hinterbühne öffnet sich, bietet Freibier und Deftiges
       vom Grill. Die Wurst wird hier doch nicht so heiß gegessen, wie sie
       gebraten wurde.
       
       ## Kollaboration mit den Nazis
       
       Tags darauf die zweite „Weltpremiere“ der diesjährigen Festwochen, so die
       expressive Sprachregelung ihres [3][Intendanten Milo Rau.] Sie handelt von
       einem Wiener Theaterphantom, das seit über vierzig Jahren ums Burgtheater
       herumschleicht, dort aber nie gesichtet ward. „Burgtheater“ von Elfriede
       Jelinek, uraufgeführt 1985 in Bonn, verhandelt die Rolle der
       Schauspieler:innenfamilie Hörbiger/Wessely im Nationalsozialismus.
       
       In der Kollaboration am weitesten ging Paula Wessely 1941 mit „Heimkehr“,
       für Elfriede Jelinek der „schlimmste Propagandafilm des Dritten Reichs“.
       Nach dem Krieg gingen die Karrieren von Paula Wessely, Attila und Paul
       Hörbiger in Theater und Unterhaltungsindustrie bruchlos weiter. Elfriede
       Jelinek hat aus der Sprache des Heimatfilms einen Kunstdialekt entwickelt,
       der die ideologischen Transformationen am Familientisch zuspitzt, wo hohl
       gewordenes Theaterpathos sich totalitärer Repräsentation verfügbar macht,
       wie aus plebejischer Volkskultur völkischer Wahn wird.
       
       In Wien geriet die ferne Uraufführung zur Majestätsbeleidigung und markiert
       den Beginn der wiederkehrenden Abstoßungsreaktionen gegen die spätere
       Nobelpreisträgerin. Die gehören mittlerweile der Vergangenheit an, aber die
       Familienverhältnisse bleiben kompliziert.
       
       Unmittelbar nach der Premiere von „Burgtheater“ folgt ein Gänsehautmoment.
       Das versammelte Haus ehrt die gerade verstorbene Elisabeth Orth. Die
       älteste Tochter von Paula Wessely war als Künstlerin unbestritten, als
       politischer Mensch allseits geachtet. Ein Wessely-Enkel lieh Elfriede
       Jelineks Texten bei Großveranstaltungen wiederholt seine Stimme. Die
       Schauspielerin Mavie Hörbiger schlüpft an diesem Abend in die Rolle, die
       ihren Großvater Paul Hörbiger repräsentiert.
       
       ## Das Kleingedruckte lesen
       
       [4][Elfriede Jelineks] nach über vierzig Jahren erstaunlich unverwitterter
       Text zielt unter schallendem Gelächter noch immer dorthin, wo es wehtut.
       Dennoch bleibt „Burgtheater“ in gut zwei schnellen Stunden der Aufführung
       episodisch. Man muss das Kleingedruckte lesen, aus „von und mit Elfriede
       Jelinek“ wurde vor wenigen Tagen die Bearbeitung „nach“. Es habe
       Differenzen gegeben über die Ergänzungsbedürftigkeit der Vorlage, so war zu
       erfahren.
       
       So bleiben Schlüsselszenen, die bisweilen sogar die Bonner Aufführung in
       Bühnenbild und Geste zitieren. Birgit Minichmayr, Caroline Peters und Mavie
       Hörbiger spielen dabei virtuos karikierend auf der Klaviatur überkommener
       „Menschendarstellung“.
       
       Ansonsten Erklärungen, Ergänzungen und Testimonials einer Politik der
       ersten Person. Man muss nicht überkommenen Werkbegriffen anhängen, um das
       Ganze etwas unterkomplex zu finden. Dennoch Beifall in einem Land, in dem
       auf der Bühne Faschismus noch Faschismus genannt werden kann.
       
       19 May 2025
       
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