# taz.de -- Abstimmung über Lieferkettenrichtlinie: Kleine Firmen gegen spätere Einführung
       
       > Das Europäische Parlament stimmt darüber ab, ob die
       > Lieferkettenrichtlinie erst 2028 inkrafttritt. Mittelständlern ist damit
       > nicht geholfen.
       
 (IMG) Bild: Kobalt aus Sambia: Winzige Mengen davon sind im Akku eines Laptops enthalten
       
       Berlin taz | Begeistert ist Guido Körber nicht vom Lieferkettengesetz. Der
       Chef eines kleinen Elektronikunternehmens im brandenburgischen Schönefeld
       sieht Sinn und Unsinn des Gesetzes, das Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitende
       verpflichtet, ihre [1][Lieferketten nach Risiken zu analysieren und auf
       Menschenrechtsverletzungen zu reagieren]. Vor allem will er, dass alle
       Unternehmen gleiche Regeln haben und dafür brauche es ein europäisches
       Lieferkettengesetz – möglichst bald.
       
       Körbers Firma Code Mercenaries hat nur vier Mitarbeitende und fällt selbst
       gar nicht unter das Gesetz. Aber seine Kunden sind betroffen – und sie
       schicken ihm Fragebögen. 15 davon hat er seit Jahresbeginn bekommen. Sogar
       von einem Unternehmen, dass er seit 15 Jahren nicht mehr beliefert hat.
       Viele beauftragen Consultingfirmen, die dann Fragebögen an die ganze
       Adressliste schicken, meint Körber. Sie wollen etwa wissen, woher die
       Materialien für die elektronischen Schaltungen kommen, die sie in ihre
       Computermäuse einbauen.
       
       Die großen deutschen Wirtschaftsverbände halten das für unnötige
       Bürokratie, die vor allem kleine und mittlere Unternehmen belaste. Deshalb
       haben sie bei der deutschen Bundesregierung und der EU in Brüssel
       lobbyiert, die Regeln abzuschaffen oder zumindest abzuschwächen. Daraufhin
       hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das [2][Omnibus-Paket
       vorgelegt, das die Berichtspflichten vereinfachen] soll. Der Beginn der
       europäischen Lieferkettenrichtline soll um ein Jahr auf 2028 verschoben
       werden. Das EU-Parlament stimmt an diesem Dienstag darüber ab. Im Rat haben
       die EU-Staaten bereits zugestimmt.
       
       Von der Leyens Vorschläge gehen noch weiter. So sollen unter anderem
       Klagerechte von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen entlang der
       Lieferkette aufgekündigt werden und nicht mehr alle, sondern nur noch die
       ersten Lieferanten überprüft werden – so wie auch im deutschen
       Lieferkettengesetz. Hierüber verhandeln Kommission, Mitgliedsstaaten und
       Parlament derzeit noch.
       
       ## Die Diskussion in Brüssel gehe an der konkreten unternehmerischen
       Realität vorbei
       
       Hadware-Hersteller Körber kann der Diskussion in Brüssel nichts abgewinnen.
       „Wir brauchen Wettbewerbsgleichheit innerhalb Europas und
       Planungssicherheit“, sagt er. Darum hat er zusammen mit 16 anderen
       deutschen mittelständischen und kleinen Unternehmen einen Aufruf gegen die
       Aufweichung der europäischen Lieferkettenrichtlinie unterzeichnet. „Mit
       einer Aufhebung, Verschiebung oder Neuverhandlung von Gesetzen ist
       niemandem geholfen“, [3][heißt es dort].
       
       Die Diskussion in Brüssel gehe „an der konkreten unternehmerischen Realität
       vorbei“. Stattdessen wünschen sich die Firmen „handfeste Erleichterungen“
       auf nationaler Ebene, „die das Ziel des Menschenrechts- und Umweltschutzes
       nicht aus den Augen verlieren“.
       
       Unter den Unterzeichnenden sind ganz unterschiedliche Firmen, der
       Schaumstoffhändler Pahlke etwa oder die Odenwalder Firma Jöst, die
       Reinigungsmaschinen herstellt. Sie alle investieren bereits in die
       Nachhaltigkeit ihrer Unternehmen. Auch Susanne Henkel ist dabei. Sie leitet
       das Familienunternehmen Richard Henkel im Kochertal nahe Heilbronn in
       Baden-Württemberg. Die kleine Firma stellt Gartenmöbel aus Stahl und
       Aluminium her, beliefert aber auch große Auto- und Flugzeugunternehmen.
       
       Deshalb kennt auch Susanne Henkel die Fragebögen. Problematisch findet sie
       die nicht, sie fragt sich aber, ob sie auch gelesen werden. „Es ist viel
       wichtiger, Partnerschaften zu etablieren, mit den Zulieferern zu reden,
       sich mit dem Produkt auseinanderzusetzen“, sagt Henkel. Das kleine
       Unternehmen hat 45 Mitarbeitende, darunter eine Umweltbeauftragte. Die
       achtet darauf, dass Inhaltsstoffe nicht gesundheits- oder umweltschädlich
       sind und möglichst keinen Müll verursachen. Und dass alles repariert werden
       kann. Das kleine Unternehmen macht bereits vieles freiwillig, wozu die
       großen mit dem Lieferkettengesetz verpflichtet sind.
       
       „Es hört sich im Moment aufwendig an, aber wenn man sich damit mal befasst
       hat, dann sieht man, dass es möglich ist“, sagt Henkel. Außerdem spare das
       Unternehmen durch ihre Maßnahmen zur Nachhaltigkeit Kosten, in ihrem Fall
       zum Beispiel an Materialien oder teuerer Müllentsorgung. Allerdings hat
       Henkel auch eine überschaubare Lieferkette und Zulieferer, die in Europa
       sitzen.
       
       ## „Der Händler lacht nicht mal, wenn ich ihn frage, woher die Materialien
       stammen“
       
       Viel schwieriger ist das für den Hardware-Händler Körber, der sich dennoch
       bemüht hat, seine Lieferkette zu durchdringen. Die rund 100 direkten
       Zulieferer überprüfe er ohnehin, danach wird es kompliziert. „Es ist, als
       wolle man anhand des Kuchens die Farbe der Eierschalen beschreiben“, sagt
       Körber. Zum Beispiel: Jede elektronische Schaltung braucht Widerstände, die
       die Stromstärke begrenzen und damit etwa die Computermaus vor Überlastung
       schützen. Sie sind wenige Millimeter groß und sehen aus wie eine bunte
       Perle mit Taille.
       
       In ihnen stecken gleich mehrere kritische Rohstoffe, die oft unter
       menschenrechtswidrigen und umweltschädlichen Umständen abgebaut werden:
       Nickel, Kupfer, Zinn in kleinsten Mengen. Körber kauft die Widerstände in
       einer Spule von 5.000 Stück für 5 Euro, sagt er. Im Jahr gibt er dafür etwa
       200 Euro aus. „Der Händler lacht nicht mal, wenn ich ihn frage, woher die
       Materialien stammen“, meint Körber. „Und das ist nur ein einziges Bauteil.“
       Allerdings hat Körber auch bemerkt, dass manche Zulieferer sich auf die
       europäischen Anforderungen einstellen. Ein chinesischer Lieferant habe ihm
       mitgeteilt, er arbeite gerade an einem Nachhaltigkeitsbericht, erzählt
       Körber.
       
       Die [4][zuständige Kontrollbehörde Bafa] hat bereits klargestellt, dass
       große Unternehmen die Sorgfaltspflichten nicht weitergeben dürfen. Sie
       dürfen nicht einfach Fragebögen an alle Zulieferer verschicken, sondern
       müssen gezielt vorgehen, dort anfangen, wo ein Risiko für
       Menschenrechtsverletzungen besteht. Weil Zulieferer häufig aber nicht ihre
       Kunden vergrämen wollen, hat das Bafa eine Meldestelle eingerichtet, wo
       Verstöße gemeldet werden können.
       
       Bislang sei „eine zweistellige Anzahl von Hinweisen zu Versuchen der
       Abwälzung von Pflichten oder einem nicht-risikobasierten, unangemessenen
       Vorgehen gegenüber Zulieferern“ eingegangen, schreibt ein Sprecher des Bafa
       auf Anfrage. Die Behörde fragt dann bei den Unternehmen nach, so der
       Sprecher. Als letztes Mittel sind auch Sanktionen möglich.
       
       ## Europäischen Richtlinie sieht Schutzmaßnahmen von kleinen und mittleren
       Unternehmen vor
       
       Die Unternehmen, die den Aufruf unterzeichnet haben wollen weitere
       Zusicherungen, etwa dass die Bundesregierung die Ausarbeitung von
       standardisierten Vertragsklauseln vorantreibt, die im voraus Pflichten der
       großen Unternehmen gegenüber den Zulieferern festlegen und die kleinen
       Unternehmen entlasten.
       
       Zugleich müsse klargestellt werden, dass „Fragebögen ein begrenzt wirksames
       Instrument sind, das mit Augenmaß und nur wo sinnvoll eingesetzt werden
       sollte“. Das Versenden generalisierter Fragebögen an alle Zulieferer sei
       „ein eindeutiger Hinweis, dass ein Unternehmen seinen Pflichten aus dem
       Lieferkettengesetz nicht adäquat nachkommt“ finden die Mittelständler.
       
       Die europäische Richtlinie sieht zudem weitere Unterstützungs- und
       Schutzmaßnahmen von kleineren Zulieferern vor. Die Bundesregierung solle
       sie daher schnell umsetzen, also das deutsche Lieferkettengesetz
       entsprechend anpassen. In der europäischen Richtlinie steht zum Beispiel
       deutlich, die großen Unternehmen sollten „gezielte und angemessene
       Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) leisten“, dazu
       gehört finanzielle Unterstützung, Zugang zu Kapazitätsaufbau, Schulungen
       oder die Modernisierung von Managementsystemen.
       
       Für Körber ist außerdem wichtig, dass branchenspezifische Ansätze
       ausgearbeitet werden und nicht mit der „Gießkanne“ versucht wird, einen
       universellen Ansatz für alle Lieferketten zu finden, „weil die Komplexität
       der Produkte völlig unterschiedlich ist“.
       
       1 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zwei-Jahre-Lieferkettengesetz/!6060684
 (DIR) [2] /Von-der-Leyens-Plaene/!6069345
 (DIR) [3] https://media.business-humanrights.org/media/documents/KMU-Statement_zum_LkSG_CSDDD_final_1_aS8gacy.pdf
 (DIR) [4] /Personalmangel-im-Amt/!6060740
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leila van Rinsum
       
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