# taz.de -- Institut für digitale Resilienz: Wetterstation für den Infoüberfluss
       
       > Das Vocer-Institut in Mustin will digitale Resilienz stärken: So
       > entwickelt es Formate gegen den öffentlichen Diskursverfall.
       
 (IMG) Bild: Künstliche Intelligenz für alle: Ist das ein Versprechen oder eine (Be-)Drohung?
       
       Hamburg taz | Es wirkt wie Dauerstarkregen – das Niederprasseln von
       digitalen Informationen, Nachrichten und bullshit aller Art. Wenn
       Plattformbetreiber die radikalsten Positionen hoffähig machen und „ein
       Hofnarr auf Ketamin“ (Claude Malhuret über X-Eigner Elon Musk) im
       mächtigsten Land der Welt mit der Kettensäge fuchtelt, fällt es schwer,
       gelassen zu bleiben. Eskalierender Medienkonsum zerrüttet: Wir denken, auch
       die Zeiten eskalieren.
       
       Das beschauliche Mustin im Kreis Herzogtum Lauenburg bildet da einen
       Kontrast. Dort liegt das Büro des Vocer-Instituts. Das Institut für
       Digitale Resilienz sieht sich als Anlaufstelle für konstruktiven Dialog,
       versteht sich als Widerlager in einer dauererregten Gesellschaft.
       Vocer-Mitgründer Stephan Weichert ist Medienwissenschaftler und Autor
       mehrerer Bücher zum Journalismus. Er weiß: Die [1][Spielregeln der
       politmedialen Öffentlichkeit] erodieren gerade.
       
       So sollen in der Washington Post nur noch bestimmte Meinungsstücke
       erscheinen. Eigentümer Jeff Bezos meint, es brauche keinen breit
       gefächerten Meinungsteil: „Heute erledigt das Internet diese Aufgabe.“ Hier
       zieht also ein dressierter Journalismus, eine Berichterstattung nach
       Gutsherrenart herauf. Stephan Weichert schockiert diese Abschaffung der
       inneren Pressefreiheit: „Es ist auch rückwärtsgewandt, dass ein Eigentümer
       solchen Einfluss nehmen möchte. Wenn sich Bezos gegenüber der Redaktion
       durchsetzt, könnte dies das Ende der Post als einer der führenden liberalen
       Qualitätsstimmen in der Welt bedeuten.“
       
       Der US-Journalist Jeff Jarvis warnte kürzlich beim ersten „Vocamp“ in
       Berlin – „#RefoundingDemocracy 2025“ – vor moderationsfreien Diskursen bei
       X, Tiktok oder Bluesky: Wenn einordnende Berichterstattung zurückgeht,
       bleibt die Meinungsvielfalt auf der Strecke. Jarvis warnte aber auch vor
       allzu aktivistischer Publizistik, in der sich Journalisten auf eine Seite
       schlagen, Partei ergreifen und damit noch stärker polarisieren.
       
       ## KI macht vielen Angst
       
       Für Vocer eröffnet das ein weites Analyse-Feld. Es hat ein Paper zur
       journalistischen Resilienz erarbeitet und fordert umfassende
       medienpolitische Weichenstellungen, damit wieder Medienvertrauen entsteht.
       Mehr konstruktive Medienstrukturen statt Alarmismus, scheint die Devise.
       Bisher gab es in Mustin Workshops und Thementreffen für Medienschaffende,
       nun soll in der Region ein dezentrales Labor für soziale Innovationen und
       neue Medienformate entstehen. Wo genau, steht noch nicht fest.
       
       Der aktuelle Info-Monitor belegt zwar ein hohes Interesse an Informationen,
       doch ein Viertel der Befragten meidet Nachrichten gezielt, aus Überdruss an
       den vielen negativen Inhalten oder aus mangelndem Medienvertrauen. Was kann
       da digitale Resilienz leisten und wie kann sie gestärkt werden? Weicherts
       Antwort fällt deutlich aus: „Zu viel Mediennutzung löst Stress aus. Wir
       brauchen einen resilienten Medienkonsum. Dazu müssen wir [2][die
       Widerstandskraft des Einzelnen, der Organisationen, aber auch von
       Gesellschaft und Demokratie] in Einklang bringen.“
       
       Die gerade erschienene Vocer-Publikation „Resilienz in der digitalen
       Gesellschaft. Mediennutzung in Zeiten von Krisen, Kriegen und KI“ zeigt an
       53 Tiefen-Interviews die Wechselwirkung von digitalem Suchtpotenzial und
       Diskursverfall.
       
       „Wir sind ja alle stark von den sozialen Medien abhängig, aber sie
       deformieren den Journalismus und generell die öffentliche Kommunikation.
       Viele sind voller Angst wegen der Entwicklung von KI. KI schafft Werke, die
       von menschlichen kaum zu unterscheiden sind“, so Weichert. „Das wird hoch
       riskant, weil das Desinformation stark macht und zu Lasten eines
       ‚handgemachten‘ Journalismus geht.“
       
       Mit seinen Prognosen gleicht Vocer einer Wetterstation. Das Institut
       erkennt die Warnzeichen [3][des digitalen Überinformationsflusses] und
       spannt für Medienmacher wie für Medienkonsumenten den Abwehrschirm
       Resilienz auf. Diese Widerstandskraft besteht vor allem im Reflektieren,
       Einordnen und Dimensionieren. Weil die Omnipräsenz digitaler Inhalte nicht
       glücklich macht. Im Gegenteil. Resilienz lernen hieße also, entsagen
       lernen.
       
       30 May 2025
       
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