# taz.de -- Tierärztin über psychische Gesundheit: „Viele verlassen ihren Traumberuf“
       
       > Laut Studien sind Tierärzt:innen psychisch stark belastet – bis zum
       > erhöhten Suizidrisiko. Nun soll ein Kriseninterventionsteam im Norden
       > helfen.
       
 (IMG) Bild: Tierischer Patient: kann süß gucken, aber nichts daran ändern, dass Tierärzt:innen zunehmend unter Arbeitsbelastung leiden
       
       taz: Frau Timmann, warum richten Sie ein Seelsorgeangebot für Tierärzte
       ein? 
       
       Doris Timmann: Tierärzte sind mental sehr belastet: Das Suizidrisiko ist
       hoch, es gibt immer mehr Ausfälle durch [1][berufsbedingte Überlastung],
       Depression und Burnout. Die Gefahr besteht, dass es immer schwieriger
       werden wird, für sein Tier einen Tierarzt oder eine Tierärztin zu finden,
       wenn wir jetzt nicht etwas unternehmen. Das Erste, was umgesetzt wurde, ist
       eine telefonische Seelsorge. Dazu wurde die gemeinnützige „Vethilfe“
       gegründet, die diesen Monat online gehen wird. Das zweite soll hier im
       Norden ein Kriseninterventionsteam für Hamburg und Schleswig-Holstein sein.
       
       taz: Von außen würde man denken, der Beruf als Tierärztin und Tierarzt ist
       einer, wo man immer wieder die Erfahrung macht, helfen zu können. [2][Warum
       sind dann gerade diese Menschen so belastet?]
       
       Timmann: Das Heilen und die Selbstwirksamkeit sind das Schöne an diesem
       Beruf. Aber aufgrund von Zeitknappheit kann man sich oft nicht so kümmern,
       wie man möchte. Und es sind oft Menschen mit sehr hohem Anspruch an sich
       selbst, die diesen Beruf ergreifen. Viele gehen in Teilzeit oder verlassen
       ihren Traumberuf aufgrund der Herausforderungen in der Praxis. Dazu kommt,
       dass es immer mehr Behandlungsmöglichkeiten gibt, die aber nicht alle von
       den Tierbesitzern bezahlt werden können. Das ist ein ethischer Konflikt und
       sehr belastend für alle, die involviert sind.
       
       taz: Wie teuer kann eine Katzen- oder Hunde-OP werden? 
       
       Timmann: Die Bandbreite ist sehr hoch. Nicht nur bei einer Operation, auch
       bei einem Aufenthalt in einer Klink ohne Operation können die Kosten weit
       über 1.000 Euro liegen. Wie man sich vorstellen kann, sind die Kosten bei
       Pferden noch höher. Durch die automatische Übernahme der Kosten durch
       Krankenversicherungen in der Humanmedizin sind einem die Kosten für
       medizinische Behandlung oft nicht bewusst.
       
       taz: Auf der einen Seite gibt es Hightechmedizin für Tiere und auf der
       anderen Seite kein Versicherungssystem wie in der Humanmedizin – ist da
       eine Lösung in Sicht? 
       
       Timmann: Die Praxen haben zum Teil hohe Kosten durch die Anschaffung von
       Geräten, die Fortbildungen dazu und das Personal, um sie zu bedienen. Wenn
       man sich für mehrere Hunderttausende Euro ein bildgebendes Gerät kauft,
       müssen die Kosten umgelegt werden. Da muss man sich als Tierhalter erst mal
       bewusst sein, wie weit die Tiermedizin vorangeschritten ist und welche
       Kosten auf einen zukommen. Wenn das Tier plötzlich krank ist, haben viele
       keine Versicherung. In Ländern wie England ist das schon lange anders.
       
       taz: Bei einigen Zuchten entstehen mit Ansage Tiere mit
       Gesundheitsproblemen, wie zum Beispiel Atemnot bei kurznasigen Rassen. 
       
       Timmann: Das ist eine der vielen Belastungen für die Tierärzte: Sie sehen
       ein Tier vor sich, das aus einer Qualzucht stammt und fragen sich: warum
       schafft man sich als Mensch so ein Tier an, wenn man doch weiß, dass es
       nicht gut atmen kann? Trotzdem hilft man natürlich dem Tier.
       
       taz: Wie belastend ist die Situation für Sie, wenn ein Tier eingeschläfert
       wird? 
       
       Timmann: Man sollte auf jeden Fall immer davon überzeugt sein, dass es das
       Richtige ist. Aber trotzdem berührt es einen. Es bleibt der Akt, durch den
       man einem Lebewesen das Leben nimmt. Damit geht jeder anders um. Der eine
       zeigt auch seine eigene Trauer und der andere sagt: Ich bin hier derjenige,
       der der Fels in der Brandung sein muss. Für den Tierhalter ist das auf
       jeden Fall ein traumatischer Moment, der ihm in Erinnerung bleiben wird.
       Wenn es einem als Tierärztin mehrmals am Tag passiert, guckt man, dass man
       sich möglichst noch mit etwas Positivem beschäftigt und freut sich, wenn
       danach vielleicht ein Welpe zum Impfen kommt.
       
       taz: Was ist bei Ihnen häufiger: dass Sie den Leuten klarmachen müssen,
       dass es im Interesse des Tieres ist, eingeschläfert zu werden? Oder dass
       Leute sagen, die Behandlung ist mir zu teuer, schläfern Sie das Tier lieber
       ein? 
       
       Timmann: Es gibt beides. [3][Es gibt aber auch noch die juristische Sicht,
       das Tierschutzgesetz], das sagt, dass es eines vernünftigen Grundes bedarf
       für die Euthanasie. Da gibt es durchaus eine Grauzone. Es gibt ja Menschen,
       die würden die Behandlung gerne machen lassen, aber sie können es einfach
       nicht bezahlen. Dann versuchen die Kollegen, doch noch eine Lösung zu
       finden. Bis zu dem Punkt, dass sie die Tiere selbst übernehmen, ich habe
       das auch schon gemacht. Aber das geht natürlich nur begrenzt.
       
       taz: Werden Sie zornig, wenn Sie das Gefühl haben, die Leute können, aber
       wollen nicht? 
       
       Timmann: Ich möchte da nicht die Richterin sein. Vielleicht ist das ein
       Mensch, der andere Verpflichtungen hat, weil er familiär etwas bezahlen
       muss. Es geht viel um Fingerspitzengefühl, das ist gerade für die jüngeren
       Kolleginnen und Kollegen herausfordernd. Wenn man das 20 Jahre gemacht
       hat, dann hat man natürlich auch Erfahrungswerte. Aber nebenbei müssen Sie
       ja noch das eigentliche Handwerk machen: eine Operation durchführen,
       Diagnosen stellen, Differenzialdiagnosen durchdenken und den vielen
       Dokumentationspflichten nachkommen. Dann haben Sie manchmal keine Zeit
       dafür, sich mal kurz hinzusetzen und zu fragen: Was mache ich denn jetzt
       mit meinen Emotionen? Früher war nicht alles besser, aber da hat man
       immerhin mal herumgestanden und zwei Minuten lang gewartet, dass ein
       Röntgenbild fertig ist.
       
       taz: Und heute? 
       
       Timmann: [4][Heute haben wir einen Mangel an Tierärzten und auch an
       tierärztlichem Fachpersonal]. Es gibt im Praxisalltag nur noch wenig
       Pausen. Viele haben einen Knopf im Ohr. Während der Pausen machen sie noch
       eine Whatsapp-Beratung und der Anspruch vieler Tierhalter ist oft, dass
       alles möglichst sofort passiert. Der Ton in der Praxis ist deutlich
       schärfer geworden, bis zu tätlichen Angriffen durch Tierbesitzer.
       
       10 Jun 2025
       
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