# taz.de -- Deutschland und die Klimaflüchtlinge: Bis uns das Wasser bis zum Hals steht
       
       > Ein Theaterstück, das sich erschreckend real anfühlt: Alsterwasser 2070
       > zeigt die dramatischen Folgen des Klimawandels – und stellt drängende
       > Fragen.
       
 (IMG) Bild: Unsere Autorin fordert, dass Klimaschutz zur Priorität für die Bundestagswahl wird
       
       Es fühlt sich an wie ein Exit-Game, als ich in einer Runde von neun
       Personen am Entscheidungstisch stehe. Das Ganze ist ein Spiel – das
       Theaterstück [1][„Alsterwasser 2070“] in Hamburg –, das sich ziemlich echt
       anfühlt. Als Gruppe sollen wir über zukunftsweisende Maßnahmen entscheiden.
       Eine davon betrifft die Unterstützung von Klimaflüchtlingen. Meine
       Nachbarin stutzt einen Moment.
       
       „Klimaflüchtlinge? Den Begriff habe ich noch nie gehört“, sagt sie. Ich bin
       erstaunt über ihre Reaktion und suche nach einer passenden Erklärung. Laut
       Sachverständigenrat für Integration und Migration handelt es sich um
       Personen, die durch die klimatischen Veränderungen der Umwelt so sehr
       beeinflusst sind, dass sie ihre Heimat verlassen müssen.
       
       In der Realität heißt das: Auf den Philippinen ist die Vertreibung von rund
       [2][5,44 Millionen Menschen] schon jetzt auf Stürme und Fluten
       zurückzuführen. In Nigeria sind es rund [3][2,44 Millionen Menschen], die
       in andere Regionen umsiedeln mussten. Hochrechnungen sprechen von knapp 33
       Millionen Vertriebenen weltweit aufgrund von Naturkatastrophen (Stand
       2022).
       
       Warum interessiert sich Deutschland so wenig für diese Menschen? [4][Weil
       es sich meist um Binnenflüchtlinge handelt], die innerhalb ihres Landes
       umziehen, recht selten tatsächlich die Grenzen passieren und gen Europa
       wandern. Dabei hätten sie allen Grund dazu, denn während Entwicklungsländer
       besonders stark vom Klimawandel und dessen Folgen betroffen sind, stellen
       sie die geringsten Treibhausgas-Emittenten.
       
       ## Deutsche Konzerne unter den zehn größten Umweltsündern
       
       Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten erheblich zum globalen
       CO₂-Ausstoß beigetragen. Jede:r Deutsche [5][verantwortet im Jahr im
       Schnitt 8,5 Tonnen an CO₂] – das liegt über dem europäischen ebenso wie
       über dem chinesischen Durchschnittswert. Unter den zehn größten
       Umweltsündern in Europa befanden sich 2020 sechs deutsche Konzerne.
       
       Während klimatische Veränderungen nicht als alleinige Ursache für Migration
       vereinfacht werden können, spielen sie aber eine nicht zu unterschätzende
       Rolle im Wirkungsgeflecht aus Konflikten, sozialen Strukturen und
       klimatischen Entwicklungen. Doch die Deutschen scheinen nicht zu merken,
       welchen destruktiven Einfluss sie auf Länder weltweit nehmen. Trotz
       rückläufiger Emissionen seit 1990 verfehlt Deutschland konsequent seine
       Klimaziele, und der Wandel erfolgt zu langsam. Auch in Industriestaaten
       sind die negativen Folgen des Klimawandels bereits spürbar.
       
       Während ich in der Theatersimulation erschreckende Szenarien von Hochwasser
       in der Hamburger Hafencity sowie Dürren und Wasserknappheit in der Zukunft
       durchlebe, müssen wir nicht auf die Zukunft warten. Bereits heute lesen wir
       von Hochwassertoten in Deutschland, und es wundert uns nicht zu erfahren,
       dass über eine halbe Million Einwohnende innerhalb der USA aufgrund von
       klimatischen Veränderungen vertrieben wurden.
       
       Was werden wir sagen, wenn diese Veränderungen zunehmen, wir wirklich von
       mühselig angesparten Lebensmittelgutscheinen leben müssen und Wassermangel
       sowie Lebensmittelknappheit, wie ich sie in der Simulation erlebe, Realität
       werden? Werden es dann wir sein, die sehnsüchtig an Grenzmauern warten,
       wenn es woanders zumindest noch eine Lebensgrundlage gibt?
       
       ## Klimaschutz soll zur Priorität für die Bundestagswahl werden
       
       Vielleicht wird uns dann bewusst, dass ein unsolidarisches Abschotten in
       einer Welt global zusammenhängender Nationalstaaten keinen Sinn ergibt.
       Grenzen können nicht bis in den Himmel gezogen werden und Abgase lassen
       sich nicht von Abschiebebescheiden beeindrucken.
       
       Zurück zur Simulation „Alsterwasser 2070“. Dort finden wir schließlich
       einen Konsens. Wir entscheiden uns als Gruppe dazu, einen Teil der uns zur
       Verfügung stehenden Coins in die Unterstützung von Klimaflüchtlingen zu
       investieren. Meine Nachbarin ist weiter interessiert und ich unterhalte
       mich nach Ende der Veranstaltung noch etwas ausführlicher mit ihr.
       
       Ich bin begeistert davon, dass nun eine Person mehr sich mit diesem
       komplexen Themenfeld auseinandersetzt. Denn letztendlich gilt: Es ist
       entscheidend, Klimaschutz zur Priorität für die Bundestagswahl 2025 und die
       kommende Regierung zu machen, um nicht noch mehr Lebensraum zu zerstören
       und Menschen ihre Heimat zu nehmen. Eine Strategie, die Migration und
       Klimawandel zusammendenkt und solidarische Lösungen fördert, ist längst
       überfällig.
       
       19 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://theater-hamburg.org/de_DE/spielplan/alsterwasser-2070-ein-kollektiv-oekologisc.17837732
 (DIR) [2] https://dossiers.kleinezeitung.at/klimamigration/
 (DIR) [3] https://dossiers.kleinezeitung.at/klimamigration/
 (DIR) [4] https://www.unhcr.org/de/was-wir-tun/umwelt-klimawandel-und-fluechtlingsschutz
 (DIR) [5] https://www.rnd.de/politik/greta-thunberg-deutschland-hat-historische-schuld-bei-klimakrise-vier-gruende-3MAJWM2MFJAKBIT5TFGNDO643A.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lilith Diringer
       
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