# taz.de -- Fragwürdige Prognosen für Wahlkreise: Würfeln ginge auch
       
       > Warum Vorhersagen für Bundestagswahlkreise mit Vorsicht zu genießen sind.
       > Vertrauen kann man ihnen nur dort, wo ohnehin immer dasselbe gewählt
       > wird.
       
 (IMG) Bild: Würfelbecher: Spezialgerät zum Prognostizieren von Wahlergebnissen
       
       Berlin taz | Eine Prognose gefällig, wer die meisten Erststimmen im
       Bundestagswahlkreis Weilheim holen wird? Kein Problem: Es wird der
       [1][CSUler Alexander Dobrindt] sein. Wer macht das Rennen im Wahlkreis
       Rottweil-Tuttlingen? Selbstverständlich die CDUlerin Maria-Lena Weiss. Wer
       Duisburg II gewinnen wird? Der SPDler Mahmut Özdemir. Woher die taz das
       jetzt schon weiß?
       
       Nun ja, es ließe sich jetzt auf Webseiten wie wahlkreisprognose.de oder
       zweitstimme.org verweisen, die vorgeben, prognostizieren zu können, wer bei
       der Bundestagswahl am Sonntag in einem Wahlkreis die Nase vorne hat. Oder
       auf das [2][Meinungsforschungsinstitut YouGov], das behauptet, zumindest
       aktuelle Stimmungslagen in Wahlkreisen angeben zu können. Aber es ist viel
       einfacher: In den drei genannten Wahlkreisen hat seit Gründung der
       Bundesrepublik immer mit Abstand der Kandidat oder die Kandidatin der
       gleichen Partei gewonnen. Und das wird mit an Sicherheit grenzender
       Wahrscheinlichkeit auch diesmal so sein.
       
       Schwieriger wird es hingegen in Wahlkreisen, die nicht so eindeutig
       festgelegt sind. Da gewinnen Projekte wie [3][wahlkreisprognose.de] oder
       [4][zweitstimme.org], aber auch YouGov an Attraktivität. Zeitungen greifen
       vermeintlich nahende Überraschungen an diesem oder jenem Ort auf. Passende
       Vorhersagen machen sich Wahlkämpfer:innen zunutze. Das Problem: So
       wirklich seriös ist das alles nicht. „FDP-Chef vor Direktmandat“,
       behauptete beispielsweise im Vorfeld der Bundestagswahl 2021
       wahlkreisprognose.de. Letztlich landete Christian Lindner im
       Rheinisch-Bergischen Kreis mit 16,8 Prozent abgeschlagen auf Platz 4 –
       wobei er sich gewiss über ein solches Ergebnis am Sonntag sehr freuen
       würde.
       
       Der große Haken aller Erststimmenprognosen: Sie beruhen nicht auf
       speziellen repräsentativen Umfragen in dem jeweiligen Wahlkreis. Denn das
       wäre sehr teuer und aufwendig. Schließlich gibt es 299 Wahlkreise. Um
       realitätstaugliche Angaben zu machen, müssten regelmäßig über einen
       längeren Zeitraum mehrere hundert Menschen pro Wahlkreis befragt werden,
       zusammengezählt müssten deutlich mehr als 100.000 Menschen befragt werden.
       
       ## Mathematisches Spiel
       
       Stattdessen werden bundesweite repräsentative Umfragen benutzt, die dann
       runtergerechnet werden. Wobei zweitstimme.org noch nicht einmal eigene
       Erhebungen macht, sondern sich via Wahlrecht.de bei den Umfrageinstituten
       bedient. Bei YouGov basiert die Schätzung der Ergebnisse auf
       Wahlkreisebene auf einem Modell mit Befragungsdaten von 9.322
       Wahlberechtigten aus Deutschland. Das sind statistisch 31 Menschen pro
       Wahlkreis.
       
       Der Malus, dass die Stichprobe für den einzelnen Wahlkreis viel zu gering
       ist, kann leider nicht dadurch ausgeglichen werden, dass alle möglichen
       Variablen miteingerechnet werden – von den Ergebnissen früherer
       Bundestags,- Landtags- und Europawahlen bis zur strukturellen
       Zusammensetzung eines Wahlkreises unter anderem nach Alter, Geschlecht und
       Beschäftigungsstatus. Das ist zwar grundsätzlich richtig, reicht aber nicht
       für valide Angaben aus. Die Behauptung, dass dabei eine „wissenschaftliche
       Vorhersage zur Bundestagswahl“ herauskommt, wie die
       Politikwissenschaftler:innen von zweitstimme.org schreiben, ist
       jedenfalls eher Unfug.
       
       Jenseits der ohnehin eindeutigen Wahlkreise könnten die Prognosen der
       verschiedenen Anbieter denn auch einfach gewürfelt sein. Ein Beispiel dafür
       ist Berlin-Neukölln, das die letzten drei Male von einem SPD-Kandidaten
       gewonnen wurde. YouGov geht davon aus, dass das knapp auch so bleibt und
       [5][Hakan Demir seinen Bundestagswahlkreis verteidigen kann],
       zweitstimme.org sieht diesmal die CDU-Kandidatin Ottilie Klein in Front,
       während die Linke freudestrahlend verkündet: „Laut Wahlkreisprognose.de
       liegen wir vorne“, womit sie ihren Kandidaten Ferat Koçak meint. Jetzt
       müsste nur noch der Grüne Andreas Audretsch gewinnen – und alle würden
       danebenliegen. Aber hier gibt die taz lieber keine Prognose ab.
       
       20 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /CSU-Klausur-mit-Kanzlerkandidat-Merz/!6057294
 (DIR) [2] https://yougov.de/
 (DIR) [3] http://wahlkreisprognose.de
 (DIR) [4] http://zweitstimme.org
 (DIR) [5] /Die-Linke-und-der-Nahost-Konflikt/!6060057
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Meinungsumfrage
 (DIR) Umfragewerte
 (DIR) Wahlrecht
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Umfragen und Wahlergebnisse: Die Suche nach dem Wählerwillen
       
       Das Umfrage-Institut YouGov sieht die Linke bei unwahrscheinlichen 9
       Prozent. Doch Umfragen beeinflussen die Entscheidungen der Wähler:innen.
       
 (DIR) Die Linke und der Nahost-Konflikt: Nun sag, wie hältst du es mit Gaza?
       
       In Berlin-Neukölln lebt die größte palästinensische Diaspora Europas. Linke
       Parteien werben dort um eine Klientel, die sich politisch heimatlos fühlt.
       
 (DIR) CSU-Klausur mit Kanzlerkandidat Merz: Das Wunder von Seeon
       
       Niemand hatte bei CSU und CDU die Absicht, einen Migrationswahlkampf zu
       führen. Wirklich! Und dann war er doch da.