# taz.de -- Inklusion in der Klimakrise: „Keiner spricht über die behinderten Klimatoten“
       
       > Behinderte Menschen sind bei Extremwetter besonders gefährdet. Der
       > Katastrophenschutz beachtet das kaum, kritisiert Expertin Maria-Victoria
       > Trümper.
       
 (IMG) Bild: Warnsysteme sind nicht barrierefrei: Zum Beispiel hören Gehörlose das Martinshorn nicht
       
       taz: Frau Trümper, das Risiko, bei einer Naturkatastrophe zu sterben oder
       schweren Schaden zu nehmen, ist für behinderte Menschen bis zu viermal
       höher als für Nichtbehinderte, haben Wissenschaftler*innen der US-Uni
       Harvard festgestellt. Woran liegt das? 
       
       Maria-Victoria Trümper: Viele behinderte Menschen leben immer noch in
       Sonderstrukturen wie Behinderteneinrichtungen und unser soziales Leben ist
       überhaupt nicht barrierefrei. Daher werden wir oft übersehen – auch in den
       Strukturen des Katastrophenschutzes. In Evakuierungsplänen werden Menschen
       mit Behinderungen höchstens als Objekte gesehen, statt sie durch die
       richtigen Rahmenbedingungen zu befähigen, sich selbst zu schützen und zu
       retten. Sie sollen sich auf Hilfe aus ihrem Umfeld verlassen.
       
       Die Warnsysteme sind nicht barrierefrei. Beispielsweise können gehörlose
       Menschen akustische Signale nicht wahrnehmen. Sehr oft wird auch
       sprachliche Barrierefreiheit wie der Gebrauch von leichter Sprache bei
       Katastrophenschutzwarnungen vergessen. Von verständlichen Warnungen
       profitieren aber alle Menschen.
       
       taz: Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 sind dreizehn behinderte
       Menschen gestorben, [1][weil sie nicht rechtzeitig evakuiert wurden]. War
       das ein Wendepunkt für inklusiven Katastrophenschutz in Deutschland? 
       
       Trümper: Das war ein Wendepunkt, den niemand wahrgenommen hat. Keiner
       spricht über die behinderten Klimatoten in Deutschland. Der inklusive
       Katastrophenschutz ist in Artikel 11 der UN-Behindertenrechtskonvention
       verankert. International wird darüber insbesondere in Ländern des Globalen
       Südens längst debattiert, weil diese bereits stärker von den Folgen des
       Klimawandels betroffen sind. Daher müssen sie sich auch schon länger mit
       inklusivem Katastrophenschutz beschäftigen und ihn umsetzen.
       
       taz: [2][Auf dem Global Disability Summit (GDS), also dem globalen Gipfel
       für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Anfang April in Berlin] war
       inklusiver Katastrophenschutz ein Schwerpunktthema. Was kam dabei heraus?
       
       Trümper: Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen aus dem
       Globalen Süden hatten auf dem GDS mehr Selbstsicherheit im Umgang mit dem
       Thema als die aus dem Globalen Norden. In der Amman-Berlin-Deklaration, der
       Abschlusserklärung des GDS, hat der inklusive Katastrophenschutz auch eine
       zentrale Stellung. International haben wir den Klimawandel schon als die
       wahrscheinlich größte Bedrohung unserer Menschheit erkannt, er stellt auch
       die größte menschenrechtliche Herausforderung für die Zukunft dar.
       
       Der internationale Austausch auf dem GDS mit
       Katastrophenschutzorganisationen und Selbstvertretungen war sehr wichtig,
       weil wir in Deutschland keine entsprechenden Vorbilder haben. Diese
       brauchen wir dann aus anderen Ländern.
       
       taz: Sie treiben bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben
       inklusiven Katastrophenschutz voran. Wie denn? 
       
       Trümper: Dazu wollen wir uns zunächst in Gespräche mit
       Katastrophenschutzorganisationen einbringen, dass Inklusion auch diese
       betrifft. Unter maßgeblicher Beteiligung von behinderten Menschen und
       Selbstvertretungen wollen wir einen Maßnahmenplan erstellen. Inklusion in
       der humanitären Hilfe und im Katastrophenschutz ist kein „nice to have“,
       sondern ein Qualitätsmerkmal und Menschenrecht.
       
       taz: Was würden Sie sich von der Politik wünschen? 
       
       Trümper: Die deutsche Politik muss sechzehn Jahre nach der Ratifizierung
       der UN-Behindertenrechtskonvention einsehen, dass Inklusion immer ein
       Querschnittsthema ist und daher auch im Katastrophenschutz mitgedacht
       werden muss. Dazu gehört auch die direkte Beteiligung von behinderten
       Menschen und ihren Selbstvertretungsorganisationen im Aushandeln des
       Katastrophenschutzes.
       
       taz: Was ist von der [3][wahrscheinlich bald regierenden Koalition aus
       Union und SPD] zu erwarten? 
       
       Trümper: Im neuen Koalitionsvertrag steht zwar nichts über inklusivem
       Katastrophenschutz, aber das Bundesamt für Bevölkerungs- und
       Katastrophenschutz soll ausgebaut und stärker gefördert werden. Das begrüße
       ich sehr, weil ich mit dem Amt schon zusammengearbeitet habe und das nun
       noch besser kann. Es ist offen für das Thema Inklusion und für
       Veränderungen.
       
       16 Apr 2025
       
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